Das Weihnachtsevangelium beginnt mit dem Bericht einer kaiserlichen Verfügung, die ganze bewohnte Welt sei aufzuschreiben. Wenn ein Kaiser oder sonst ein Staatenlenker so etwas tut, dann will er die Menschen in den Griff bekommen. Der Mensch soll so verwaltet werden, wie es den Regierenden passt. Das war damals so, das ist heute so.
Weil das so ist, wissen wir oder sollten es wissen: Wir dürfen nicht harmlos den Regierenden trauen. Günter Eich warnt in seinem Buch „Träume“, das gar nicht genug ernstgenommen werden kann: „Seid misstrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen!“ Wie berechtigt das Misstrauen ist, zeigt sich darin, dass die Gesetze immer noch so gemacht werden, dass sie die Reichen begünstigen und die Armen noch mehr in die Armut bringen.
Das Weihnachtsevangelium wie auch die weitere Kindheitsgeschichte Jesu sind nicht von Historikern geschrieben. Die Evangelisten hatten die Absicht zu zeigen, dass das ganze Leben Jesu, so sehr es ein vollmenschliches Leben war, geprägt war von einer Kraft, die stärker war als das weltliche Diktat, das die Menschen so leicht zu manipulierbaren Figuren macht.
Wir wissen nicht, ob zur Zeit der Schwangerschaft Marias und der Geburt Jesu eine Volkserzählung stattgefunden hat. Doch der Evangelist zeigt in einem den Menschen bekannten Rahmen auf, wie das Leben Jesu den gleichen Bedingungen unterworfen ist wie das Leben anderer Menschen auch.
Je näher ein Mensch Gott steht, desto mehr gerät er in Konflikt mit der Welt, weil er der Welt nicht hörig ist. Eigentlich müsste die Welt das ihr von Gott zugedachte Geschenk Gottes mit offenen Händen, mit offenen Armen, mit offenem Herzen annehmen. Wie es wirklich ist, ist im Johannes-Evangelium in wenigen, aber bedeutsamen Worten ausgesprochen: „Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (1,11). Mit dem Bild der Abweisung bei der Herberge, mit dem Bild vom Stall zeigt der Evangelist die harten Strukturen der Welt auf, denen Jesus im ganzen Leben ausgesetzt war. Die Melodie des späteren, des öffentlichen Lebens Jesu lässt der Evangelist in der Kindheitsgeschichte anklingen.
Den folgenden Teil unseres Evangeliums könnten wir mit den Worten kennzeichnen: Der Evangelist lässt die Melodie Gottes erklingen. Ich habe schon häufig das Wort des Märtyrerbischofs Ignatius von Antiochien zitiert. Er schreibt es um das Jahr 107 an die Gemeinde in Ephesus. „Nehmt Gottes Melodie in euch auf“. Das können wir von Jesus sagen: Er hat sich den Takt der Welt nicht aufzwingen lassen. Er hat im Gespräch mit denen, die im politischen Bereich oder auch im religiösen Bereich den Ton angeben, in aller Bestimmtheit und in aller Einfachheit die Melodie Gottes anklingen lassen. Und er hat bezeugt, dass dies auch geschieht durch die Unmündigen (Mt 11,25), also durch die, die in der Welt nichts zu sagen haben.
Das hat der Evangelist im Weihnachtsevangelium aufgezeigt. Die Botschaft, die vom Heil der Welt, von der Erlösung der Menschen kündet, kommt bei den Armen an. Ihnen wird sie mitgeteilt, weil die Großen der Welt viel zu sehr mit sich beschäftigt sind, mit dem Ordnen der Welt, das sich so oft verhängnisvoll für die Welt auswirkt in Kriegen, in Ausbeutung, in Unterdrückung der Menschen.
Dagegen steht die Verheißung der Heiligen Nacht: „Herrlichkeit Got-tes; in den Höhen! Und auf Erden: Friede den Menschen seines Gefallens!“ Es erscheint mir richtig, beide Aussagen, die, die sich auf Gott bezieht, und die, die sich auf die Menschen bezieht, mit Ausrufezeichen zu schreiben. „Herrlichkeit Gottes“ – das ist nie nur eine Feststellung, sondern ein Ausruf der Freude, der Befreiung. Die Dichterin Hilde Domin schreibt in einem Gedicht (Die Heiligen): „Wir essen Brot, aber wir leben von Glanz“. Wir dürfen dankbar sein, dass Gott uns keine Krämerseele eingehaucht hat, sondern Seinen Geist. Das Ausrufezeichen bei der Verkündigung: „Herrlichkeit Gottes!“ ist gerade darum so notwendig, dass wir unsere Seele nicht zu einer Krämerseele verkümmern lassen.
Das zweite Wort: „Auf Erden: Friede den Menschen seines Gefallens!“ – braucht auch das Ausrufezeichen. Es macht uns aufmerksam, dass der Wunsch nach Frieden nicht das Selbstverständliche ist. Keinen Krieg im eigenen Land, das wollen alle. Jesus meint aber einen anderen Frieden, der auch den Krieg ablehnt, der andere zerstört. Wird am Hindukusch unsere Freiheit verteidigt oder sind wir bereit, Kriege zu führen, um unseren hohen Lebensstandard nicht einschränken zu müssen?
Die Weihnachtsbotschaft verheißt den Frieden auf Erden unter den Menschen, an denen Gott Wohlgefallen hat. Dafür steht das Ausrufezeichen, dass wir mit Gottes Hilfe Friedensstifter sind. –
Wenn in der Bibel von Engeln die Rede ist, dann heißt das: Den Menschen erreicht eine Botschaft, und sie will von ihm angenommen wer-den. Und sie soll ohne Angst angenommen werden. Die Ermutigung „Ängstet euch nicht! Fürchtet euch nicht!“ – gehört immer dazu. Das hat sicher auch die Bedeutung: Was von Gott kommt, sind keine Allerweltsweisheiten, auf die man sich anstrengungslos einlassen kann. Es kann um einen unangenehmen Weg gehen heißen, der einzuschlagen ist. Wer dazu bereit ist zu gehen, kann die Erfahrung machen, dass sich der Weg im Gehen erschließt.
Die Hirten repräsentieren im Weihnachtsevangelium die einfachen Menschen, die einen Blick für das Wesentliche haben. Darum sind sie bereit und frei genug, sich ganz auf das ihnen Mitgeteilte einzulassen.
Heute sind wir es, die eine Botschaft empfangen. Von den Hirten wird berichtet, dass sie die Botschaft weitertragen. Das von Gott kommende Wort soll weitergetragen werden. Was mit Jesus gekommen ist, ist immer bezogen auf Verwirklichung.
Ich schließe die Besinnung mit der Beschreibung davon, wie Maria, die Mutter Jesu, mit den Worten umgegangen ist, die sie an ein Geheimnis herangeführt haben, das sich ihr erst im Laufe ihres Lebens erschließen wird. Von Maria heißt es: „Maria aber hielt all diese Worte verwahrt und fügte sie in ihrem Herzen zusammen“.
Die Freude über das Geheimnis von Weihnachten, das Staunen über das, was Gott uns schenkt, die Sehnsucht, dass sich uns viel von dieser Wahrheit erschließt -, all das soll uns bewegen, dass auch wir alle die Worte verwahren und sie in unserem Herzen zusammenfügen.
Kurt Sohns