Schmuckband Kreuzgang

Brian Moore: Schwarzrock

Auf-gelesen - Literarische Fundstücke (100)

Brian Moore - Schwarzrock (c) DIOGENES
Brian Moore - Schwarzrock
Datum:
Mo. 16. Nov. 2020
Von:
Marcel Schneider (Red.)

Moore, Brian (Verfasser): Schwarzrock : Roman / Brian Moore ; aus dem Englischen von Otto Bayer ; mit einem Nachwort von Julian Barnes. - Zürich : Diogenes, 2020. - 288 Seiten. - ISBN 978-3-257-07145-0 Gewebe : circa EUR 24.00

Der historische Roman „Schwarzrock“ ist eigentlich keine Neuerscheinung, doch wenn ein Verlag einen über zwanzig Jahre alten Text wieder auflegt, dann wohl deshalb, weil er an Aktualität nichts eingebüßt hat.

Aber wie kann eine Geschichte, die ins Kanada des 17. Jahrhunderts zurück geht, aktuell sein? Weil sie eines der ältesten und heute noch bestehenden Spannungsfelder der Menschheit zum Thema hat: das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen und Glaubenswelten, wobei sich jede der anderen haushoch überlegen fühlt.

Und fremder kann sich der Gegensatz verschiedener Völker gar nicht anfühlen, als in Amerika um 1650. Europäische Einwanderer versuchen, getrieben von den unterschiedlichsten Interessen, den noch unbekannten Kontinent zu erobern, wobei sie zwangsläufig in die Welt indigener Stämme eindringen. Der Roman ist in „Neufrankreich“ im heutigen Kanada angesiedelt, Québec ist eine Siedlung mit ein paar Holzhäusern, einem Fort und einer Jesuitenniederlassung. Nicht einmal Kolonie kann man den Flecken nennen, denn eigentlich gibt es nur Pelzhändler und Priester.

Die Pelzhändler scheinen sich recht gut mit den Indianern zu arrangieren, einige sind rein äußerlich von ihnen gar nicht mehr zu unterscheiden, während die Missionare sich deutlich distanzierter zu ihnen verhalten. In ihrem Sprachgebrauch sind das „Wilde“, umgekehrt werden die Priester aufgrund ihrer Kleidung einfach „Schwarzröcke“ genannt. 

Als in Québec der Hilferuf einer entfernten Missionsstation eintrifft, man möge Ersatz für einen erkrankten Priester schicken, sollen Pater Paul Laforgue und der Siedler Daniel die Reise dorthin antreten. Der Weg ins Winterquartier des Stammes der Algonkin führt in die Richtung der Station, deshalb werden die beiden jungen Männer seinem Schutz anvertraut, als Gegenleistung gibt es Waffen und Munition. 

Die gemeinsame Reise durch die Wildnis wird für Paul zu einer extremen Herausforderung, körperlich, psychisch und hinsichtlich der Festigkeit seines Glaubens. Er erlebt brutale Gewalt, die „Wilden“ sind distanzlos, ihre Sprache ist grob, unflätig und obszön, selbst in Bezug auf ihre Sexualität kennen sie keine Intimsphäre. Die Stammesmitglieder misstrauen ihm, sie vermuten, dass er sie mit seinem „Wasserzauber“, der Taufe, unterwerfen möchte. Daniel verliebt sich in eine junge Frau des Stammes und entfernt sich innerlich immer weiter von dem Geistlichen.

Paul begreift allmählich, wie diametral sich der Glaube der Stammesmitglieder von seinem eigenen unterscheidet. Für sie ist der Tod der Eintritt in eine Nacht ohne Hoffnung, nur im irdischen Dasein gibt es Licht und Leben, so hart es auch ist. Dagegen lehrt das Christentum, dass nach einem entbehrungsreichen, gläubigen Leben das Paradies erst im Himmelreich wartet. Was er nicht begreift, ist, wie sehr sie sich ihm überlegen fühlen, weil er den lebendigen Geist, der aus Bäumen, Tieren, Flüssen zu ihnen spricht, nicht zu erkennen vermag. Er bewegt sich blind und taub durch die Natur, während sein Gott sich irgendwo weit oben befindet.

Trotz aller Widrigkeiten erreicht Paul die Station und das umliegende Dorf, wo ein Fieber grassiert, an dem nicht nur die Priester, sondern auch ein Großteil der dort lebenden Bevölkerung bereits verstorben sind. Kann sein „Wasserzauber“ den Bann brechen und die Erkrankten vom Fieber heilen? Darf er taufen, auch wenn die Dorfbewohner sich gar nicht auf die Weisungen des Christentums einlassen werden? Kann er überhaupt verlangen, dass sie sich darauf einlassen, wenn er ihnen damit alles nimmt, was ihr Leben und ihre Identität ausmacht? Er bleibt mit seinen Fragen und Zweifeln allein.

Brian Moore stand für seine genaue Beschreibung dieser Reise eine authentische Quelle zur Verfügung. In den „Relations des Jésuites de la Nouvelle-France“ sind die Jahresberichte (von 1632 - 1673) der Patres an ihre Oberen in Frankreich gesammelt, in denen sie über die Fortschritte ihrer Missionierung in der Neuen Welt berichten sollten. Aus dieser Lektüre und vielen weiteren Studien erschloss sich ihm „welch einzigartige und ergreifende Tragödie sich zugetragen haben muss, als der Indianerglaube an eine Welt der Nacht und die Macht der Träume mit der jesuitischen Verkündigung des Christentums und eines Paradieses nach dem Tod zusammenprallte. Dieser Roman will zeigen, wie der Glaube des jeweils einen bei dem anderen Angst, Feindseligkeit und Verzweiflung weckte, …“ so beschreibt der Autor sein Anliegen im Vorwort (S.11).

Der Roman ist keine leichte Kost, aber ohne die realistische Beschreibung der so unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten wäre er wohl auch weniger intensiv.

Und wie gesagt: Die Frage, was passiert, wenn Glaubensüberzeugungen aufeinandertreffen und der Wille fehlt, sich zuhörend und um Verständnis bemüht auf den anderen einzulassen, ist leider immer noch aktuell.

„Schwarzrock“ ist ein Lehrstück, das nachwirkt.

Katharina Dörnemann

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