Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 32. Sonntag im Jahreskreis

Datum:
So. 8. Nov. 2020
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zu den Lesungen und zum Evangelium des 32. Sonntags im Jahreskreis:

Zur 1. Lesung (Weish 6, 12-16)

Welche Entscheidungen Ihres Lebens würden sie als „weise“ bezeichnen?

Vielleicht ein eher ungewöhnliches Wort, daher wahrscheinlich auch selten in unserem Sprach-gebrauch, obwohl seine Bedeutung, glaube ich, eindeutig ist: Es hat seinen Stamm in dem Wort Wissen und bedeutet lebenserfahren, klug, wissend, auch ausgewogen, besonnen schwingt dabei mit. Was braucht man für solche weisen Entscheidungen? Lebenserfahrung, Aufgeschlossenheit, Balance – und (Bedenk-)Zeit!

Der jüdische Talmud (das Auslegungsbuch im jüdischen Glauben v.a. für die fünf Bücher Mose (das „Gesetz“ = T(h)ora) gibt auf die Frage: „Wer ist weise“ die Antwort: „Der von jedem Menschen lernt“ und fokussiert damit auf einen weiteren – vielleicht den wichtigsten – Aspekt: Die Erkenntnisse der Menschen durch ihre Erfahrungen, wie Leben gut bzw. nicht gut geht. Wenn man es so sieht, unterhalten wir Menschen uns letztendlich ständig darüber: Wie kann man gut / besser mit Erfahrungen und Widerfahrnissen umgehen, Politik und gerade auch Religion kümmern sich und ringen letztendlich besonders darum!

Das Buch der Weisheit (erst 50 v. Chr. verfasst) zeigt in schönen, anschaulichen Bildern, wie die Weisheit ist: Sie ist „strahlend“ und „unvergänglich“, wer sie sucht, findet sie „schnell“. Sie ist unmittelbarer zu erkennen, wenn man „frisch“ und „ausgeschlafen“ nach ihr sucht, und nicht in der „Hitze von Gefechten“ (so interpretiere ich „am frühen Morgen“). „Über sie nachzusinnen ist vollkommene Klugheit“, sie ist allgegenwärtig (vgl. Heiliger Geist) und denen zugänglich, die nach ihr suchen!

Wann denken Sie darüber nach, weise Entscheidungen zu treffen?

Lesung aus dem Buch der Weisheit:

„Strahlend und unvergänglich ist die Weisheit; wer sie liebt, erblickt sie schnell, und wer sie sucht, findet sie. Denen, die nach ihr verlangen, gibt sie sich sogleich zu erkennen.

Wer sie am frühen Morgen sucht, braucht keine Mühe, er findet sie vor seiner Türe sitzen.

Über sie nachzusinnen ist vollkommene Klugheit; wer ihretwegen wacht, wird schnell von Sorge frei.

Sie geht selbst umher, um die zu suchen, die ihrer würdig sind; freundlich erscheint sie ihnen auf allen Wegen und kommt jenen entgegen, die an sie denken.“

Zur 2. Lesung (1 Thess 4, 13-18)

Der Abschnitt aus dem ersten Brief von Paulus an die Gemeinde in Thessalonich wurde auch an Allerseelen gelesen – was natürlich sehr passend ist. Die Kernbotschaft ist das, was durch die Auferstehung Jesu die Menschen mit am meisten erfüllen soll: Die Hoffnung, dass unser irdisches Leben tatsächlich der Anfang der Ewigkeit ist! Man sieht, dass Paulus wie die meisten Juden in seiner Zeit und dementsprechend auch die ersten Christen bzw. die Urkirche noch sehr stark von einer apokalyptischen Stimmung geprägt sind: Das Gericht Gottes und der damit einhergehende Weltuntergang stünden unmittelbar bevor (vgl. Mt 25, 31-46; Offb 20 relativiert diese Vorstellung dann deutlich, weil sie erst 95 n. Chr. geschrieben wird!). Es hat eine wesentliche theologische und psychologische Bedeutung für die junge Kirche, dass die Parusie (= Gegenwart @ Wiederkunft) Christi sich verzögert(e) (= „Parusieverzögerung“). In dieser Zeit, d.h. bis zur endgültigen Wiederkunft Christi, bei der die Welt durch ihn gerichtet wird (vgl. z.B. das „Jüngste Gericht“ von Michelangelo an der Stirnwand der Sixtinischen Kapelle des Vatikans, 1532), entfaltet seitdem die Kirche(n) ihren Auftrag, die Botschaft und das Heilsangebot Jesu Christi zu allen Menschen zu bringen (vgl. den Sendungsauftrag Jesu an seine Jünger im Matthäus-Evangelium (um 80 n. Chr. geschrieben, d.h. eben auch schon in dem Bewusstsein der Parusieverzögerung!): „Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28, 19f)). Jesus hat zwar selbst die Taufe durch Johannes den Täufer empfangen, aber selber keine eingesetzt, sondern er tauft „mit dem Heiligen Geist“ (Mk 1, 8b). Die Taufe wird in der Urkirche dann zu dem Initiationsritus (= Einleitung, Aufnahme), um bekennendes Mitglied der Gemeinschaft der an Jesus-Christus-Glaubenden zu werden.

Paulus beschreibt seine Vision vom Weltgericht daher als unmittelbar bevorstehendes Ereignis, in dem die schon Verstorbenen wie die momentan Lebenden vor den Weltenherrscher (= griech. Pantokrator) und -richter Christus (vgl. Joh 5, 22) gerufen werden = Auferstehung!

Unter Theologen ist (und bleibt) strittig, ob sich „Auferstehung“ im Moment des Todes ereignet oder sich erst am Ende der Zeiten (= Weltuntergang /-gericht) vollzieht. Nach meiner Überzeugung ist es beides: Es gibt gerade auch aus dem Mund Jesu eindeutige Aussagen, dass sich die Auferstehung des einzelnen Menschen im Tod ereignet (vgl. z.B. Jesu Worte zu dem Schächer am Kreuz: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“!), das endgültige Gericht über die Welt wird sich bei der Wiederkunft Christi vollziehen, wonach es eine neue Schöpfung gibt.

Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher:

Liebe Schwestern und Brüder,

„wir wollen euch über die Verstorbenen nicht in Unkenntnis lassen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben.

Wenn Jesus – und das ist unser Glaube – gestorben und auferstanden ist, dann wird Gott durch Jesus auch die Verstorbenen zusammen mit ihm zur Herrlichkeit führen.

Denn dies sagen wir euch nach einem Wort des Herrn: Wir, die Lebenden, die noch übrig sind, wenn der Herr kommt, werden den Verstorbenen nichts voraushaben. Denn der Herr selbst wird vom Himmel herabkommen, wenn der Befehl ergeht, der Erzengel ruft und die Posaune Gottes erschallt. Zuerst werden die in Christus Verstorbenen auferstehen; dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen auf den Wolken in die Luft entrückt, dem Herrn entgegen. Dann werden wir immer beim Herrn sein. Tröstet also einander mit diesen Worten!“

Zum Evangelium (Mt 25, 1-13)

In der Neutestamentlichen Exegese (wissenschaftliche Bibelauslegung /-forschung) ist umstritten, ob das Gleichnis Jesu von den fünf törichten und klugen Jungfrauen tatsächlich auf ihn zurückgeht (dafür spricht das Hochzeitsmotiv, was Jesus auch anderenorts aufgreift, z.B. die Hochzeit zu Kana (vgl. Joh 2, 1-12)) oder urkirchlichen Ursprungs (dafür spricht das Motiv der Parusieverzögerung (s.o.)) ist. Wie auch immer: Die Kernbotschaft ist, dass diejenigen „klug“ sind, d.h. für (ihr) Heil sorgen, die die Botschaft Jesu hören und danach handeln (vgl. Mt 7, 21-27), das bedeutet auch, sich (rechtzeitig) mit „Nachschub“ auszurüsten, um ihr Licht (vgl. Mt 5, 14.16: „Ihr seid das Licht der Welt. … So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“) am Brennen halten zu können, gerade auch dann, wenn man „müde“ wird, d.h. wenn die Begeisterung nachlässt oder die Anfechtungen des Alltags / Lebens einen ermatten. „Nachschub“ (= „Öl“) sind alle Erfahrungen, die einen durch ein christliches Leben stärken! Dadurch etabliert sich ein grundsätzlich anderes Lebensgefühl, das nur in jeder Form des guten Miteinanders und der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung jedes Menschen gegenüber Freude und Erfüllung erlebt (vgl. Kol 3, 1-2) – das ist dann der „Hochzeitssaal“ dessen Türen denen verschlossen sind, die nicht so leben wie Jesus (vgl. Joh 13, 34: Liebt einander so, wie ich euch geliebt habe“). „Töricht“ sind daher die Menschen, die die Botschaft Jesu zwar hören, aber nicht in ihrem Leben verwirklichen / einüben.

Wenn wir davon ausgehen, dass eben nicht primär die Wiederkunft Christi am Ende der Zeiten (= Parusie, s.o.) gemeint ist, kommt nach christlichem Verständnis Jesus Christus in jedem Menschen und jeder Situation auf mich zu (= „Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde“, Mt 25, 13) mit der Aufforderung, zu teilen, zu heilen, zu vergeben etc.. Das bedeutet „Vermählung“ („Hochzeit“) = heilige Gemeinschaft mit dem Sohn Gottes, der uns diesen Weg zum (ewigen) Leben gezeigt hat.

Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus:

In jene Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern das folgende Gleichnis:

„Mit dem Himmelreich wird es sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen außer den Lampen noch Öl in Krügen mit.

Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein.

Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen!

Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht.

Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus.

Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht. Während sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal und die Tür wurde zugeschlossen. Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf!

Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht.

Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“