In der katholischen Kirche in Deutschland haben wir ein schwieriges Jahr hinter uns. Viele und oft hitzige Debatten haben uns bewegt. Ich bitte Sie um Ihr Mitsorgen und Ihr Gebet, dass wir gute und geistvolle Wege gehen. Das gilt auch für den pastoralen Weg im Bistum Mainz, den wir begonnen haben. Wir alle ahnen, dass sich vieles verändern wird, und ich wage auch zu behaupten, verändern muss. Bei allem Planen und Machen dürfen wir uns am Weihnachtsfest aber die Liebe schenken lassen, die wir weder machen können noch für uns verdienen müssen. Gott geht in seinem Sohn in unsere Geschichte ein, er wird Mensch. Er selbst macht sich zum Geschenk für uns Menschen. Er kommt zu uns, und er bleibt unter uns auf allen Wegen unseres Lebens. In vielen neutestamentlichen Schriften finden wir das Staunen der Menschen damals über dieses Glaubensgeheimnis. Der große Gott nimmt „Knechtsgestalt“ an (Phil 2,6); er wird unseretwegen arm, um uns reich zu machen (2 Kor 8,9); er wird gesandt, den „Armen eine frohe Botschaft zu bringen, zu heilen (...) und ein Gnadenjahr des Herrn“ auszurufen (Lk 4,18). Er kommt zu den Sündern, um sie zu retten, er will die Welt retten, nicht richten, so sehr hat Gott die Welt geliebt (Joh 3,17). Hinter solchen großen Aussagen stecken wohl die konkreten Erfahrungen der Menschen, die Jesus begegnet sind. Sie haben ihn als den Heiland erfahren, wie ein altes Wort ihn nennt. Der Heiland ist der „Heilende“, der Menschen heil macht. Vor Jahrzehnten wurde dieses Wort möglicherweise derart inflationär verwendet, dass es heute fast verschwunden ist, mit der Ausnahme mancher Kirchenlieder. Dennoch ist es ein schönes Wort und beschreibt eine tiefe Glaubenserfahrung vieler Menschen, bis heute. Jesus macht heil, und dies kann er, weil er dem Menschen in seinen Schwächen, in seiner Hilfsbedürftigkeit so unendlich nahe ist. Papst Franziskus hat sogar wiederholt von der Zärtlichkeit Gottes gesprochen, eine für manchen beinahe anstößige Formulierung.
Am Weihnachtsfest dürfen wir uns diese Nähe und Zärtlichkeit schenken lassen und sie freudig feiern, im Gottesdienst und in der Gemeinschaft lieber Menschen. In einem großartigen Text des II. Vatikanischen Konzils in der Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ (Nr. 8) werden aus diesen Gedanken Folgen für die Kirche gezogen. Sie soll in ihrem Alltag, in ihren Strukturen und in ihrer Tätigkeit diese Nähe Gottes zu den Menschen widerspiegeln. Sie muss nahe bei den Menschen sein und bei ihnen bleiben, nicht nur bei den Frommen, sondern gerade bei den Unvollkommenen, den Sündern, den Armen, Kleinen und Schwachen.
Ich bete darum, dass es unserer Kirche neu gelingt, eine heilende Gemeinschaft zu sein. Ich danke allen, die in diesem Sinne unsere Kirche und die Gemeinden mitgestalten. Als Jesus von seinem Auftrag spricht, die frohe Botschaft zu verkünden, betont er ausdrücklich, dass dies „heute“ geschieht (Lk 4,21). Ich begegne tatsächlich in unserem Bistum vielen Menschen, die dem Heiland ihre Hände zur Verfügung stellen, und damit bezeugen, dass Christus weiterhin lebt und wirkt, eben „heute“. Dafür sage ich herzlichen Dank!
Dass Christus sich uns zum Geschenk macht, möge uns alle ermutigen, für andere da zu sein. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen bereits jetzt ein gnadenreiches Jahr 2020!
Ihr
+ Peter Kohlgraf
Bischof von Mainz