Schmuckband Kreuzgang

Cathy Bonidan: Das Glück auf der letzten Seite

Auf-gelesen - Literarische Fundstücke (113)

Cathy Bonidan: Das Glück auf der letzten Seite (c) Verlag Paul Zsolnay
Cathy Bonidan: Das Glück auf der letzten Seite
Datum:
Mo. 5. Dez. 2022
Von:
Marcel Schneider (Red.)

Bonidan, Cathy (Verfasser): Das Glück auf der letzten Seite : Roman / Cathy Bonidan. –  1. Auflage. – Wien : Zsolnay, Paul, 2022. – 272 Seiten. – 978-3-552-07304-3 : EUR 23.00 (DE)

In Zimmer 128 - dies ist auch der französische Originaltitel - findet Anne-Lise in einem kleinen gemütlichen Hotel im hohen Norden der Normandie ein Manuskript. Es hat anscheinend ein Gast in der Schublade des Nachttischs vergessen. Man sieht diesem Manuskript auf den ersten Blick an, dass es schon einige Jahre alt sein muss, denn es wurde noch mit einer Schreibmaschine getippt.

Neugierig beginnt Anne-Lise zu lesen. Sie ist von dem Text, einer Liebesgeschichte, fasziniert, und findet zwei Dinge heraus: Es ist einer der schönsten und berührendsten Texte, den sie seit langem gelesen hat, und das Ende der Geschichte wurde offensichtlich von einem zweiten, anderen Autoren geschrieben. Sie entdeckt zwischen den Seiten einen Namen und eine Adresse und schickt den Text dorthin, in der Hoffnung, den Autor gefunden zu haben, der ihr auch erklären könnte, wer die Geschichte zu Ende schrieb und wie sie im Finistère in die Schublade des Hotels gelangte.

Wir Leser werden nun auf eine spannende und abenteuerliche Reise auf der Suche nach den Autoren mitgenommen sowie auf den Weg, den dieser Text in all den Jahren zurückgelegt hat. 

Beharrlich und engagiert gelingt es Anne-Lise, zum Autor des ersten Teils des Manuskripts Kontakt aufzunehmen. Sylvestre lebt sehr zurückgezogen und ist über die Kontaktaufnahme seitens Anne-Lise nicht erfreut.

So viel sei verraten: Sylvestre schrieb diese Liebesgeschichte, sein einziges Werk, vor 30 Jahren und verlor sie auf einem Flughafen, irgendjemand anderes schrieb die Geschichte zu Ende.

Aber Anne-Lise lässt nicht locker: Wo war der Text 30 Jahre lang, wer hat den Schluss geschrieben und wer hat ihn in die Schublade gelegt? Die Gäste, die vorher im Zimmer 128 waren, erklären, dass die Schublade leer war!

Ja, man kann schon sagen, Anne-Lise ist von dem Manuskript wie besessen. Unermüdlich verfolgt sie Schritt für Schritt, in mühevoller und detektivischer Kleinarbeit, den Weg der verloren gegangenen Schreibmaschinenseiten bis sie weiß, durch welche Hände der Text all die Jahre ging und wer das Ende geschrieben hat.

Zwischen Anne-Lise und Sylvestre entwickelt sich nun ein reger Briefkontakt. Anne-Lise lernt durch den Weg, den der Text genommen hat jede Menge interessante Menschen und deren Schicksale kennen, und erfährt was das Lesen der Liebesgeschichte bei diesen bewirkte.

Anne-Lise wird klar, dass diese Liebesgeschichte nicht nur sie fasziniert hat, sondern auch alle, die mit ihr zu tun hatten, wie sie deren Leben veränderte, durcheinanderwirbelte oder sogar in eine neue Richtung gelenkt hat.


Cathy Bonidan hat diesen Roman in Briefform geschrieben, der Roman besteht aus der Korrespondenz zwischen Anne-Lise und dem Autor des ersten Teils,  Sylvestre, zwischen Anne-Lises und ihrer Freundin Maggie , und all den Menschen, von denen Anne-Lise herausfindet, dass sie das Manuskript gelesen haben.

Es ist spannend und auch überraschend, mitzuverfolgen, wie der Weg des Textes von der Nachttischschublabe von Zimmer 128 bis zu dem Moment zurückverfolgt wird, als Sylvestre das Manuskript verlor.

Die Personen, die Anne-Lise kontaktiert sind authentisch, interessant und auch irgendwie sympathisch. Es entwickeln sich durch die Kontaktaufnahme und die Briefe von Anne-Lise viele Freundschaften und auch Beziehungen zwischen den Lesern der Geschichte. Es ist schön zu erfahren, wie der Text, den Sylvestre als junger Mann begonnen hat, so viele Menschen berührt hat. Die Lösung, wer die Geschichte zu Ende schrieb und warum, ist überraschend, überzeugend und emotional.

Das Glück auf der letzten Seite ist in einer wunderschönen Sprache geschrieben, das Briefformat des Romans ist vielleicht etwas ungewöhnlich, liest sich aber gut und ist interessant und fesselnd.

Kurzum: ein literarisches Wohlfühl-Buch, eine wunderschöne Liebeserklärung an die Macht der Worte, ans Lesen sowie auch ans Briefe schreiben.

Ja, Bücher können Leben verändern.

Ich habe dieses Buch mit einem Lächeln zu Ende gelesen!


Martina Bouché, Bücherei am Dom

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