Schmuckband Kreuzgang

Frank Witzel: Inniger Schiffbruch

Auf-gelesen - Literarische Fundstücke (91)

Frank Witzel: Inniger Schiffbruch (c) Matthes & Seitz Berlin
Frank Witzel: Inniger Schiffbruch
Datum:
Mi. 30. Sep. 2020
Von:
Marcel Schneider (Red.)

Witzel, Frank (Verfasser): Inniger Schiffbruch : Roman / Frank Witzel. - Erste Auflage. - Berlin : Matthes & Seitz Berlin, 2020. - 355 Seiten. - ISBN 978-3-95757-838-9

In seinem Roman „Inniger Schiffbruch“ gerät der Erzähler nach dem Tod der Eltern in eine Depression und mit dem Ableben des Vaters kommen die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit wieder. Ob in seinen Träumen oder mitten am Tag, die Bilder und Erinnerungen scheinen ein Schlupfloch gefunden zu haben.

Der Erzähler in Frank Witzels autobiografischem Roman geht mit seiner Trauer ganz eigen um, denn er möchte die Erlebnisse seiner Kindheit niederschreiben, auch wenn seine Psychologin dies nicht als angemessene Trauerarbeit bezeichnet.

Die Erinnerungen wollen sich jedoch nicht auf Anhieb einstellen, doch nach und nach festigen sich die einzelnen Bilder und die Vergangenheit wird immer deutlicher. Fotos helfen bei der Auffrischung der Erinnerung an die eigene Kindheit. Für den Erzähler scheinen aber besonders gerade die Bilder, die nicht in das elterliche Fotoalbum geklebt wurden, seine wahre Kindheit zu zeigen. 

Die Träume des Erzählers scheinen dabei mit seinen Erinnerungen zu spielen. Er träumt von den Hunden seiner Eltern, obwohl diese nie Haustiere besaßen. Auch träumt er von einem ausgestopften Rhinozeros, das es im Haus seiner Eltern ebenfalls nie gegeben hat. Dieses Tier begegnet dem Leser auch auf dem Cover des Buches und verfolgt den Erzähler, bis er auf die wahre Bedeutung des Tieres stößt, die ich hier aber nicht verraten möchte.

Auch die Heimlichkeiten der Eltern erkenne ich in den Erzählungen über meine eigenen Großeltern wieder. Interessant ist dabei die These des Autors, ob die Wahrheit nur vor den Kindern abgeschirmt werden sollte, oder ob die Erwachsenen damit auch sich selbst abschirmen wollten. Genau diese Aussage hat mich persönlich am meisten zum Nachdenken angeregt und ich hätte meine Großeltern sehr gerne dazu befragt. Mit dem Erzähler zusammen durchleben wir klar strukturierte Sonntage, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung der Eltern und Disziplinierungsmaßnamen der Nachkriegsgeneration, die es auch nicht anders kannten. Der Schmerz der eigenen Kindheit wird von den Eltern des Erzählers unwissentlich an ihn weitergegeben. Wir entdecken das Abendprogramm, die Musik und Technik der damaligen Zeit und auch weltbewegende Ereignisse wie die Mondlandung. 

Mir selbst hat das Werk von Frank Witzel so gut gefallen, das mir als Leserin die Möglichkeit des Eintauchens in das alltägliche Leben einer Nachkriegsfamilie gewährte. Als Anfang 30-Jährige habe ich meine Großeltern über all diese Geschichten und Erlebnisse selbst nicht mehr befragen können, daher ist der detailliert beschriebene Einblick von Frank Witzel sehr bewegend. Aus einzelnen Erzählungen meiner Eltern erkenne ich Überschneidungen, die mich als Leserin schmunzeln ließen. Leser aus der Generation des Autors teilen mit Sicherheit die eine oder andere Erinnerung der eigenen Kindheit. 
Der Schreibstil des Autors ließ sich gut und flüssig lesen. Ich kann das Buch uneingeschränkt empfehlen.

Ihre Viktoria Steffen

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