Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 21. Sonntag im Jahreskreis 2022

Datum:
So. 21. Aug. 2022
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum 21. Sonntag im Jahreskreis 2022

Zur 1. Lesung (Jes 66, 18-21)

Wie schon öfters erwähnt, besteht das Buch Jesája aus drei Teilen, die in ganz unterschiedlichen Zeiten entstanden sind und sich dementsprechend auf verschiedene Kontexte beziehen und Aussageintentionen abbilden. Die heutige Lesung ist aus dem sogenannten Trito-Jesája, also dem „dritten“ Buch, welches ab 520 v. Chr. entsteht, direkt nach dem Babylonischen Exil. Das interessante an diesem Text ist, der quasi den Schluss des Jesája-Buches darstellt (es folgen danach nur noch drei Verse), dass hier nicht (mehr) von einer exklusive Heilsreduzierung auf das „Volk Gottes“ ausgegangen wird, sondern alle Völker / Menschen sind zum Gottes-Dienst (und damit zum Nächsten-Dienst) berufen (was dann endgültig durch Jesus Christus verkündet und gelebt wird).

Lesung aus dem Buch Jesája:

So spricht der Herr: „Ich kenne die Taten und die Gedanken der Völker aller Sprachen und komme, um sie zusammenzurufen, und sie werden kommen und meine Herrlichkeit sehen. Ich stelle bei ihnen ein Zeichen auf und schicke von ihnen einige, die entronnen sind, zu den übrigen Völkern und zu den fernen Inseln, die noch nichts von mir gehört und meine Herrlichkeit noch nicht gesehen haben. Sie sollen meine Herrlichkeit unter den Völkern verkünden. Sie werden aus allen Völkern eure Brüder als Opfergabe für den Herrn herbeiholen auf Rossen und Wagen, in Sänften, auf Maultieren und Dromedaren, her zu meinem heiligen Berg nach Jerusalem, spricht der Herr, so wie die Söhne Israels ihr Opfer in reinen Gefäßen zum Haus des Herrn bringen. Und auch aus ihnen werde ich Männer als Priester und Leviten auswählen, spricht der Herr.“

Zur 2. Lesung ((Hebr 12, 5-13)

„Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat“ (Vers 6). Ich hoffe, Sie empört dieser Satz, der unmittelbar aus dem Buch der Sprichwörter übernommen ist (vgl. Spr 3, 11f), ebenso wie mich. Züchtigung, Schmerz zufügen als Teil der Erziehung, das gehört hoffentlich einer überalterten Pädagogik an, doch selbst ich (Jahrgang 1966) habe das in meiner Kindheit in der Schule noch erlebt. Das war immer schon falsch, aber diese Überzeugung hat wohl erst im 20. Jh. Einzug in das Erziehungsbewusstsein gefunden (obwohl ich bezweifele, dass die sehr hilfreiche Faustregel über das Verhältnis von Lob und Tadel, 5 zu 1, in allen zwischenmenschlichen Bereichen unserer Gesellschaft bekannt ist bzw. Anwendung findet). Hier sieht man wieder eine der großen Gefahren der Theologie, wenn sie menschliche Erfahrungen und gesellschaftliche Zustände auf Gott projizieren. Solche Anthropomorphismen (= Vermenschlichungen) können immens unheilvolle Wirkungen haben (z.B. in Rechtfertigung von Gewalt und irrigen Gottes-(und Menschen-)Bildern). Aber werden wir mit dieser Aburteilung der Textintention gerecht? Ich glaube nicht. Die Kernaussage ist doch wohl, bei Schmerzen durchzuhalten (vgl. Vers 7) und gestärkt aus leidvollen Widerfahrnissen hervorzugehen (vgl. Vers 12f). Die Entwicklung jedes Menschen ist sowohl von positiven als auch von negativen Erfahrungen abhängig. Ein Mensch, der nie in irgendeiner Weise Leid erfahren hätte, könnte womöglich glücklich sein, aber er wäre auf keinen Fall für andere Menschen, die Unterstützung in ihrer Not brauchen, hilfreich, da er kein entsprechendes Bewältigungsinventar entwickelt hat. Außerdem wüsste ein solcher Mensch kaum um die Vorläufigkeit und Dankbarkeit in Bezug auf gute Erfahrungen und Situationen. Darüber hinaus ist wichtig klarzustellen, dass nach der Botschaft und dem Leben Jesu nicht Gott für menschliche Grenzerfahrungen (v.a. Leid, Schuld und Tod) verantwortlich ist (vgl. z.B. Lk 13, 1-5), sondern die Gegebenheiten dieser Welt. Gott ist also nicht der Ursprung oder der Verursacher von Leid, sondern der Ausgleich! Entscheidend / heilbringend ist, durch das / im Leid weiterhin auf die Nähe und Kraft Gottes zu vertrauen, um dadurch „Frieden und Gerechtigkeit“ (Vers 11b) zu erlangen, die wichtigsten Dimensionen menschlicher Gemeinschaft. Im Hebräerbrief wird formuliert, dass auch Jesus diesen Weg (des Heiles) gegangen ist: „Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt“ (Hebr 5, 8).

Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Hebräer:

Liebe Schwestern und Brüder! „Ihr habt die Mahnung vergessen, die euch als Söhne anredet: Mein Sohn, verachte nicht die Zucht des Herrn, verzage nicht, wenn er dich zurechtweist. Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er schlägt mit der Rute jeden Sohn, den er gern hat. Haltet aus, wenn ihr gezüchtigt werdet. Gott behandelt euch wie Söhne. Denn wo ist ein Sohn, den sein Vater nicht züchtigt? Würdet ihr nicht gezüchtigt, wie es doch bisher allen ergangen ist, dann wäret ihr nicht wirklich seine Kinder, ihr wäret nicht seine Söhne. Ferner: An unseren leiblichen Vätern hatten wir harte Erzieher und wir achteten sie. Sollen wir uns dann nicht erst recht dem Vater der Geister unterwerfen und so das Leben haben? Jene haben uns für kurze Zeit nach ihrem Gutdünken in Zucht genommen; er aber tut es zu unserem Besten, damit wir Anteil an seiner Heiligkeit gewinnen. Jede Züchtigung scheint zwar für den Augenblick nicht Freude zu bringen, sondern Schmerz; später aber schenkt sie denen, die durch diese Schule gegangen sind, als Frucht den Frieden und die Gerechtigkeit. Darum macht die erschlafften Hände wieder stark und die wankenden Knie wieder fest und ebnet die Wege für eure Füße, damit die lahmen Glieder nicht ausgerenkt, sondern geheilt werden.“

Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas (Lk 13, 22-30):

In jener Zeit „zog Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und lehrte. Da fragte ihn einer: Herr, sind es nur wenige, die gerettet werden? Er sagte zu ihnen: Bemüht euch mit allen Kräften, durch die enge Tür zu gelangen; denn viele, sage ich euch, werden versuchen hineinzukommen, aber es wird ihnen nicht gelingen. Wenn der Herr des Hauses aufsteht und die Tür verschließt, dann steht ihr draußen, klopft an die Tür und ruft: Herr, mach uns auf! Er aber wird euch antworten: Ich weiß nicht, woher ihr seid. Dann werdet ihr sagen: Wir haben doch mit dir gegessen und getrunken und du hast auf unseren Straßen gelehrt. Er aber wird erwidern: Ich sage euch, ich weiß nicht, woher ihr seid. Weg von mir, ihr habt alle Unrecht getan! Da werdet ihr heulen und mit den Zähnen knirschen, wenn ihr seht, dass Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes sind, ihr selbst aber ausgeschlossen seid. Und man wird von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen. Dann werden manche von den Letzten die Ersten sein und manche von den Ersten die Letzten.“

Liebe Schwestern und Brüder,

wie schon an den letzten beiden Sonntagen bekommen wir im Moment ganz schön die „Leviten gelesen“, oder? Wo bleibt denn der „liebe Jesus“, der keinem Ach und niemand Weh? So hat es ihn zwar nie gegeben, im Gegenteil, aber da er die Liebe Gottes verkörpert, sind wir vielleicht doch überrascht, wenn uns auch kernige und drastische Aussagen von ihm überliefert sind (vgl. u.a. zu Petrus: „Weg mit dir, Satan“ (Mk 8, 33), zu den Schriftgelehrten und Pharisäern (u.a.): „Ihr Heuchler“ (Mk 7, 6), die Tempelreinigung (Mk 11, 15-17)) – so auch heute. Das müssen wir erst einmal verdauen – ja, was denn? Dass es nur wenige sind, die gerettet werden, trotz allem Bemühen? Dass es nicht reicht, wenn wir nur in den Gottesdienst gehen und Jesus hören? Oder dass die Letzten die Ersten sein werden und die Ersten die Letzten? Zu wem gehören wir denn da? – Sie merken, das ist kein einheitlicher Text, sondern da sind drei markante Aussagen Jesu von Lukas zusammengestellt worden, doch sie passen zueinander. Die wichtige Frage dabei ist, verunsichern uns diese Aussagen? Geben die uns zu denken? Und wenn ja, was? – Ich finde es erleichternd, dass Jesus auf die Frage, ob nur wenige gerettet werden, keine direkte Antwort gibt (vgl. Vers 24). Wenn er „Ja“ gesagt hätte, hätten die „Kirche“ keine Chance gehabt, aber genau das wollte Jesus nicht. Ihm ist ganz wichtig deutlich zu machen, dass es bei seinem Glauben um Entschiedenheit und Entschlossenheit geht, es geht (ihm) nicht um eine lose und laxe Bekanntschaft, zu die er ruft, nach dem Motto: „Die Geselligkeit mit Jesus ist klasse [vgl. Lk 7, 34a] und seine Gedanken sind schon interessant, aber mein Leben, meine Denkmuster und mein Verhalten möchte ich nicht danach umstellen [vgl. Mk 1, 15b]“. Doch! Genau das will Jesus und verlangt es von jedem, der ihm nachfolgt. Dabei geht es um eine stetige Bereitschaft zur Veränderung im Sinne Gottes! Jesus will nicht kopiert werden, er will durch sein Reden und Verhalten ein Gespür wecken für den Geist Gottes, der immer in uns und bei uns ist, damit wir in jeder Situation unseres Lebens gute Entscheidungen treffen. Und „gut“ ist alles, was anderen, was der Gemeinschaft guttut, was Hilfe, Versöhnung und Frieden bringt. Das soll und kann die Maxime, die Erfüllung unseres Lebens sein. Nach Jesu Aussage von heute werden das aber nur wenige (von uns) schaffen (vgl. Vers 24). Auf jeden Fall wird es nicht reichen, mit Jesus (Abend-)Mahl gehalten und ihn (im NT) gehört zu haben (vgl. Vers 26f), seine Lebensüberzeugung kann nur im Alltag in Werken der Liebe umgesetzt werden (vgl. Gal 5, 6b: In Christus kommt es darauf an, „den Glauben zu haben, der in der Liebe wirksam ist“). Ebenso ist die „Dauer“, die Quantität unseres Bemühens um die Nachfolge Christi nicht erheblich, auch da herrschen bei Gott andere Maßstäbe als wir gewohnt sind (vgl. Vers 30 und das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, Mt 20, 1-16). Entmutigen uns diese Aussagen nun (vollends)? Genau dafür sind sie nicht da und gedacht, sie wollen uns deutlich machen, welche unüberschätzbare Herausforderung darin liegt, tatsächlich im Sinne Jesu / Gottes den Alltag zu leben und den stetigen Kampf für das Gute und gegen das Böse zu bestreiten. Wenn wir uns die Welt anschauen, wenn wir uns anschauen, was nach drei Jahren (!) öffentlichen Wirkens mit Jesus geschieht, wie sehr die Mächtigen Angst um den Verlust ihrer Macht um der Liebe willen haben, dann ist es meines Erachtens existentiell wichtig, nicht nur die Not-Wendigkeit des Reiches Gottes, sondern auch die immensen Kräfte und Herausforderungen im Blick zu behalten, die wirken, wenn wir uns an diesem Kampf aktiv beteiligen. V.a. zwei Gegebenheiten können uns dabei Mut und Zuversicht geben: Wir sind nie allein (vgl. Mt 28, 20) und es ist der einzige Weg zum Heil.