Pfarrer Franz Adam Landvogt

Pfr. Landvogt (c) St. Peter

Gott ist die Liebe - Hirt der Seelen - Vater der Armen: Diese Worte stehen auf der Grabplatte von Pfarrer Franz Adam Landvogt, der am 5. Oktober 1953 in Mainz starb. Seine sterbliche Hülle ruht seit 1989 in der Turmkapelle der St. Peterskirche in einem Marmorsarkophag, der am 5. Oktober 1989 von Weihbischof Wolfgang Rolly geweiht wurde. Die Grabinschrift und die ehrenvolle Überführung des Toten in die Seitenkapelle jener Kirche, in der er seit Ende des Zweiten Weltkrieges als Pfarrer und Seelsorger tätig war, lassen staunen. Noch aufmerksamer macht, dass Franz Adam Landvogt auch 50 Jahre nach seinem Tod in Mainz noch vielen bekannt ist und ihn nicht wenige Menschen wie einen Heiligen verehren. Weniger hoch als sein Bekanntheitsgrad ist das Wissen der meisten über die Person des langjährigen Pfarrers von St. Christoph, dem 1945 zusätzlich zu seiner durch Bombardierung schwer beschädigten Pfarrei noch die ebenfalls vom Krieg sehr in Mitleidenschaft gezogenen Pfarreien St. Peter und St. Emmeran übertragen worden waren. 

Wer war Pfarrer Landvogt, dessen hagere Asketengestalt fast ein viertel Jahrhundert zum Bild der Mainzer Innenstadt gehörte, und was zeichnete ihn aus, dass er bis heute unvergessen blieb und große Hochachtung genießt? Seine Lebensdaten lassen sich rasch erfassen. Geboren wurde Franz Adam am 3. März 1889 in Rockenberg (Wetterau) als zweites der sechs Kinder des Landwirts Franz Landvogt und seiner Ehefrau Eva, geb. Wild. Als er neun Jahre alt war, starb seine Mutter, ein herber Schlag, an dem der sensible Knabe lange trug. Vorbereitet und vermittelt durch seinen Heimatpfarrer Georg Waldmann fand er 1902 Aufnahme in die Untertertia des Mainzer Humanistischen Gymnasiums und erhielt einen Platz im damals vom geistlichen Rektor Gottfried Geck geleiteten bischöflichen Konvikt. Mit hervorragenden Noten bestand er 1908 das Abitur.
Entschlossen, Priester zu werden, trat er kurz darauf ins Mainzer Priesterseminar ein und begann das Studium der Philosophie und Theologie. Nach dessen Abschluss empfing er am 1. Juni 1912 im Mainzer Dom durch Bischof Georg Heinrich Kirstein die Priesterweihe. Noch im gleichen Monat wurde er Kaplan in Klein-Krotzenburg mit der Beauftragung, dem dortigen erkrankten Pfarrer Adam Helfrich beizustehen. Nach dessen Tod verwaltete er die Pfarrei, bis er 1913 als Kaplan zunächst nach Finthen und unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges an die St. Ludwigskirche in Darmstadt versetzt wurde. 1920 wechselte er nach Mainz, wo ihm die Pfarrstelle St. Rochus im Städtischen Krankenhaus übertragen worden war. Sein schlechter Gesundheitszustand - er litt seit Jahren an Asthma - dürfte einer der Gründe gewesen sein, ihm gerade diese Pfarrei zu übertragen. Doch waren es wohl auch seine persönliche Einstellung und sein besonderes seelsorgliches Charisma, die ihn für diese nicht leichte Aufgabe qualifizierten. Liest man seine Aufzeichnungen über die Jahre seiner Tätigkeit als Kaplan in Darmstadt, fällt auf, wie häufig darin von Sorge für die Armen, die Kranken, die Notleidenden und die Kinder sowie von Freigebigkeit, karitativer Leistung und Fürsorge die Rede ist. Anderen in ihren Nöten und Sorgen beizustehen und zu helfen, wurde ihm zur besonders wichtigen pastoralen Maxime.
Waren die Jahre in Darmstadt noch eine Zeit der Prägung unter der Lenkung und Leitung anderer, so begann er als Pfarrer von St. Rochus eigene seelsorgliche Akzente zu setzen. Seine dabei mit den Kranken und dem Pflegepersonal gemachten Erfahrungen trug er in einer von seinem Nachfolger sehr gelobten, zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur aus Sicherheitsgründen allerdings vernichteten „Hausagenda" zusammen. 1924 wurde er von seiner Tätigkeit im Krankenhaus entbunden und erhielt den Auftrag, in der Pfarrei St. Bartholomäus zu Oppenheim seinem erkrankten Onkel Pfarrer Johann Georg Landvogt zur Seite zu stehen. Als dieser starb, übertrug man ihm die Administration der Pfarrei, bis er 1927 im Wechsel mit Pfarrer Johannes Weber die Pfarrei Frei-Laubersheim mit der Simultankirche St. Mauritius übernahm. Gesundheitliche Probleme bewogen ihn jedoch, sich bereits im folgenden Jahr um die vakante Pfarrei St. Christoph in Mainz zu bewerben.
Er übernahm die relativ kleine und sozial schwache Innenstadtpfarrei in sehr schwieriger Zeit. Die erst wenige Jahre zurückliegende große Inflation mit ihren Nachwirkungen belastete, die Rheinlandbesetzung durch die Franzosen bedrückte, die Arbeitslosigkeit wuchs bald in gefährlichem Maße an. Pfarrer Landvogt vermochte diese Probleme nicht zu lösen. Doch er stellte sich ihnen und suchte immer wieder Möglichkeiten und Wege, den in Not geratenen Mitgliedern seiner Gemeinde zu helfen. Im eigenen Lebensstil sehr bescheiden, gab er großzügig von dem, was er besaß. Sein pastorales und karitatives Wirken war eher unauffällig, doch umso persönlicher. Vielen machte er Mut. Was man ihm selbst schenkte, verschenkte er weiter an Bedürftige und kinderreiche Familien, nicht immer zur Begeisterung der Gebenden, die es gerne gesehen hätten, wenn ihr kranker Pfarrer auch einmal an sich gedacht hätte. So brachte er zum Beispiel über viele Jahre zu Beginn eines jeden Monats einem Schuhmacher einen Geldbetrag, damit dafür die Armen seiner Pfarrei ihre Schuhe reparieren lassen oder neue kaufen konnten. Die Kinder und Jugendlichen lagen ihm besonders am Herzen. Zu Weihnachten bekam jedes Kind seiner Pfarrei ein sorgfältig ausgesuchtes Geschenk. Pfarrer Landvogt studierte mit ihnen ein Weihnachtsspiel ein, feierte mit ihnen Fastnacht, half bei den Hausaufgaben und zeigte Filme. In den Sommerferien zog er jeden Tag mit ihnen hinaus in den Gonsenheimer Wald zum Wendelinusheim, nicht nur um sie von der Straße zu holen, sondern auch um sie von nationalsozialistischem Einfluss fernzuhalten.
In Predigt und Gespräch rief er immer wieder zu Gottvertrauen und zur Gottes- und Nächstenliebe auf und scheute keinen noch so beschwerlichen Weg oder Aufwand, um Kranke und Hilfsbedürftige zu besuchen und ihnen die Eucharistie zu bringen. Da er vorbildhaft das lebte, was er forderte, gewann er das besondere Vertrauen seiner Pfarrkinder. Stets wirkte er ruhig und gesammelt, mochte auch gelegentlich ein Gassenjunge den ärmlich gekleideten Mann verspotten.
Aus seiner Kritik am Hitlerregime machte er seiner Gemeinde gegenüber keinen Hehl, die deshalb - wie auch der Bischof - in großer Sorge um ihn war. Die befohlene Entfernung der Kreuze aus den Schulen traf ihn tief. Er ließ sich in seinem pastoralen und karitativen Engagement nicht einengen. In einer reichen Korrespondenz hielt er in der Kriegszeit den Kontakt zu Soldaten aus seiner Gemeinde, die an der Front waren. Am 11./12. August 1942 und am 27. Februar 1945 legten schwere Bombardements große Teile von Mainz in Schutt und Asche. Der Angriff von 1942 zerstörte auch fast alle Häuser der Christophspfarrei sowie das Pfarrhaus. Ohne Rücksicht auf die eigene Gefährdung holte Landvogt in den Bombennächten die Menschen aus ihrem zusammenbrechenden Unterschlupf und den brennenden Gassen, gab ihnen zum Schutz ihrer Köpfe sogar Kochtöpfe mit und schickte sie zum rettenden Rheinufer. Gleich sehr vielen seiner Pfarrkinder verlor Landvogt im Bombenhagel fast alle seine Habe. Dieses Schicksal traf ihn ein zweites Mal, als die Kirche und das Pfarrhaus St. Emmeran, die ihm inzwischen von der bischöflichen Behörde zusätzlich übertragen worden waren, 1945 ebenfalls zerstört wurden; bei diesem Angriff verloren im Kloster der Ewigen Anbetung 41 Ordensfrauen ihr Leben, und Pfarrer Landvogt entging nur knapp dem Tod.

In diesen Nottagen erwies sich Pfarrer Landvogt als wahrer Hirt der ihm anvertrauten Herde. Lächelnd bezeichnete er sich als Trümmerpfarrer. Trotz stark angegriffener Gesundheit schonte er sich nicht. Er war unermüdlich priesterlich tätig und legte mit Hand an, wo immer es nötig und möglich war. Er zeigte sich stets hoch erfreut, wenn er eines seiner obdachlos gewordenen Gemeindemitglieder wiedertraf und erfahren konnte, wo die Einzelnen untergekommen waren. Als das Wohnungsamt ihm eine Wohnung anbot, lehnte er dankend ab, um den kinderreichen Familien den Vortritt zu lassen.
Die zerstörte St. Christophskirche wurde nicht mehr aufgebaut und steht heute als Ruine und Mahnmal. Bis die Kirche St. Emmeran wieder aufgebaut wurde, sollten noch viele Jahre vergehen. Um dem Notstand abzuhelfen und in der unmittelbaren Nachkriegszeit wieder einigermaßen geregelte Pfarrverhältnisse zu schaffen, wurde Franz Adam Landvogt im Mai 1945 zum Pfarrverwalter von St. Emmeran und von St. Peter sowie zum Hilfsvikar von St. Stephan ernannt. Die Gottesdienste wurden bei St. Peter in Noträumen gehalten. Eine Bleibe für den Pfarrer wurde im Dompfarrhaus geschaffen. Dort lebte Pfarrer Landvogt, wie schon all die Jahre von seiner Schwester Maria betreut, bis zu seinem Tod. Bezeichnend für ihn war, dass er eine bei St. Peter wieder hergestellte Pfarrwohnung nicht selbst in Anspruch nahm, sondern einem ausgebombten Gemeindemitglied und dessen schwer erkrankten Frau überließ.
Nur noch etwas mehr als fünf Jahre war dem Wirken von Pfarrer Landvogt beschieden. Seine an sich schon labile Gesundheit war durch die Kriegs- und Nachkriegsstrapazen, vor allem aber auch dadurch, dass er sich bei seiner seelsorglichen und karitativen Arbeit bis an die Grenzen verausgabte, so sehr geschwächt, dass er wenige Tage vor Weihnachten 1950 einen körperlichen Zusammenbruch erlitt und ins Krankenhaus verbracht werden musste. Aus dem Drang heraus, weiter seiner Pflicht nachgehen zu müssen, nahm er im Januar 1951 gegen ärztlichen Rat seine Tätigkeit wieder auf. Doch seine Kräfte reichten nicht mehr aus. Er musste nach wenigen Monaten den Bischof um Pensionierung ersuchen, die ihm zum 1. Oktober 1951 gewährt wurde; kurz zuvor war er zum Geistlichen Rat ernannt worden. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er als geschätzter Beichtvater in Mainz. Am 29. September 1953 traf ihn ein Schlaganfall, an dem er sechs Tage später starb.
Wegen seiner Verdienste um den Wiederaufbau seiner Pfarrkirche St. Peter wurde Franz Adam Landvogt in der dortigen Krypta beigesetzt. Zuvor hatten unzählige Menschen im Dom, wo er aufgebahrt worden war, von ihm Abschied genommen. Auf dem Weg nach St. Peter begleiteten das gesamte Domkapitel, 80 Geistliche sowie eine Vielzahl von Gläubigen den Sarg mit den sterblichen Überresten des hochgeschätzten Pfarrers. „Er lebte aus der Liebe", hieß es im ersten Nachruf des Kirchenblattes von ihm, und viele wähnten ihn besonders nahe bei Gott.
© Prof. Dr. Friedhelm Jürgensmeier, Mainz, in:
Franz Adam Landvogt 1889-1953. Gedenkheft zum 50. Todestag 2003, hg. von Barbara Nichtweiß. Neuauflage Mainz 2009.

 

Die Grabstätte Pfarrer Landvogts in der Peterskirche
  
Pfarrer Landvogt wurde 1953 in der Krypta der Peterskirche beigesetzt. Seit 1989 befindet sich sein Sarkophag im nördlichen Turm der Kirche.
2009 wurde seine Ruhestätte von dem Bildhauer Karlheinz Oswald künstlerisch neu gestaltet und renoviert. Nachdem Oswald bereits 2003 zum 50. Todestag eine Bronzeplastik mit dem Portrait Landvogts an seinem Sarkophag aufgestellt hatte, wurden nun neben Kreuz, Leuchter und zwei Ständern insbesondere zwei Buntglasfenster vor die beiden bereits bestehenden Fenster eingesetzt (von den Glaswerkstätten Derix aus Taunusstein). Je nach Tageszeit und Helligkeit erscheint der Raum nun in unterschiedlichen Farben und mystischem Licht. Insgesamt ist er sehr schlicht gehalten: die noch erhaltene Grabplatte wurde in eine Wand eingelassen und eine Votivtafel gibt Zeugnis: „Pfarrer Landvogt hat geholfen". Eine kleine Gedenktafel am Eingang des Raumes gibt in aller Kürze den Besuchern Auskunft über Leben und Botschaft des Seelsorgers, der auch heute noch insbesondere von den älteren Mainzern geschätzt und verehrt wird:

Gott ist die Liebe

Franz Adam Landvogt
1889 - 1953

Hilfsbereit und selbstlos bis zum Äußersten
sorgte Pfarrer Franz Adam Landvogt
für Arme, Kranke, Obdachlose und für die Jugend
in den Notzeiten der Kriegs- und Nachkriegsjahre.
Er bleibt den Menschen als
„Vater der Armen"
in verehrungsvoller Erinnerung.

Am 5. Oktober 2009 wurde die neugestaltete Ruhestätte von Pfarrer Landvogt im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes von Bischof Karl Kardinal Lehmann gesegnet.

Die Botschaft von Pfarrer Landvogt lebt fort

In der karitativen Einrichtung „Pfarrer-Landvogt-Hilfe e.V" und im ökumenischen wöchentlichen Mittagstisch für Bedürftige in den Pfarreien der Mainzer Innenstadt bemühen sich engagierte Christen um in Not geratene Menschen. Zwei Arbeiten von Schülerinnen der 8. bzw. 11. Klasse des Rabanus-Maurus-Gymnasiums, die sich mit dem Leben von Pfr. Landvogt ausführlich beschäftigten, gehören zu den 20 rheinlandpfälzischen Landessiegern im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 2008/2009 zum Thema: „Helden: verehrt - verkannt - vergessen". Beide Arbeiten halten Zeitzeugnisse gegenwärtig und können gern im Pfarrbüro eingesehen werden. Dem Mainzer Stadtrat liegt derzeit ein Antrag vor, eine Straße nach Pfarrer Landvogt zu benennen. Anliegen des Pfarrgemeinderates wie auch des Seelsorgerates der Mainzer Innenstadt ist es, die Botschaft des Lebenszeugnisses von Pfr. Landvogt, die gelebte Caritas, lebendig zu halten.


Hände...
„Leere Hände können schlaffe Hände werden, schmutzige Hände, diebische Hände, müßige Hände, geballte gefährliche, zerstörende, mordende Hände - aber sie können auch gütige, helfende segnende Hände werden, Mutterhände, Vaterhände: Herr, in deine Hände sei Anfang und Ende, sei alles gelegt."
Pfarrer Landvogt, Silvester 1948