Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 3. Fastensonntag 2021

Datum:
So. 7. März 2021
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zu den Lesungen und zum Evangelium des 3. Fastensonntags:

Zur 1. Lesung (Ex 20, 1-17)

Die 10 Gebote entstehen nach dem Auszug der Hebräer aus Ägypten (der evtl. ca. 1200 v. Chr. stattgefunden hat, was historisch weiterhin umstritten ist), weil ein Leben in Freiheit neue Maßstäbe braucht! Sie sind Rahmenbedingungen für das friedliche und dauerhafte Zusammenleben einer Gesellschaft, die natürlich nicht „auf einmal“ entstanden sind, sondern im Zuge der Sozialisierung und Sesshaftwerdung notwendig wurden. Die Gebote 4 bis 10 stammen aus der Zeit vor 1000 v. Chr., die drei ausführlicheren ersten Gebote entstehen wohl erst im 8. Jh. v. Chr..

Wie so oft im Alten Testament werden sie dadurch „geheiligt“, dass sie direkt auf Gott zurückgeführt werden – Sie kennen solche Formulierungen: „Und Gott sprach“, „der Herr sagte“ u.ä.. Die große Gefahr dabei ist nicht nur wortwörtliches (Miss-)Verständnis, sondern auch ein (zunehmend, wenn man es nicht hinterfragt) mangelndes Bewusstsein im Verständnis über diese „heiligen“ Texte (das gilt natürlich für alle Religionen!), wie sie entstanden sind. Sich überhaupt solche Fragen zu stellen („Wer schreibt was wann, wo, wie und für wen?“), ist sicherlich eine der Errungenschaften der „Aufklärung“, doch geht es hier prinzipiell um die Nachvollziehbarkeit von „religiösen“ Begebenheiten bzw. Überzeugungen, die Menschen erlebt bzw. manifestiert haben und die dann irgendwann aufgeschrieben wurden. Wenn Gott – nach unserem biblischen Verständnis – zu Menschen „spricht“, wenn er „sagt“, was heißt das dann konkret? Diese Frage halte ich für wesentlich, nicht nur, um einem Fundamentalismus vorzubeugen, sondern auch, um aufmerksam bleiben zu können, dass das, was wir in der Bibel lesen, auch (auf jeden Fall, wenn es wirklich (!) etwas mit Gott zu tun hat) heute passieren könnte und passiert! Die Personen, besser gesagt die Rollen, die wir Gott zuschreiben (Schöpfer, Erlöser und Begleiter), müssen sich doch ständig / immerwährend vollziehen, sonst hätten sie nichts mit Gott zu tun. Sie sind ein Kontinuum, d.h. die Schöpfung, die Erlösung und die Begleitung der Welt durch Gott(es Geist) haben für uns (!) einen Ausgangspunkt, aber sie sind seit jeher und wirken kontinuierlich weiter in jedem Augenblick des Seins. Eines meiner Lieblingslieder im neuen Gotteslob, Nr. 82, bringt das sehr schön zum Ausdruck: „… sprichst jeden Morgen neu dein Wort: Es werde, es werde“. Wenn Gott also „spricht“, „sagt“, dann sind das doch menschliche Formulierungen, die innere Erlebnisse und Überzeugungen von Menschen ins Wort bringen. Und wenn (!) solche Erlebnisse und Überzeugungen eine derart weitreichende und elementare Lebensbedeutung haben, dass sie für alle (!) Menschen gelten, weil sie allen zum „Heil“ dienen, dann, nur dann kann man sie als „göttlich“ bezeichnen! Salopp gesagt: Man darf Gott keine Worte in den Mund legen! Für uns Christen ist es dann ja so wesentlich, dass das „Wort Gottes“, sein Schöpfer-, Erlöser- und Begleiterwillen, Mensch wird in Jesus von Nazareth (vgl. Joh 1, 14). – Wir hören also heute die 10 Gebote, die v.a. beschreiben, was Menschen nicht tun dürfen. Was wir tun sollen, um in Gemeinschaft mit allen Menschen glücklich und zufrieden leben zu können, das zeigt dann das Leben und die Botschaft Jesu!

Lesung aus dem Buch Exodus:

In jenen Tagen „sprach Gott auf dem Berg Sinai alle diese Worte:

Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.

Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.

Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.

Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der Herr lässt den nicht ungestraft, der seinen Namen missbraucht.

Gedenke des Sabbats: Halte ihn heilig! Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbattag gesegnet und ihn für heilig erklärt.

Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt.

Du sollst nicht morden.

Du sollst nicht die Ehe brechen.

Du sollst nicht stehlen.

Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen.

Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen. Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, seinem Rind oder seinem Esel oder nach irgendetwas, das deinem Nächsten gehört.“

Zur 2. Lesung

Da Zeichen und Symbole für uns Menschen generell eine grundlegende und existentielle Bedeutung für unser Denken, die Lebensgestaltung und –entwicklung haben, gilt dies natürlich auch für Religionen, allerdings mit der zusätzlichen Herausforderung, dass diese dadurch etwas materialisieren, was ja eigentlich nicht vergegenständlicht werden kann, da Gott nicht fassbar ist, trotzdem brauchen wir so etwas!

Darauf geht Paulus in dem heutigen Abschnitt aus seinem ersten Brief an die Korinther ein: Für Juden sind es konkrete Erfahrungen (z.B. Pascha, Exodus, 10 Gebote) und Gegenstände (z.B. Bundeslade, Tempel), die ihren Glauben symbolisieren, für die Griechen ist die Weisheit die höchste Erfüllung –

das Zeichen des christlichen Glaubens ist das Kreuz! Die grausamste Hinrichtungsart der Antike wird zum Symbol für Gott? Ja! Denn es ist das unüberbietbare Zeichen, wie groß Gottes Liebe zu uns Menschen ist, dass er von jeher die Hinrichtung seines Sohnes in seinen Schöpfungs- und Erlösungswillen miteinbezogen hat. Wenn jemand einen anderen so liebt, dass er ihm sogar die Ermordung seines Kindes verzeiht: Mehr Liebe geht nicht! Und das ist eben nur vordergründig „töricht“ und „schwach“, es ist heilig und göttlich, weil Gott die Liebe ist (vgl. 1 Joh 4, 16b). Deswegen ist das Kreuz das Zeichen dafür, aus (dem Bewusstsein) dieser Liebe zu leben!

Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Korinther (1 Kor 1, 22-25):

Liebe Schwestern und Brüder!

„Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen.“

Zum Evangelium (Joh 2, 13-25)

Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes:

„Das Paschafest der Juden war nahe und Jesus zog nach Jerusalem hinauf. Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen. Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus, dazu die Schafe und Rinder; das Geld der Wechsler schüttete er aus und ihre Tische stieß er um. Zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle! Seine Jünger erinnerten sich an das Wort der Schrift: Der Eifer für dein Haus verzehrt mich. Da stellten ihn die Juden zur Rede: Welches Zeichen lässt du uns sehen als Beweis, dass du dies tun darfst? Jesus antwortete ihnen: Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten. Da sagten die Juden: Sechsundvierzig Jahre wurde an diesem Tempel gebaut und du willst ihn in drei Tagen wieder aufrichten? Er aber meinte den Tempel seines Leibes. Als er von den Toten auferstanden war, erinnerten sich seine Jünger, dass er dies gesagt hatte, und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesprochen hatte. Während er zum Paschafest in Jerusalem war, kamen viele zum Glauben an seinen Namen, als sie die Zeichen sahen, die er tat. Jesus aber vertraute sich ihnen nicht an, denn er kannte sie alle und brauchte von keinem ein Zeugnis über den Menschen; denn er wusste, was im Menschen ist.“

Liebe Schwester und Brüder,

haben Sie diese Szene der Tempelaustreibung schon mal als Bild in einer Kirche gesehen? Es gibt tatsächlich solche, und hier in Mainz haben wir sogar eine, das Eingangsfresko in St. Peters. Aber, und das ist sicher nicht überraschend, gibt es ansonsten nur ganz wenige bildlichen Darstellungen von dem, was wir da gerade gehört haben. Ist ja auch verständlich: Das „liebe Jesulein“, der „gute Hirte“, der ein Lamm auf den Schultern trägt (das ist übrigens die älteste Jesus-Darstellung überhaupt), das bringen wir schwerlich mit der Tempelaustreibung zusammen. Interessanterweise sind sich die Bibelwissenschaftler gerade bei dieser Szene weitgehend einig, dass die sich genau so abgespielt hat, denn dieses „reißt diesen Tempel nieder“ wird zwei Jahre später zu einem der Hauptanklagepunkte gegen Jesus: „Das ist Gotteslästerung, das ist Blasphemie! 46 Jahre haben wir an dem Tempel gebaut und du willst ihn in drei Tagen wieder aufrichten?“ –

Der Tempel – das war und ist noch heute, auch wenn er seit fast 2000 Jahren zerstört ist und nur noch

die Grundmauern in Jerusalem stehen, das Heiligste der Juden. Er wurde als Wohnstatt Gottes auf Erden verehrt, vor allem der heiligste Bereich innerhalb des Tempels, der genauso wie bei uns „Allerheiligstes“ hieß: Bis zur Zerstörung des ersten Tempels im Jahre 587 v. Chr. wurde hier die Bundeslade aufbewahrt, in der Mose die Steintafeln mit den 10 Geboten gelegt hatte, das, was wir in der ersten Lesung gehört haben. Nach der Zerstörung des ersten Tempels (erbaut unter König Salomo, 10. Jh. v. Chr.) blieb auch die Bundeslade verschwunden, der zweite Tempel wurde aufgebaut (ab 515 v. Chr.) und der wird dann im römisch-jüdischen Krieg 70 n. Chr. endgültig zerstört.

Zur Zeit Jesu ist er natürlich noch intakt und es gibt offensichtlich ein reges Treiben vor und im Tempel: Es ist die Zeit vor dem Passahfest, einem der höchsten jüdischen Feste, und dazu braucht man Opfertiere, und man braucht Geldwechsler, denn religiöse Angelegenheiten mussten in jüdischer Währung bezahlt werden, d.h. die sonst übliche römische Währung musste umgetauscht werden. Wenn wir uns vorstellen, wie das damals ausgesehen haben muss, welcher Lärm und auch welcher Gestank im Tempel war, ist das für uns bestimmt sehr gewöhnungsbedürftig. Für die Menschen damals aber keineswegs. Das war nun mal so und entscheidend war ja doch wohl, das jeder sein Opfer, wie es vorgeschrieben war, erledigte.

Wie anders hat Jesus aber gedacht und gefühlt: Es gibt nichts, was wir Gott geben könnten, was er nicht schon hätte, außer unsere Liebe! Es gibt nichts, womit wir Gott gnädig stimmen könnten, denn er ist der Barmherzige. Und es gibt nichts, womit wir die Welt mehr zum Guten verändern können, als diese Barmherzigkeit Gottes zu leben. Um das zu zeigen, dazu wurde Gott selber Mensch. Und seine Liebe erwies er bis zum letzten.

Liebe Schwestern und Brüder, der hl. Paulus schreibt in seinem ersten Brief an die Christen in Korinth: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wer den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben. Denn Gottes Tempel ist heilig, und der seid ihr“ (1 Kor 3, 16f). Das ist das, was Jesus gemeint und getrieben hat, als er all das aus dem Tempel hinausjagt, was weg von Gott führt, und das ist alles, was nicht von Herzen kommt, was wir nicht aus Liebe und Barmherzigkeit tun, sondern weil es so Sitte ist, weil andere es erwarten, weil wir gut dastehen wollen vor anderen und uns für etwas besseres halten. Da macht Jesus deutlich: das gehört hier nicht hin, das müsst ihr lassen, wenn ihr wirklich glücklich werden wollt. Denn es führt gerade dazu, dass Ihr nicht auf Gott in Eurem Herzen hört, sondern menschlichen Maßstäben folgt. Aber unser Auftrag ist: Gott zu lieben und unseren Nächsten wie uns selbst (vgl. Mt 22, 37-39)! Deshalb gilt diese Szene der Tempelaustreibung ebenso uns: Was will Jesus mir aus meinen Gewohnheiten, meinem Denken und Handeln, austreiben, damit mein Herz freier wird – für Gott und / = meinen Nächsten?