Gleich zu Beginn zitiert die Nummer 763 im Gotteslob den Propheten Jesaja, Kapitel 45: „Tauet hernieder, ihr Himmel, und die Wolken mögen den Gerechten regnen“. Diese Sehnsucht nach dem Erlöser passt hervorragend zur Adventszeit, in der wir das Lied singen. Und auch zu den Rorate-Messen dieser Wochen, die ihren Namen davon haben: „Rorate“ ist lateinisch für „Tauet“. Vom Alten Testament schlägt der Text schnell den Bogen zur Verkündigung des Engels Gabriel an Maria.
Im Gesangbuch ist beim Text „nach Michael Denis 1774“ notiert, doch mit dessen Vorlage hat unser Gesang kaum mehr gemein als die ersten zwei Zeilen. Der Jesuit Denis (1729-1800) war Direktor der Hofbibliothek in Wien und gab ein Buch „Geistliche Lieder zum Gebrauche der hohen Metropolitankirche bey St. Stephan in Wien“ heraus, in dem er sechs Strophen dieses Liedes ohne Melodie notiert hatte. Anders als im uns heute bekannten Text heute wird darin der Zustand der unerlösten Welt drastisch ausgemalt mit „Satan, Tod und Sünden“.
Vor diesem dunklen Hintergrund des Alten Testaments soll nun die frohe Botschaft des Neuen Testaments um so heller erstrahlen. Wie bei uns endet die zweite Strophe mit der demütigen Zustimmung Mariens. Darauf folgen im Original noch weitere Teile mit dem Lob der Gottesmutter als Retterin und Aufrufen, sich durch Umkehr auf die Ankunft des Herrn vorzubereiten. Durch mehrere Zitate aus dem Römerbrief („nicht in Fraß und Trunkenheit“) wird dabei klar, dass es nicht mehr nur um Weihnachten geht, sondern um Jesu Rückkehr in der Endzeit, auf die wir immer vorbereitet sein sollen.
Der Text erlebte in der Folge immer neue Überarbeitungen. Auch die Melodie war Veränderungen unterworfen: Die Vertonung von Norbert Hauner (1743-1827), Augustiner-Chorherr auf Herrenchiemsee, wurde zwar als „seelenüberwältigende Melodie“ gelobt, war aber durch großen Tonumfang und anspruchsvollen Rhythmus nicht zum Gemeindegesang geeignet. Die uns vertraute einfachere Bearbeitung stammt von Michael Haydn (1737-1806), einem Bruder des Komponisten Joseph Haydn. Er war unter anderem Nachfolger Mozarts als Organist an der Salzburger Dreifaltigkeitskirche.
Immer wieder wurde das Lied umgedichtet, mal als Mahnung zur persönlichen Frömmigkeit, mal als Ausblick auf das erwartete Ende der Welt bei Christi Wiederkunft. Die Folge ist, dass in den verschiedenen Bistümern bis heute unterschiedliche Fassungen gesungen werden. So wurde das Lied trotz seiner Beliebtheit nie in den Stammteil des „Gotteslobs“ aufgenommen. Es steht in insgesamt 24 Eigenteilen und eröffnet oft die Rubrik mit Adventsliedern. Die meisten Fassungen, die sich auch melodisch unterscheiden, bringen 4 oder 5 Strophen, in Köln sind es nur zwei.
Unsere Gotteslob-Ausgabe für das Bistum Mainz enthält gleich zwei verschiedene Fassungen als Nummer 763 und 764. Textlich sind sie gleich mit adventlich erzählenden Strophen 3 und 4. Die einfachere Melodie von 764 ist die heute meist von der Gemeinde gesungene Version.
"Tauet, Himmel, den Gerechten,
Wolken, regnet ihn herab!"
rief das Volk in bangen Nächten,
dem Gott die Verheißung gab,
einst den Mittler selbst zu sehen
und zum Himmel einzugehen;
denn verschlossen war das Tor,
bis der Heiland trat hervor.