Welches Schiff hier in der Nummer 236 des Gotteslobs gefahren kommt mit teurer Last, das war für die Menschen des Mittelalters leicht zu erkennen: Es konnte nur von Maria die Rede sein. Bevor das Lied von einem evangelischen Pfarrer in die heutige Form gebracht wurde, war Jesu Mutter darin noch direkt angesprochen, heute ist sie nur noch in Sprachbildern versteckt.
Der Ursprung dieses dichterischen Stücks Theologie liegt im Dunkeln: Als der evangelische Pfarrer Daniel Sudermann (1550-1631) es in sein Gesangbuch aufnahm, bezeichnete er es schon als „ein uraltes Gesang“. Er schrieb es dem Dominikaner Johannes Tauler (1300-1361) zu, der lange im Inselkloster „St. Nikolaus in den Wellen“ am Oberrhein nahe Straßburg lebte. Zumindest aus diesem Kloster stammt tatsächlich das ursprüngliche Manuskript, das Sudermann benutzt hat.
In diesem Originaltext folgt auf jede der fünf Strophen noch ein Refrain, der die Gottesmutter Maria als „edele kunyngynne“ (Königin) lobt. Dies strich der Protestant Sudermann heraus, übernahm von den Strophen auch nur die ersten drei, die er umdichtete, und fügte stattdessen drei neue Strophen an. Forscher vermuten, dass ohnehin nur die drei ersten Strophen des Manuskripts das Original waren, da nur sie einem bestimmten komplizierten Reimschema folgten. Nach der Glättung durch Sudermann ist diese Besonderheit allerdings nicht mehr merkbar.
Auch ohne den Refrain ist das Stück im Grunde noch ein Marienlied, wenn man die bildhaften Formulierungen des Textes genauer betrachtet. Die ersten beiden Zeilen jeder Strophe sprechen immer in Metaphern, die letzten beiden liefern die Auflösung dazu. So ist zuerst vom schwer beladenen Schiff die Rede, dann wird es erklärt: Hier kommt Jesus Christus zu uns. Entsprechend wird das Anlanden in der dritten Strophe erläutert als die Ankunft des Herrn. In den hinzugefügten Strophen 4 bis 6 findet man diesen Wechsel von Allegorie und Deutung nicht mehr.
Die zuerst im Andernacher Gesangbuch von 1608 notierte Melodie greift die Zweiteilung auf, in Takt und Harmonien: die ersten beiden Zeilen stehen im Dreiertakt (Symbol für das Göttliche) und der Kirchentonart Dorisch (heute d-Moll), die letzten beiden im Vierertakt (das Irdische) und Lydisch (heute F-Dur). Das lässt das Lied, das einer der ältesten geistlichen Gesänge in deutscher Sprache ist, auch formal herausstechen.
Im Symboldenken des Mittelalters lag der Schluss vom Schiff, das Christus trägt, auf Maria nahe – zumal die damaligen Segelschiffe ohnehin als weiblich gedacht wurden. Der Heilige Geist, der über Maria kam, treibt entsprechend das Schiff voran. Dass Jesus an den Küste der Menschheit vor Anker gegangen ist, bleibt auch für uns ein schönes Sprachbild. Doch ist der Marienbezug nicht die einzige Sinnebene des Textes: Es geht auch um die Ankunft Jesu in den Herzen der Gläubigen, mit der Seele als Schiff.
Sudermann hat nicht nur aus dem Marien- ein Christuslied gemacht, sondern hat in seinen hinzugefügten Strophen auch den Fokus erweitert: Von der Ankunft des Herrn auf seine Passion, von der Freude auf das Leiden. Im Originaltext reimt sich in der 5. Strophe noch „Küssen“ auf „Gelüsten“, nun kommen stattdessen „Pein und Marter“ ins Spiel.
Über Jahrhunderte führte das Lied ein Schattendasein, erst das „Evangelische Gesangbuch für Elsaß-Lothringen“ (Straßburg 1899) ebnete ihm den Weg in den Gottesdienst. Auf katholischer Seite fand es sogar erst mit der Aufnahme in das erste Gotteslob (1975) die Beachtung der Kirche. Damals stand noch eine zusätzliche Marienstrophe als Schluss, dem einstigen Refrain nachgebildet, die in der neuen Ausgabe wieder entfallen ist. Den poetischen und theologischen Kern des Lieds bilden die Strophen 1 bis 3 mit ihrer schönen Bildsprache.
Es kommt ein Schiff, geladen
bis an sein‘ höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
des Vaters ewigs Wort.