Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 4. Advent 2020

Datum:
So. 20. Dez. 2020
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zu den Lesungen und zum Evangelium des 4. Advents 2020:

Zur 1. Lesung (2 Sam 7, 1-5.8b-12.14a.16)

Das 2. Buch Samuel (eigentlich gibt es nur ein Buch des Propheten Samuel (des letzten Richters in Israel, 11. Jh. v. Chr.), das wegen seiner Länge aber geteilt wurde) berichtet v.a. von König David (um 1000 v. Chr.), des zweiten Königs von ganz Israel (nach König Saul). „Richter“ waren wahrscheinlich charismatische Heerführer für die zwölf Stämme Israel (um diese gegen äußere Feinde zu verteidigen), die sich mittlerweile in Palästina / Kanaan niedergelassen haben. Zuvor war das „Allerheiligste“ (= die „Bundeslade“ mit den Zehn Geboten) immer in einem entsprechenden Zelt aufbewahrt worden (= „Zeltheiligtum“). Nach dem, was wir gleich hören, gab es wohl (was auch als historisch gilt) schon unter König David Pläne, nun in Jerusalem einen Tempel für die Bundeslade zu bauen. Umgesetzt werden diese Pläne dann tatsächlich aber erst unter seinem Sohn und Nachfolger König Salomon, vielleicht ab 966 v. Chr.

Natan ist auch ein Prophet, der zeitweise am Hofe König Davids lebt und ein Vertrauter seines Sohnes und Nachfolgers König Salomon ist.

Dieser Abschnitt aus dem Samuel-Buch wurde als erste Lesung für heute ausgewählt, weil demnach der rechtmäßige König von Israel nur aus dem Stamme Juda und aus dem Hause Davids kommen darf / kann. Aus diesem Geschlecht David stammt dann Josef (vgl. Mt 1, 20; Lk 2, 4), der Ziehvater Jesu. Das ist übrigens gemäß alttestamentlicher / antiker Überzeugung kein Widerspruch / Problem, denn bei der Zugehörigkeit zu einem Stamm / Haus ging es primär nicht um eine biologische, sondern um eine rechtliche Zugehörigkeit. Und die ist durch die Annahme Josefs von Maria mit ihrem (noch ungeborenen) Kind gegeben (vgl. Mt 1, 24!).

Lesung aus dem Buch Samuel:

In jenen Tagen, „als König David in seinem Haus wohnte und der Herr ihm Ruhe vor allen seinen Feinden ringsum verschafft hatte, sagte er zu dem Propheten Natan: Ich wohne in einem Haus aus Zedernholz, die Lade Gottes aber wohnt in einem Zelt. Natan antwortete dem König: Geh nur und tu alles, was du im Sinn hast; denn der Herr ist mit dir. Aber in jener Nacht erging das Wort des Herrn an Natan: Geh zu meinem Knecht David und sag zu ihm: So spricht der Herr: Du willst mir ein Haus bauen, damit ich darin wohne?

So spricht der Herr der Heere: Ich habe dich von der Weide und von der Herde weggeholt, damit du Fürst über mein Volk Israel wirst, und ich bin überall mit dir gewesen, wohin du auch gegangen bist. Ich habe alle deine Feinde vor deinen Augen vernichtet und ich will dir einen großen Namen machen, der dem Namen der Großen auf der Erde gleich ist. Ich will meinem Volk Israel einen Platz zuweisen und es einpflanzen, damit es an seinem Ort (sicher) wohnen kann und sich nicht mehr ängstigen muss und schlechte Menschen es nicht mehr unterdrücken wie früher und auch von dem Tag an, an dem ich Richter in meinem Volk Israel eingesetzt habe. Ich verschaffe dir Ruhe vor allen deinen Feinden. Nun verkündet dir der Herr, dass der Herr dir ein Haus bauen wird.

Wenn deine Tage erfüllt sind und du dich zu deinen Vätern legst, werde ich deinen leiblichen Sohn als deinen Nachfolger einsetzen und seinem Königtum Bestand verleihen. Ich will für ihn Vater sein und er wird für mich Sohn sein. Dein Haus und dein Königtum sollen durch mich auf ewig bestehen bleiben; dein Thron soll auf ewig Bestand haben.“

Zur 2. Lesung (Röm 16, 25-27)

Die zweite Lesung ist der Abschluss des Römerbriefes, des längsten Briefes von Paulus. Eine Aussage möchte ich besonders herausstellen, weil sie eine grundlegende Überzeugung und Glaubenspraxis bedeutet: „Ehre sei Gott durch Jesus Christus …“ (vgl. Röm 16, 27), d.h. wir erweisen Gott dadurch (!) Ehre, dass wir so leben und lieben, wie Jesus!! Dadurch dienen wir Gott am meisten und besten = Gottes-Dienst!!

Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer:

„Ehre sei dem, der die Macht hat, euch Kraft zu geben – gemäß meinem Evangelium und der Botschaft von Jesus Christus, gemäß der Offenbarung jenes Geheimnisses, das seit ewigen Zeiten unausgesprochen war, jetzt aber nach dem Willen des ewigen Gottes offenbart und durch prophetische Schriften kundgemacht wurde, um alle Heiden zum Gehorsam des Glaubens zu führen. Ihm, dem einen, weisen Gott, sei Ehre durch Jesus Christus in alle Ewigkeit! Amen.“

Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas (Lk 1, 26-38)

In jener Zeit „wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria. Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe. Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen und seine Herrschaft wird kein Ende haben.

Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?

Der Engel antwortete ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden. Auch Elisabet, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen; obwohl sie als unfruchtbar galt, ist sie jetzt schon im sechsten Monat. Denn für Gott ist nichts unmöglich.

Da sagte Maria: Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.

Danach verließ sie der Engel.“

 

Liebe Schwestern und Brüder,

was wäre wohl gewesen, wenn Maria Nein gesagt hätte! Das ist doch eine spannende Frage, oder?

Jemand hat mir mal gesagt, die englische Kriminalautorin Agatha Christie hätte in einem ihrer Bücher beschrieben, dass der Teufel Maria in Versuchung geführt habe, indem er ihr alles, was am Ende mit ihrem Sohn passiert – der Verrat, das Leiden und die Kreuzigung – zeigte, damit sie sich gegen dieses Kind entscheidet. Aber Maria bleibt ihrem Ja, ihrem Vertrauen zu / auf Gott, treu. Ich habe bisher nicht herausfinden können, ob diese Szene tatsächlich von Agatha Christie stammt, aber viel wichtiger ist, dass es auch unabhängig von einer „Versuchung Mariens“ so großartig ist, wie Maria sich entscheidet – obwohl sie nicht wissen kann, was das konkret bedeutet. Wie kommt ein (auch noch so junger) Mensch dazu, sich auf einen solchen unbekannten Weg einzulassen? Das nennt man wohl Vertrauenvon Herzen! Was muss diese junge Frau in ihrem Innern stark gewesen sein, wie sehr muss sie ihrem Gefühl vertraut haben. – Ob man das lernen kann? Kann man Vertrauen lernen? Die Psychologen sind sich da weitgehend einig, dass die Basis für Vertrauen das sogenannte Urvertrauen ist. Dies wird in den ersten Lebensmonaten und –jahren ausgebildet, und zwar dadurch, dass das Kleinkind kontinuierlich erlebt, dass es geliebt und umsorgt wird, dass seine Bezugsperson(en) – meistens ja die Eltern – für es da sind und es sich auf sie verlassen kann. Es gibt eindeutige psychologische Untersuchungen, die darauf hinweisen, dass Jugendliche, die kriminell geworden sind, sich von anderen Jugendlichen vor allem darin unterscheiden, dass die Entwicklung ihres Urvertrauens gestört wurde, d.h. wenn sie als Kleinkind auf Grund von Krankheit, Tod oder anderer widriger Lebensumstände von den Eltern getrennt wurden oder es Vernachlässigungen gab. Besonders schwerwiegend ist es wohl bei den Kindern, die schon eine feste Bindung zu ihren Eltern aufgebaut haben und es danach starke Irritationen bzgl. ihres (Ur-)Vertrauens gab. Was Kinder nämlich vor allem und von Anfang ihres Lebens brauchen, kann man mit den sogenannten  „3 Z“ zusammenfassen: Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit. Dadurch entwickelt sich maßgeblich das Urvertrauen und ist damit die Basis für die Ausbildung von Vertrauen im späteren Leben: Selbstvertrauen, Vertrauen in andere, und in das Leben generell. Auch wenn wir als Kinder zunächst davon abhängig sind, wie wir z.B. durch die 3 Z unsere Vertrauensfähigkeit ausbauen können, desto mehr sind wir mit zunehmenden Alter dafür selbst verantwortlich. Eine große Rolle spielt dabei meiner Meinung nach auch, wie sehr wir Situationen und Erfahrungen emotional erleben, d.h.  spüren können: Welche Gefühle (nicht Affekte, die sind zu flüchtig und zu vordergründig) habe ich in der und der Begebenheit? Warum habe ich die und was bedeutet das jetzt für meine Einschätzung und (Re-)Aktion? Sind das „gute“ Gefühle? Was führt zum „Guten“?

Und ich halte noch eine andere „Dimension“ für wichtig, wenn es darum geht, wie vertrauens-voll ich lebe: Beziehe ich bei meinen Wahrnehmungen auch eine unsichtbare Wirklichkeit mit ein, etwas, das man nie greifen oder beweisen und oft schwer beschreiben kann? Das ist die Ebene von „Energien“, von Kräften und vielleicht auch Mächten, die – für die, die das so sehen / glauben – alles Sein durchdringen. Das meint dann v.a. auch eine göttliche Energie oder Sphäre. Die in das Lebenskonzept, in den Alltag und persönliche Entscheidungen miteinzubeziehen, das ist ja die Aufgabe und das Ziel religiöser Erziehung, Bildung und Praxis. Ich bin davon überzeugt, Maria hat dieses Gespür für das Göttliche mehr gehabt als alle anderen Menschen vor ihr. Und sie hat ihrem Gefühl vertraut, ihrem Herzen, was sie immer schon in ihrem Leben getan und vertieft hat (vgl. auch das Fest der unbefleckten Empfängnis Mariens am 8. Dezember). Und so wird es wohl passiert sein: Irgendeine Begegnung hat es gegeben (es war wahrscheinlich kein Engel mit weißen Flügeln), die sich im Verlauf als ein absoluter Wendepunkt für Maria offenbarte: Ihr wird verheißen, dass sie schwanger werden wird – ohne biologische Erklärung. Ihr ist klar – das hat sie ja schon bei ihrer Verwandten Elisabeth erlebt –, dass „für Gott nichts unmöglich ist“ (Lk 1, 37). Dieses Kind wird der erwartete Messias sein – und Maria willigt bewusst ein in den Plan Gottes, den sie spürt und dem sie vertraut. Das „wusste“ Gott natürlich schon, und deswegen war es möglich. Hat Maria also nichts anderes gemacht, als sich dem Plan Gottes zu ergeben? Ja. Ist das deswegen also eigentlich nicht ihre Freiheit / Verantwortung? Nein. Und da wird es jetzt für uns interessant: Weil sich Maria so sehr auf das Vertrauen zu Gott, auf das Spüren von guten und schlechten Energien, auf das, was zum Leben und zur Liebe führt und was nicht, eingelassen hat, weil sie das zeit ihres Lebens entfaltet / „kultiviert“ hat, deswegen wurde sie erwählt! Auch wenn alles Gnade / Geschenk Gottes ist, was wir vollbringen, so ist es aber doch gerade unsere Verantwortung (und Freiheit), in welche Richtung wir uns im Leben entwickeln, welche zwischenmenschlichen, moralischen und religiösen Ziele wir verfolgen und umsetzen. Das ist die eigentliche Aufgabe für uns Menschen, egal, wann, wo und unter welchen Umständen wir aufwachsen. Je mehr wir diesen Lebensauftrag pflegen, je mehr wir damit auf der Suche nach dem Göttlichen sind, desto mehr kann es uns erreichen!!

Stellen Sie sich vor, wir würden auf Gott in unserem Herzen vertrauen, wir würden spüren, dass da etwas „Heiliges“ berührt / gefordert ist / im Raum steht – und wir würden zu dem, was sich daraus für uns ergibt, Ja sagen … – dann kommt Gott in diese Welt, bei allen Begegnungen mit Menschen, in denen wir dazu bereit sind!