Es ist Sonntagmorgen. Normalerweise würde ich jetzt in ein paar Minuten nach Drais fahren und dort mit der Gemeinde in Maria Königin die Eucharistie feiern.
Aber wir leben in Zeiten von „Corona“ und nichts ist mehr wie vorher…
Heute ist schon der zweite Sonntag, in dem keine öffentlichen Gottesdienste mehr stattfinden. Das öffentliche Leben wird immer mehr „heruntergefahren“. Kein Mensch weiß, wie lange dieser „Ausnahmezustand“ noch dauern wird. In den Nachrichten, im Internet, in den Zeitungen gibt es fast nur noch ein Thema: „Corona“. Um uns herum – ich denke, so empfinden es alle mehr oder weniger – ist eine fast gespenstische Stille. Draußen ist schönstes Frühlingswetter: es ist zwar noch ziemlich kalt, aber die Sonne scheint, alles blüht, die Natur erwacht in den schönsten, zartesten Farben. Draußen ist es wunderschön – und in uns? Ich spüre Unsicherheit, Angst, eine gewisse Lähmung und eine große Irritation: ich kann diese geradezu irreale Situation noch gar nicht richtig erfassen. Wer hätte sich das vor drei Wochen auch nur ansatzweise vorstellen können?
„Corona“ verursacht jetzt schon Angst, Leid, weltweit tausendfachen Tod und einen riesigen wirtschaftlichen Schaden. Man will sich kaum ausmalen, wie es in einem Monat oder später aussehen wird. Sehr viele Menschen bangen um Ihre Existenz, viele sind jetzt schon ruiniert. Der Staat will helfen, aber auch seine Möglichkeiten sind begrenzt.
„Corona“ bringt uns alle an Grenzen. „Corona“ bringt auch eine Gesellschaft an ihre Grenzen, deren Tempo sich immer mehr beschleunigt hatte: immer weiter, immer schneller, immer mehr, immer besser, immer gieriger; alles ausnutzen, alles „mitnehmen“, was die Welt zubieten hat… Und jetzt auf einmal: Stopp!
„Corona“ macht unbarmherzig den hemmungslosen Egoismus klar, in dem wir
(ich nehme mich davon überhaupt nicht aus) zu leben gewohnt waren und im Grunde immer noch sind. „Corona“ mit seinen Folgen bestätigt auch leider in vieler Hinsicht den traurigen Satz: „Jeder ist sich selbst der Nächste“.
Aber „Corona“ bringt auch andere Seiten in uns zum Vorschein.Der Mensch ist nie nur schlecht oder nur gut. Notsituationen können auch ungeahnte positive Kräfte freisetzen. Ich sehe in meinem Umfeld Zeichen wie die ganz schnell auf die Beine gestellte Aktion „Wir kaufen für Sie ein!“ der beiden christlichen Gemeinden in Drais-Lerchenberg: Ein ganz herzliches DANKE dafür! Ich bekomme mit, wie Ärzte, Pflegekräfte, Polizei, Menschen in sozialen Hilfsdiensten sich bis zur Erschöpfung für gefährdete Mitmenschen einsetzen. Ich nehme wahr, wie die als selbstverständlich angesehene Arbeit von Kassiererinnen, Supermarktmitarbeiterinnen und Müllwerkern auf einmal geschätzt wird. Ich sehe vielfältige Zeichen von Dankbarkeit, Ermutigung und Solidarität. Das tut gut!
Was ist in dieser Situation unsere Aufgabe als Christen?
Was bedeutet konkret „Beten“ in Zeiten von „Corona“?
Ich muss gestehen, dass ich mich da auch unsicher fühle: Soll ich Gott um ein schnelles Ende der Pandemie bitten? Soll ich ein Wunder erwarten, ein überraschendes Eingreifen Gottes? Soll ich die Krise als „Weckruf“ Gottes – oder womöglich sogar als „Strafe Gottes“ deuten? Worum können und sollen wir in einer solchen Situation beten? Vielleicht einfach um das, was wir schon tausendmal (aber ich fürchte: oft sehr gedankenlos und oberflächlich) im „Vaterunser“ gebetet haben: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden“. Das ist nicht resignativ gemeint im Sinne „Es geschieht ja sowieso, ich kann nichts daran ändern“, sondern im Sinne: Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass der Wille Gottes um mich herum geschieht und bitte Gott um Kraft und Phantasie dazu. Der „Wille Gottes“ ist immer etwas Gutes: Leben, Trost, Ermutigung, Vertrauen, Solidarität, Nächstenliebe, Gerechtigkeit…
Gott will, dass ich, ein kleiner, schwacher, „unbedeutender“, ängstlicher... Christ in dieser Situation (genau in dieser Situation!) mich an ihm (und an sonst niemand! ) festhalte.
Wenn ich diese Bitte ernstnehme, wenn ich ernsthaft in diesem Sinne darum bete, dass „dein Wille geschieht“, dann wird sich etwas tun, dann wird sich um mich herum etwas (positiv!) verändern. Gott wird mich erkennen lassen, wen ich z.B. anrufen könnte, wem ich eine E-Mail oder eine What’s App schreiben könnte, wer auf ein kleines Zeichen der Verbundenheit oder Aufmerksamkeit wartet. Wir können Gott helfen, in dieser Krise präsent zu sein – durch uns Christen!
In der 2. Lesung des heutigen 4. Fastensonntages aus dem Brief an die Christen in Ephesus heißt es: „Brüder und Schwestern! Einst war ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr durch den Herrn Licht geworden. Lebt als Kinder des Lichts! Das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor“ (Eph 5, 8-9).
Gottes Segen, der durch Menschen spürbar wird, begleite uns durch diese schwierigen Zeiten!
Pfarrer Ulrich Jung