Schmuckband Kreuzgang

3. Ostersonntag: Zwischen Sehnsucht nach „Rückkehr zum Normalzustand“ – und der Hoffnung und Befürchtung, dass „nichts mehr so ist, wie es war“

Liebe Brüder und Schwestern,

(c) Pfarrer St Fillauer
Datum:
Di. 21. Apr. 2020
Von:
Pfarrer St Fillauer

eines ist in den letzten Wochen sicherlich gelungen: Dass die verschiedensten Einrichtungen, Gruppen, Menschen … versucht haben, diese Zeit zu füllen und zu „gestalten“: Wir bleiben zuhause;

 zusammenstehen – das waren etwa stete Einblendungen im TV. Auch das Radio hat einen „Rundumschlag“ der Unterhaltung initiiert, etwa auch in der Neuaufnahme alter Schlager. Im Ohr habe ich beispielsweise „Die Fischer von San Juan“ – oder auch die „Insel hinterm Horizont“ der Gruppe Xanadu. Sind es da zwei Fischer, die im Streit um ihre Liebe aufs weite Meer im Boot hinausfahren „zu den fernen Inseln, und kommt nie an“, und das Meer allein weiß, „warum es nie wieder kam“ – so  ist es dort ein in Armut lebender Dreizehnjähriger, der aus den Slums wegläuft, im Traum von einer „Insel hinterm Horizont“, wo es sich für ihn zu leben lohnt, Freiheit für immer … und am Ende heißt es enttäuschend, dass es die ja nicht gib, die „Insel hinterm Horizont“.

Zwei ebenso unterschiedliche und ähnliche wie ernste Themata in ihrer Verbindung: Menschen voller Hoffnung und Zuversicht nach einer besseren Welt und Zukunft; und beidemal werden sie enttäuscht, münden ein ins ewige Nichts.

Das war in ganz anderer Weise ja auch in der vergangenen Woche der Fall: Ja; wieder einmal „Corona“. Menschen haben langsam „genug“ von den Maßnahmen; „man“ sehnt sich nach der Rückkehr zum Normalzustand und weiß, dass dies alles andere als leicht sein wird; oder anders, um das geflügelte Wort des „11. September“ zu gebrauchen: „Es wird nichts mehr so sein, wie es einmal war.“

Ja, die vergangenen Wochen haben unsere Welt gezeichnet und verändert, so dass wir bei aller verständlichen Sehnsucht nach der Rückkehr zum normalen Alltag ebenso eingestehen müssen, dass wohl nichts mehr so sein wird, wie es einmal war. Aber – darin darf durchaus eine Chance liegen! Nicht nur, dass wir manches vielleicht bewusster angehen sollten, um es er-leben zu dürfen, was sonst „einfach so lief“ und „mitgenommen wurde“. Etwa, dass es nicht selbstverständlich ist, auch bei uns, dass alle Regale ständig gefüllt sind, dass man u.U. warten lernen muss, eine Er-Wartungs-Haltung auch kultivieren kann (fast „adventliche Gedanken!“). Einfach so weiter (wie vorher oder bisher) wäre weder gut noch möglich. Aber – wie den Spagat bestehen zwischen diesen beiden Polen? Wie kann Normalität werden und gleichzeitig nichts mehr, wie es war? 

Und da sind wir wieder mitten im österlichen Geheimnis, - auch das war und ist ja total anders gewesen für uns alle, und dennoch fand Ostern statt, feiern wir die heiligen 50 Tage der Pentecoste als die große Festzeit des Kirchenjahres, die Osterzeit – und konnten dabei vielleicht unsere so ganz andere, neue, und hoffentlich auch wesentliche Ostererfahrung machen; vielleicht und ebenso hoffentlich auch Sehnsucht und Erwartung, was eigentlich zählt und uns „gefehlt“ hat!

Die Jünger damals – und wir sagten ja schon öfters, dass Ostern 2020 uns vielleicht wesentlicher an das Geschehen von vor 2000 Jahren heranführen kann – standen in derselben Situation, vor demselben Spagat: Die Rückkehr in die Normalität des Alltags – und gleichzeitig mit der Erfahrung und dem Bewusstsein, dass nichts mehr so sein wird, wie es war. Bleiben wir beim Letzten: Ihre Hoffnung in Jesus als Christus, Messias, Sohn Gottes, war kläglich  gescheitert, zerplatzt wie eine Seifenblase; wir hören noch die Emmaus-Jünger „Wir aber hatten gehofft!“. Aber wie für sie, die Jerusalem verlassen wollten nach der Katastrophe des Karfreitags, so sollte und musste auch das Leben für alle anderen weitergehen; von der Erinnerung an schöne Zeiten und Erlebnisse mit Jesus zu träumen und von „Liebe und Luft“ zu leben – das ging nicht. In dieser Situation sind sie alle, Petrus und seine Begleiter, viele von ihnen alterfahrene und altgediente Fischer. Da wollen sie anknüpfen für ein neues Leben, im gelernten Alltag, der für sie früher Routine war, im Fischerhandwerk – und müssen die schreckliche und schmerzhafte Erfahrung machen, dass sie vielleicht in der Zeit mit Jesus davon etwas an Handwerkskunst eingebüßt, verlernt haben: Starke Truppe – großer Misserfolg, noch größere Enttäuschung: in dieser Nacht fingen sie nichts! (Joh 21,1-14).

Wie oft ist das auch schon vor Corona unsere enttäuschte Erfahrung: Wir rackern uns ab, auch in der Kirche, aber der Erfolg bleibt auf der Strecke. „Wir aber hatten gehofft!“ – „Aber in dieser Nacht fingen sie nichts!“

Hier möchte ich die beiden Schlager des Anfangs „ins Boot“ holen: In der Sehnsucht des Träumens von der Insel hinterm Horizont oder der Sehnsucht nach der ewigen Liebe blieb ja am Ende auch die enttäuschte Leere eines uferlosen Nichts. Halt! Hier ereignet sich eben und aber Ostern! Denn da steht Einer am anderen Ufer, das da ist, existent, und Er wartet auf uns, Er erwartet uns! Das ist Ostern! Nein, nicht das Nichts einer Uferlosigkeit in der Nacht des Todes am Ende unseres Erdenlebens, über die wir uns mit gut gemeinten Worten des Beileides und der Anteilnahme hinwegtrösten sollen, und die uns vielleicht im Letzten doch nicht treffen können; und auch keine vage Vermutung, wie es weitergehren könnte, deren im Markt der Möglichkeiten von Ideologien und Religionen ein weites Spektrum sich auftut! Nein! Jesus Christus ist auferstanden mit Leib und Seele, verwandelt, und doch derselbe. Rückkehr in die Normalität, und dennoch ist nichts mehr, wie es war: Derselbe ist da, anders, aber existent, wahrhaftig und wirklich: Er ist auferstanden, sagt Paulus beschwörend, und resümiert damit die Erfahrung der Jünger und ersten Zeugen! Und wir? Und heute? Und – Ostern in Corona-Zeiten? Schlägt nicht das heutige Evangelium den Bogen, die Brücke – in vielfacher Weise und Hinsicht:

Zunächst: Am anderen Ufer, jenseits der Schwelle des Todes ist einer, ist Er, und wartet auf uns. Wir brauchen also auch und gerade als Christen keine Angst vor Sterben und Tod zu haben. Aber – wir dürfen dem nicht ausweichen, wir dürfen es durchaus thematisieren: „Seid bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach dem Grund eurer Hoffnung fragt“, sagt Paulus. Zugegeben, von der ist heute auch bei Christen oft recht wenig zu verspüren, so dass wir gerade deshalb infrage gestellt, angefragt werden könnten und sollten! Da geht es ans Eingemachte! Wie weit reicht unser Osterglaube – an die personale Wirklichkeit des Auferstandenen? Dem Thomas zeigte Er Seine Wunden. Heute holt Er die Jünger trotz aller Schaffenskraft mitten in der Enttäuschung über ihren eigenen Misserfolg ab! „Getrennt von Mir könnt ihr nichts tun“ sagt Er im  Weinstocks-Gleichnis. Unsere Misserfolge, unser Scheitern, unsere Enttäu-schung über uns selbst, sollen und dürfen wir Ihm geben, Ihm anvertrauen. „Jesus, ich vertraue auf Dich!“ Das Wort der hl. Faustina am Fest der Göttlichen Barmherzigkeit des letzten Sonntags. Wo wir uns am anderen Ufer, in Ihm, im Himmel, im Auferstandenen verankern und mit Ihm gehen, da  können wir mit Petrus das Netz noch einmal auswerfen; und dann gehen uns Augen und Ohren über von der Erfahrung des Glaubens. Aber wir müssen Ihm und unserem Glauben auch etwas zutrauen. Die Jünger in der Urgemeinde traten mit dieser großen Glaubenskraft und diesem Selbstbewusstsein auf, und so konnten sie Wunder und Zeichen wirken, so bebte bei ihrem Gebet die Erde! 

 Unsere Armut und Armseligkeit will Er füllen, daher Seine Frage: „Habt ihr etwas zu essen?“ Um erfahrbar zu machen, was im Vertrauen auf Ihn möglich ist, aber gleichzeitig zu erfahren, dass Er bereits den Tisch gedeckt hat: Brot und Fisch liegen bereits bereit. Brot – Zeichen der Eucharistie; Fisch – die Erinnerung an das Glaubensbekenntnis der ersten Christen in Zeiten der Verfolgung; ergeben doch die Anfangsbuchstaben der griechischen Worte „Jesus Christus Gottes Sohn Erlöser“ das griechische Wort „Fisch“. „Wer im Herzen glaubt und mit dem Mund bekennt, wird gerettet“ schreibt der Apostel. Eucharistie und Glaube. Die dritte Erscheinung des Auferstandenen macht den Spagat von Rückkehr in den Alltag und dass gleichzeitig nichts mehr ist, wie es war, konkret wirklich und erfahrbar: Denn Er ist auferstanden! Er ist da und lebt, aber andres. Derselbe, aber anders! Und Er will uns mitnehmen, mitreißen in die Ostererfahrung beim reichen Fischfang. 

Halt - da kommt noch eines hinzu: Den Hinweis, wer der am andreren Ufer ist, gibt dem Petrus der Lieblings-jünger Johannes mit dem Wort „Es ist der Herr!“ – Glaube an Ihn als den Herrn und die Erkenntnis der Liebe gehören untrennbar zusammen. Nur das liebende Herz kann Ihn als Herrn erkennen und anerkennen. Das bekleidet uns wie die Blöße des Petrus. Denken wir doch in diesen Ostertagen an das Geschehen der Taufe, über die der Apostel schreibt, dass wir Jesus Christus angelegt haben wie ein Gewand. Das Taufkleid kündet davon; auch bei den in der Osternacht getauften Christen der Frühzeit, die am Weißen Sonntag ihre Kleider ablegten, weil sie nun selbst zu Zeugen, zu „lebendigen Taufkleidern“ geworden waren (daher auch der Name Weißer Sonntag).

Spüren wir hier, wie Er uns eine Brücke baut, verwandelt in den Alltag, weil mit Ihm, dem Auferstandenen. Das war ja schon Seine Botschaft an die Frauen am Ostermorgen: Sagt den Jüngern, sie sollen nach Galiläa (d.h. ihre Herkunft) gehen, dort werden sie Mich sehen. Das gibt Mut, das gibt Zuversicht des Glaubens an die Auferstehung, weil wir an den Auferstandenen glauben und uns ganz getrost Ihm anvertrauen können im Leben und Sterben. Er führt uns nicht zu einer namenlosen inexistenten „Insel hinterm Horizont“, sondern ins Land der Verheißung, in Seinen Ostersieg, durch das Dunkel der Nacht des Todes. Auch daran erinnert das Scheitern der Jünger vor dem reichen Fischfang.

Wie kann der Bogenschlag gelingen? Nicht zweckdienlich scheinen mir Äußerungen wie „Gottesdienstausfälle als Luxusprobleme“ oder dass wir „nur auf die Eucharistie fixiert“ seien – so Wortmeldungen der letzten Tage. Beides scheinen mir Grundansätze und Grundfragen unseres gläubigen Selbst-verständnisses zu sein. Die Märtyrer von Abitene, die im heutigen Tunesien unter Kaiser Diokletian am Anfang des 4. Jahrhunderts ihr Leben für ihren Glauben hingaben, fassten auf beides die Antwort zusammen: „Sine dominico non possumus – Ohne die Eucharistie und die Zusammengehörigkeit zum / im Herrn, ohne uns am Sonntag zur Feier der Eucharistie zu versammeln, können wir nicht sein!“ (freie Übersetzung). Eucharistie und Gottesdienst sind Grund-Lebenselixier der Kirche, damals wie heute. Sie führen uns in den und im Alltag der Normalität, aber anders: als andere, als österliche Menschen, als neue Menschen in Christus. Das bedeutet Osterglaube, nicht nur in Corona-Zeiten in der Sehnsucht nach „Rückkehr zum Normalzustand“ – und der Hoffnung und Befürchtung, dass „nichts mehr so ist, wie es war“. Amen.