Die Verklärung Jesu wird in drei Evangelien erzählt, im Matthäus-, im Markus-, im Lukas-Evangelium. Das Besondere in der Darstellung des Lukas-Evangeliums ist, dass die Verklärung geschah, während Jesus betete (Lk 9,29). Sein Gebet erfasst den ganzen Leib. Im Beten ereignet sich etwas, das wir beschreiben können als ein Einlassen von Gottes Wirklichkeit oder besser, da Gott ja in uns präsent ist: als ein Freilassen dieser Wirklichkeit, so dass sie sich auswirken kann in uns und so auch körperlich erfahren werden kann. Stephanus, der in der Apostelgeschichte in seinem Beten als so tief mit Gott verbunden beschrieben wird, dass er die Himmel durch und durch offen sieht (7,56), wird an einer anderen Stelle geschildert: „Sie sahen sein Gesicht wie eines Engels Angesicht“ (Apg 6,15).
Ich weise auf diese Berichte nicht hin, um zu zeigen, dass hier von einer Realität erzählt wird, die mit der unseren nichts zu tun hat. Im Gegenteil. Ich gehe davon aus, dass wir beim Hören dieser Erzählungen die Sehnsucht verspüren, uns im Beten so tief auf Gott einlassen zu können, dass wir an innerer Schwerfälligkeit verlieren. Psalm 25 be-ginnt mit den Worten: „Zu dir, Jahwe, hebe ich meine Seele“ (V.1). „Meines Herzens Beengungen weite“ (V.17), fleht der Betende später. Wenn Menschen erzählen, dass sie im Gebet Trost erfahren haben-, dass sie wieder Zuversicht und Vertrauen gewonnen haben, dann drücken sie damit aus, dass sie sich erhört erleben. Und Dankbarkeit und Glück sind ihnen anzusehen.
Aus solcher Erfahrung mag gesagt worden sein, als gläubiger Mensch „müsse“ man beten. Das Wort „müssen“ darf nicht missverstanden werden. Richtig verstanden, würde es aussagen, das Beten sei uns so notwendig wie das Atmen. Dazu fällt mir die Stelle aus dem Lukas-Evangelium ein, die über Jesus berichtet: „Es geschah aber in diesen Tagen: Er ging hinaus auf den Berg, um zu beten. Und er verbrachte die Nacht im Gebet zu Gott“ (6,12). Um die Bedeutung einer Bibelstelle besser zu erfassen, kann es gut sein, den Rahmen zu betrachten, in dem sie steht. Unmittelbar vor unserer Stelle wird erzählt, wie Jesus einen Menschen am Sabbat heilt. Wie kann der Sabbat besser geheiligt werden, als dass einem Menschen der Zugang zum Leben, zur Freude eröffnet wird? Die Gegner Jesu reagieren anders: „Sie aber wurden voll unsinniger Wut und beredeten untereinander, was sie Jesus antun könnten“. Solche Erlebnisse konnte Jesus nicht einfach wegstecken. Sie waren geeignet, ihn tief zu bedrücken. Vielleicht fühlte er sich kraftlos, von Fragen nach dem Sinn seines Einsatzes für die Menschen bedrängt. Es war nicht die Art Jesu, sich abzulenken. Ich empfinde sein Beten die Nacht hindurch als ein Ruhigwerden vor Gott, als ein Hören auf das, was Gott zu sagen hat. In dem Roman von György Konrad „Geisterfest“ ist zu lesen: „Was ich tue, wenn ich bete? Ich wittere das, was Gott von mir will.“ Auf unsere Stelle vom Beten Jesu folgt der Bericht von der Berufung der Jünger. Der Misserfolg, den Jesus erleiden musste, die Missdeutung, der er ausgesetzt war-, er ließ sich nicht zur Resignation bringen. Seine Antwort war ein Handeln aus der Orientierung heraus, die er im Gebet gefunden hatte.
Wenn Jesus schon die Neuorientierung brauchte und sie in der Stille der Nacht im Gebet suchte, um wieviel mehr brauchen wir sie. Eltern wissen darum, wenn sie mit ihren Kindern vor dem Schlafengehen beten. Sie benennen dem Kind, was der Tag an Schönem, aber auch an Belastendem gebracht hat, und bitten Gott, dass Er behütend in der Nacht da sei. Auch als Erwachsene brauchen wir diese Nähe Gottes. In einem kirchlichen Nachtgebet steht die schöne Bitte: „Dich träume unser tiefstes Herz“. Da ist mehr als die Bitte um einen guten Schlaf ausgesprochen. Im Schlaf hört ja das geistige Leben nicht auf. Was uns am Tag bewegt hat, geht mit in den Schlaf hinein. Und es ist gut, wenn wir uns nicht unentschieden den Kräften, die in uns da sind, überlassen, sondern den Wunsch, das Gute, das Heilende solle im Schlaf in uns wirken, aufrufen, dann wirkt sich diese Entscheidung im Schlaf aus. Anders gesagt: Wenn wir Gott bitten, dass Er das Lebensfeindliche, das am Tag von uns ausgegangen ist oder uns getroffen hat, von uns nimmt und das dem Leben Dienende in uns stärkt, dann kann unser Schlaf stärkend und heilend sein. „Als hätte nicht mehr denn einer, der seine Sachen sehr schlimm beim Niederlegen verließ, sie beim Aufstehen sehr gut wiedergefunden, weil ich vielleicht in der Nähe vorübergegangen war“ (Charles Péguy). Eines der kürzesten und schönsten Abendgebete sind für mich die Gebetsworte aus einem alten Hymnus: „Dich träume unser tiefstes Herz“.
Kurt Sohns