Schmuckband Kreuzgang

Jean-Philippe Blondel - 6 Uhr 41

Auf-gelesen - Literarische Fundstücke (62)

6 Uhr 41 Cover Blondel (c) Deuticke Verlag
6 Uhr 41 Cover Blondel
Datum:
Fr. 13. März 2015
Von:
Marcel Schneider (Red.)
Blondel, Jean-Philippe: 6 Uhr 41 : Roman / Jean-Philippe Blondel. Aus dem Franz. von Anne Braun. - Wien : Deuticke, 2014. - 192 S. ISBN 978-3552062559, 16,90 €

Ich möchte Ihnen ein Buch von Jean-Philippe Blondel mit dem Titel "6 Uhr 41" vorstellen, das in Frankreich schlagartig zum Bestseller und zum Lieblingsbuch der Buchhändler wurde. Dort zählt Blondel zu den beliebtesten Gegenwartsautoren.

6 Uhr 41 ist die Abfahrtszeit des Zuges von Troyes nach Paris.

Es ist Montag und Cécile ist sauer über sich und ihr verpfuschtes Wochenende bei den mittlerweile alten anstrengenden Eltern. Ihr Mann Luc und die siebzehnjährige Tochter Valentine wollten nicht mitfahren, sie haben sich nicht überreden lassen.

Philippe fährt heute Morgen nach Paris seinen todkranken Freund Mathieu besuchen. Auf den Weg dorthin denkt er wehmütig über sich, seine Scheidung von Christine vor über zehn Jahren und an seine nun fast erwachsenen Kinder nach. Gedankenverloren streift er durch den Zug auf der Suche nach einem Sitzplatz.

Cécile hat es sich mittlerweile im Zug bequem gemacht, sogar ihr Nachbarsitz ist noch frei und der sollte am besten auch frei bleiben. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtet sie einen Mann, der zögerlich nach einem Sitzplatz Ausschau hält. Sie versucht so unbeteiligt wie möglich zu wirken, nicht aufzufallen und vor allen Dingen keine einladende Geste soll ihn zum Bleiben auffordern. Aber es nützt nichts, der Mann fragt nach dem leeren Platz neben ihr. Notgedrungen und leicht verärgert nimmt sie ihre Handtasche vom Nachbarsitz und schaut ihn missmutig an.

Dies ist der Auftakt zu einem wundervollen Kammerspiel der Gefühle zwischen Cécile und Philippe.
Die beiden erkennen sich nach fast über 30 Jahren, beide erschrecken, sind schockiert, beide geben sich nach außen hin cool und bei beiden beginnt ein Ablauf der Erinnerungen. Ja damals waren sie für ein paar Monate ein Liebespaar, verbrachten ein gemeinsames, schreckliches Wochenende in London und sahen sich nie wieder.

Tja, wie ist es wenn man nach fast drei Jahrzehnten unverhofft und unerwartet wieder nah neben seiner Jugendliebe sitzt?

Da begegnen sich zwei Menschen, die einmal für ein paar Monate ein Liebespaar waren, die sich eine Welt ohne den anderen nicht vorstellen konnten. Und dann geriet diese Liebe ins Wanken und fand ein jähes Ende. Was war geschehen? Was lief damals schief?

Cecile und Philippe sitzen 1½ Stunden bis Paris nebeneinander. Werden Sie miteinander reden, bleibt es beim Schweigen? Wie gehen Sie nach der Zugfahrt auseinander?

Eine alltägliche Geschichte, wie sie vielen Menschen nicht fremd ist und gerade das ist das Spannende. Der Roman lässt keinen kalt, da er beim Lesen auch immer wieder Fragen über das eigene Leben aufwirft.

Blondel hat eine klare nüchterne Sprache, er beschreibt knapp und präzise Lebensentwürfe, Gefühle, Ängste und Sehnsüchte. Der ganze Roman ist als Gedankenstrom verfasst und abwechselnd aus der Sicht von Cécile und Philippe geschrieben.

Ich möchte Ihnen nicht verraten wie die Geschichte ausgeht und falls Sie den Roman lesen, verkneifen Sie es sich, vorab die letzte Seite zu lesen, auch wenn es schwer fällt.

Ihre Ursula Bittel