Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 5. Fastensonntag im Jahreskreis 2022

Datum:
So. 3. Apr. 2022
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum 5. Fastensonntag im Jahreskreis

Zur 1. Lesung (Jes 43, 16-21)

Das Buch des Propheten Jesája besteht aus drei Teilen, nur der erste („Protojesaja“, Jes 1-39) wird dem gleichnamigen Propheten zugeschrieben, der zwischen 740 und 701 v. Chr. im Südreich Juda wirkt und Juda und das damalige Nordreich Israel vor der Assyrischen Bedrohung bzw. dem bevorstehenden Strafgericht Gottes warnt. „Deuterojesaja“ sind die Kapitel 40-55, die sich auf die Endzeit / die Zeit direkt nach dem Babylonischen Exil (597-39 v. Chr.) des Volkes Israel beziehen, d.h. etwa 540 v. Chr., Tritojesaja“ (Jes 56-66) sind Texte aus der Zeit nach dem Exil und dem Neubau des Tempels (ca. 520-510 v. Chr.). Der heutige Auszug aus Jesája ist demnach aus der zweiten Hälfte des 6. Jh. v. Chr., und zwar mit einer interessanten These / Überzeugung: Die göttliche Kraft bewirkt Wachstum in scheinbar fruchtlosen, öden Situationen: Glauben wir daran / vertrauen wir darauf, dass in unserer Verzweiflung, in Mutlosigkeit, in Bedrückung, im tristen Alltag etwas Neues, Lebendiges und Gutes passieren kann – mit Gottes Kraft / Geist?

Lesung aus dem Buch Jesája:

„So spricht der Herr, der einen Weg durchs Meer bahnt, einen Pfad durch das gewaltige Wasser, der Wagen und Rosse ausziehen lässt, zusammen mit einem mächtigen Heer; doch sie liegen am Boden und stehen nicht mehr auf, sie sind erloschen und verglüht wie ein Docht. Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, sollt ihr nicht achten. Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht? Ja, ich lege einen Weg an durch die Steppe und Straßen durch die Wüste. Die wilden Tiere werden mich preisen, die Schakale und Strauße, denn ich lasse in der Steppe Wasser fließen und Ströme in der Wüste, um mein Volk, mein erwähltes, zu tränken. Das Volk, das ich mir erschaffen habe, wird meinen Ruhm verkünden.“ 

Zur 2. Lesung (Phil 3, 8-14)

Das Ziel unserer himmlischen Berufung (vgl. Vers 14) ist: So frei von materiellen Dingen, von negativen Erfahrungen und von Angst zu sein, dass nichts unsere Nächsten- und Gottesliebe trüben kann und wir jederzeit bereit sind, Gutes zu tun! Wie sehen bei mir die Bindungen an Materielles aus, mein Umgang mit Enttäuschungen und Sorgen, wovor habe ich konkret Angst? Und wie beeinflusst das meine Zuversicht, meine Herzlichkeit und Güte, meine Erfüllungen?

Lesung aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an die Philípper:

Liebe Schwestern und Brüder! „Ich sehe alles als Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles übertrifft. Seinetwegen habe ich alles aufgegeben und halte es für Unrat, um Christus zu gewinnen und in ihm zu sein. Nicht meine eigene Gerechtigkeit suche ich, die aus dem Gesetz hervorgeht, sondern jene, die durch den Glauben an Christus kommt, die Gerechtigkeit, die Gott aufgrund des Glaubens schenkt. Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden; sein Tod soll mich prägen. So hoffe ich, auch zur Auferstehung von den Toten zu gelangen. Nicht dass ich es schon erreicht hätte oder dass ich schon vollendet wäre. Aber ich strebe danach, es zu ergreifen, weil auch ich von Christus Jesus ergriffen worden bin. Schwestern und Brüder, ich bilde mir nicht ein, dass ich es schon ergriffen hätte. Eines aber tue ich: Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung, die Gott uns in Christus Jesus schenkt.“

Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas (Joh 8, 1-11):

In jener Zeit „ging Jesus zum Ölberg. Am frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte es. Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt. Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du? Mit dieser Frage wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn zu verklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie seine Antwort gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand. Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“

Liebe Schwestern und Brüder,

sie haben ihn gut gekannt, die Schriftgelehrten und die Pharisäer, diesen Jesus aus Nazareth, sie wussten sogar, wie er fühlte, dieser Wunderheiler, der die Verirrten und Unglücklichen sucht, die Kranken und Verhassten, dessen Mitgefühl und Mitleid keine Grenzen kennt und dessen Barmherzigkeit so unerschöpflich scheint, dass man sich wünscht, er müsse irgendwann daran ersticken. Und so bringen sie sie zu ihm, diese Frau, auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt. An den Armen und den Haaren werden sie sie wohl aus dem Bett gezerrt haben, etwas Besseres konnte gar nicht passieren: „Sie ist ganz klar schuldig und es gibt ganz klar ein Gesetz. Und wenn er das verletzt, dann haben wir ihn, dann hat er sich selbst überführt, weil er meint, über dem Gesetz zu stehen“. Er muss doch dieses erbärmliche, verlorene Schaf in Schutz nehmen, er kann ja gar nicht anders. Und je mehr sie die Kleine quälen, je gröber sie sie anpacken und je hässlicher sie sie beschimpfen, umso sicherer muss er doch, dieser Gütige, in die Falle tappen. Alle warten, dass Jesus nach dem Köder schnappt – aber was macht er? Er ignoriert sie, und als sie fortfahren, ihn zu fragen, spricht er diesen berühmten Satz, den, glaube ich, auch die kennen, die nichts von der Kirche halten: Nur der darf urteilen, der frei von Schuld ist – also niemand, außer Gott! So werden die, die scheinbar auf Reinheit und Sitte achten, zu den Beschämten – und sie werden ihm (auch) das nie verzeihen, denn so hat es doch immer funktioniert: Weil sie nicht auf das schauen wollen, was in ihrem Innern nicht stimmt, ihre eigenen Kompromisse, verborgene Sehnsüchte und schmutzige Gedanken, stürzen sie sich auf das, was bei anderen offensichtlich nicht in Ordnung ist. – Gott sei Dank gibt es so etwas in unserer Gesellschaft nicht mehr. Hier werden keine Steine mehr geworfen, auf jeden Fall nicht, um jemanden zu töten, vielleicht bei Demonstrationen oder Krawallen, aber nicht durch die Gesellschaft, das gab es nur damals im Orient oder heute in fundamentalistischen Ländern, aber hier bei uns doch nicht mehr. – Und wir alle wissen, dass das nicht stimmt! Heute werden Menschen bei uns nicht an den Haaren auf die Straße gezogen und dem Gespött und der Demütigung preisgegeben, sondern durchs Fernsehen oder durch die Zeitung: die Fernsehshows und die Nachrichten sind voll davon, oder durch soziale Netzwerke, auf dem Schulhof oder durch unser Gerede: „Haben sie schon gehört? Der und der hat sich von seiner Frau getrennt, und die hat auch wieder einen Neuen, na ja, das musste ja so kommen. Und bei denen ist die Ehe auch am Ende. Wissen Sie schon, was ich bei unserem Nachbarn gesehen habe? Haben Sie gewusst, dass der Pfarrer von XY ein Alkoholproblem hat? Und das 17jährige Ding aus der nächsten Straße ist doch schwanger“! Steine werfen – das geht heute bei uns nicht mehr mit Händen, sondern mit Worten und Bildern. Und warum ist das nach wie vor so wichtig? Da gibt es v.a. zwei Motive: Alles soll so sein, wie es sich gehört, wenigstens äußerlich, aber wenn einer ausbricht und damit zeigt, wie brüchig unsere Fassaden sind, wie unehrenhaft, lieblos, verzweifelt und verfahren es oft dahinter tatsächlich ist, dann muss man sich davon abgrenzen: „Ich / meine Familie / meine „Kreise“ sind aber nicht so“!? So stehen wir Menschen also immer wieder da mit unseren Anklagegeschossen, unseren Vorurteilen und Verurteilungen – anstatt daran zu arbeiten, was unsere einzige Verantwortung ist: an uns selbst! Aber da gab und gibt es einen, der jedem von uns das, was uns schwer fällt und wir am liebsten auf andere werfen wollen, aus der Hand nehmen will, weil wir uns sonst nie mit unserem Kram, unserer Not und unserer Schuld beschäftigen. Nur wenn ich mich mit meinen Sünden beschäftige, wird es für mich Heilung geben (können) – und mehr Verständnis, Toleranz und Hilfe für das Fehlerhalten anderer.