Verwundungen begreifen - Geistliches Wort

Kruzifix Erfurter Domberg (c) peter weidemann @ pfarrbriefservice.de
Kruzifix Erfurter Domberg
Datum:
Di. 23. Apr. 2024
Von:
Markus Kreuzberger

Liebe Leserinnen und Leser,

schon mal den Begriff: „Ungläubiger Thomas“ gehört?

Das wird oft gesagt, wenn jemand so gar nicht glauben kann, was ihm oder ihr erzählt wurde.

Thomas war einer der Freunde Jesu. Er wird oft als „Skeptiker“ oder „Zweifler“ dargestellt. In der Bibel gibt es die Geschichte (Joh 20, 24-28), dass er den Jüngerinnen und Jüngern nicht glaubt, als sie erzählen, dass Jesus auferstanden ist. Er denkt erstmal: „Das muss ich mit eigenen Augen sehen!“

Ich kann Thomas gut verstehen. Er ist mir sogar sympathisch, weil er so menschlich reagiert. Zweifel und Unsicherheiten, gerade im Glauben- das ist mir nicht fremd. Ich will nun mal verstehen. Mit dem Herzen- aber eben auch mit dem Kopf.

Und wie reagiert Jesus? Er nimmt Thomas ernst. Er zeigt ihm seine Wunden. Er lädt ihn sogar ein, diese Wunden zu berühren. Damit er im wahrsten Sinne des Wortes  „be- greifen“ kann.

Das berührt Thomas und das berührt auch mich.

Wer zweifelt, ist eben nicht gleich glaubensschwach. Es gibt einen gesunden Zweifel, aber auch einen zerstörerischen Zweifel. Ein gesunder Zweifel will verstehen – mit Kopf, Herz und Bauch. Er führt in die Tiefe und er führt zu positiver Auseinandersetzung, Kontakt und Begegnung. Ein zerstörerischer Zweifel könnte sich etwa so äußern: der übertreibt ganz gewaltig, oder: die hat sich da ein wenig verloren in einem Überschwang der Gefühle, oder: der wird schon wieder auf den Boden der Realität herunterkommen. Ein zerstörerischer Zweifel ist negativ, er glaubt nicht an die anderen, beschränkt sich auf den eigenen Horizont, traut nicht zu, erwartet nichts, verschließt sich in sich selbst. Er führt in die Einsamkeit und Isolation. Der Zweifel des Thomas war sicher nicht von einer negativen Art, er wollte den anderen ja auch nicht ihre Erlebnisse und Erfahrungen ausreden. Ich glaube, die Geschichte vom „ungläubigen“ Thomas ist ein Sinnbild dafür, dass wir die Auferstehung dann wirklich begreifen, wenn wir auch unseren Finger auf die Wunden des Lebens legen: auf die Wunden Jesu, auf die Wunden der Mitmenschen und auf die eigenen Wunden.

Auferstehungsglaube – wenn er nicht nur eine reine Verstandessache ist – braucht die Begegnung mit den Wunden. Er braucht das Annehmen von Schmerzen, Niedergeschlagenheit und Angst, von Leid, Schuld und Tod.

An der Gestalt des Thomas führt uns der Evangelist Johannes so tröstlich vor Augen, dass man am Leid und an den Verwundungen des Lebens nicht zwangsläufig verzweifeln oder scheitern muss, sondern daran auch reifen kann. An Thomas können wir sehen, dass es oft gerade die Begegnung mit den Wunden ist, durch die das Wunder der Wandlung möglich wird. Es gibt für mich kaum etwas Berührenderes, als Menschen zuzuhören, wie sie nach schweren und dunklen Lebensphasen wieder zurückgefunden haben ins Leben, wie ihnen vielleicht dabei auch ihr Glaube Halt und Stütze gewesen oder geworden ist. Solche Menschen sind für mich Auferstehungszeugen.

 Unser Auferstehungsglaube richtet sich also gegen das Verdrängen und Verschweigen der wunden Punkte unseres Lebens, auch unseres Zusammenlebens. Es ist ein Glaube „auf Augenhöhe“ mit dem Leid, ein Glaube, der sich die Finger schmutzig macht und sie in die Wunden legt. Der Glaube an die Auferstehung ist ein Glaube mit Herz, Händen und Füßen – und natürlich auch mit dem Kopf. Er zeigt auf, wo menschliches Leben eingeschränkt oder bedroht ist und wo es aufblühen und sich entfalten kann.

Und er gibt Hoffnung und Perspektive, die eigenen Wunden anzunehmen und wieder aufzu- (er-) stehen.

Markus Kreuzberger