300 Jahre lang wurde das Lied nur in evangelischen Gemeinden gesungen, erst vor einem Jahrhundert schaffte es den Sprung auch auf die katholische Seite. Und dann wurde es zunächst noch gekürzt – obwohl das gerade bei diesem Lied gar nicht angeht. Im „Gotteslob“ ist es wieder komplett und passt als Nummer 218 genau in den Advent und an den Beginn des Kirchenjahrs.
Im Evangelischen Gesangbuch ist das fast 400 Jahre alte Werk sogar als allererstes Lied verzeichnet. Gedichtet hat es der evangelische Pfarrer Georg Weissel (1590-1635) aus Königsberg im damaligen Ostpreußen zur Einweihung der Kirche im Stadtteil Altroßgarten am 2. Advent 1623 – an der er dann auch eine Pfarrstelle antrat. Gedruckt wurde es 1642 in den „Preussischen Fest-Liedern“ mit einer Melodie von Johann Stobäus. Durchsetzen sollte sich aber eine andere Vertonung, die zuerst 1704 im bekanntesten evangelischen Gesangbuch des Johann Anastasius Freylinghausen aus Halle steht. Der Komponist ist nicht bekannt.
Textlich blieb das Lied – anders als viele Kirchenlieder – über die Jahrhunderte praktisch unverändert. Das hat seinen Grund, denn tatsächlich handelt es sich um ein fein ausgearbeitetes Meisterstück aus dem Barock, in das man kaum ohne Schaden eingreifen könnte. Mit großer Kunstfertigkeit hat Weissel sein reiches Wortmaterial in eine strenge rhytmische Form gebändigt: Jede Strophe besteht aus acht Zeilen mit ausschließlich Jamben, immer die ersten sechs sind 8silbig, die letzten 6silbig. Die Zeilen des Sechserblocks haben Paarreime, die Schlusszeilen reimen sich dagegen über die Strophen hinweg: Rat, Tat, spat, Gnad. Erst am Ende des Liedes kommt die Auflösung in einem weiteren Paarreim.
Der Text schildert den Einzug des himmlischen Königs als eine Bewegung von außen nach innen: Erst ist von Königreich und Stadt die Rede, dann vom Tempel und schließlich von der Tür des Herzens selbst, in das der Heiland einzieht. Grundlage für das Bild ist Psalm 24, 7-10 mit dem Einzug Gottes als König. Dieser Text wurde schon zur Zeit Jesu am ersten Tag der Woche gesungen und ist immer noch Teil des jüdischen Morgengebets am Sonntag wie auch der jüdischen Liturgie zum Neujahrsfest, das die Königsherrschaft Gottes feiert. Weissel fügt den Bezug zum Heiland hinzu, identifiziert also den erwarteten König mit Jesus – und macht so aus dem Tempelpsalm ein Adventslied. Mit dem Öffnen der Türen und dem Tempel schafft er noch die Verbindung zur Einweihung der Altroßgärter Kirche.
Auch viele Bezüge zu den Evangelien finden sich im Text, insbesondere zu Jesu Einzug in Jerusalem, wie ihn Matthäus 21 schildert. Die „Zweiglein der Glückseligkeit“ im Lied etwa verweisen auf die Zweige, die in Jerusalem auf den Weg gestreut wurden. Der Evangelist zitiert den Propheten Sacharja: „Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel“ - auch diese „Sanftmütigkeit“ taucht bei Weissel auf. Viele weitere Begriffe verweisen auf Psalmen, Briefe und Propheten. Und schließlich wiederholt „Komm, o mein Heiland Jesu Christ“ noch sehnsüchtig den allerletzten Satz der Bibel aus der Offenbarung.
Die Melodie im Dreiertakt ist zugleich schwingend und feierlich. Mit einem Tonraum, der nur vom Grundton bis zur Sexte reicht, ist das Lied leicht singbar und wirkt dennoch nicht melodisch beengt. Die Sexte als höchster Ton markiert auch Hochstimmung und liegt in der ersten Strophe auf Wörtern wie: Heil, Leben, jauchzt, Freuden. Auch an der Melodie gab es über die Jahrhunderte so gut wie keine Veränderungen - „Macht hoch die Tür“ ist ein Gesamtkunstwerk, an dem alles schon zusammenpasst.
Macht hoch die Tür, die Tor macht weit,
es kommt der Herr der Herrlichkeit,
ein König aller Königreich,
ein Heiland aller Welt zugleich,
Der Heil und Leben mit sich bringt;
Derhalben jauchzt, mit Freuden singt.
Gelobet sei mein Gott,
Mein Schöpfer reich von Rat.