Immer wieder werden wir erschreckt vom Tod eines uns nahestehenden Menschen oder von einem plötzlichen Erdbeben, durch das, wie jetzt in Marokko, eine erschreckend große Zahl von Menschen getötet werden. Wie nahe stehen uns Leben und Tod!
Im Markus-Evangelium (Kapitel 4,35-41) hilft Jesus den Jüngern und heute uns, damit wir leben (und sterben) können. In dieser biblischen Erzählung sind Bilder gebraucht, die Symbol unseres Lebens sind: das Meer, das Boot, der Sturm, die Wellen. Und es ist von einer Situation die Rede, die uns nicht fremd ist: Ungesichert-Sein, Furcht, Schrecken.
Ausgelöst wird die Situation, die zur Bedrängnis wird, durch das Wort Jesu: „Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren“. Wörtlich: „Fahren wir zur Jenseite“. Da klingt etwas an, das uns aufmerken lässt. Es geht um mehr als um die Überquerung des Sees. Es geht immer um mehr, als es uns scheint. Es geht um den Weg unseres Lebens, der uns zugemutet wird. Mit der Verheißung des großen Ziels. Wir wünschen uns unseren Weg, wenn wir ihn als Zumutung sehen, oft anders. Vielleicht versuchen wir sogar, ihn so zu gehen, dass er nicht zu riskant wird.
Auch die Jünger Jesu, so zeigen sie uns die Evangelien, wollen kein so hohes Risiko eingehen. Im Johannes-Evangelium stellt Jesus, als viele von ihm weggehen, an sie die Frage: „Wollt auch ihr davongehen?“ Die Antwort der Jünger, von Petrus ausgesprochen: „Herr, zu wem sollten wir gehen? Worte unendlichen Lebens hast du“ (Joh 6,66-68). Das ist keine leicht dahingesagte Antwort aus dem Kreis der Jünger. Dafür ist die Gefahr, der sich die Jünger ausgesetzt sehen, zu groß. In unserem Evangelium wird die Gefahr, in der sich die Jünger befinden, anschaulich geschildert. Das Boot füllt sich schon mit Wasser. Und wie sich die Jünger an Jesus wenden, das klingt verzweifelt: „Lehrer, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“
Viele von uns haben Angst vor dem Zugrundegehen. Sei es der Verlust eines geliebten Menschen, der wie eigenes Sterben empfunden werden kann. Sei es der Verlust der geistigen Kräfte, der uns erschrocken fragen lässt: Was ist der Mensch? Was ist seine Zukunft? Sei es eine schwere Krankheit, die alles, was so kostbar war, infragezustellen scheint. All das bleibt denen nicht erspart, die glaubend ihren Weg zu gehen suchen.
Für glaubende Christen ist Jesus nicht nur ein Lehrer, der von Gott Kunde gibt und verlässlich Kunde geben kann, weil er in geheimnisvoller Weise mit Gott verbunden gelebt (Joh 1,18) und den Herzschlag Gottes vernommen hat. Er selbst ist glaubend seinen Weg gegangen. Der Hebräerbrief beschreibt ihn als „des Glaubens Führer und Vollender“ und ruft uns an, für die vor uns liegenden Herausforderungen des Lebens auf ihn „hinzublicken“ (12,2). Er selbst lädt dazu ein: „Ich bin mit euch alle Tage bis zur Vollendung der Weltzeit“ (Mt 28,20).
Diese seine uns zugesagte Solidarität ist in einem Lied zum Ausdruck gebracht, in dem es heißt: „Ich möcht´, dass einer mit mir geht, der`s Leben kennt, der mich versteht….Sie nennen ihn den Herren Christ, der durch den Tod gegangen ist; er will durch Leid und Freuden mich geleiten. Ich möcht´, dass er auch mit mir geht“. Weil Jesus mit uns geht, weil sein irdisches Leben zwar mit dem Tod endet, sein Leben aber in Gott sein endgültiges Ziel gefunden hat, endet auch unser irdisches Leben mit dem Tod, unser endgültiges Ziel aber ist Gott.
Die wahren Dimensionen des Lebens sind nicht die von der Welt propagierten: Macht, Geld, Karriere, sondern das Teilen des Brotes, die Achtung gerade der armen Menschen, das Ringen um Frieden und Gerechtigkeit. Darin blüht das Leben auf. Damit wird, immer neu, der Schritt aus dem Bereich des Todes in das Leben getan. Im 1. Johannes-Brief können wir das kostbare Wort lesen: „Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinüber geschritten sind; denn wir lieben die Schwestern und Brüder. Wer nicht liebt, verbleibt im Tod“ (1 Joh 3,14).
Die Bibel nennt die wahren Dimensionen des Lebens, die so schnell vergessen werden. In der Nähe des Todes sind wir dankbar, wenn sie sich uns zeigen als die wahren Bausteine des Lebens und wenn sie als die gute Botschaft Gottes genannt werden. Im 1. Thessalonicher-Brief schreibt darum Paulus an die Gemeinde: „Wir wollen euch, Brüder und Schwestern, nicht im Ungewissen lassen, was die Entschlafenden betrifft – damit ihr euch nicht betrübt wie die anderen, die keine Hoffnung haben“ (4,13).
Der französische Schriftsteller Georges Bernanos schreibt: „Meine Lieben, Sie können es nicht ändern, aber es gibt immer ein Abenteuer, auf das Sie sich einlassen werden, ohne dass Sie es wollen. Vielleicht schon morgen. Besser, Sie lassen sich jetzt gleich ein bisschen Wind um die Nase wehen, damit sie sich daran gewöhnen. Der sesshafte Mensch wird hinausziehen, und was er erlebt, ist größer und wunderbarer als alle Abenteuer, von denen Sie in den Büchern gelesen haben. Ja, ich spreche vom Tod, von Ihrem Tod, Ihrem eigenen, persönlichen besonderen Tod. Ein Sterbebett ist ein Bett wie jedes andere, solange der Sterbende einen letzten Kontakt mit den Lebenden wahrt – ich meine das unermüdliche Herz, das bis zum Ende durchhält. Doch so-bald sich die erschöpfte Brust mit feierlichem Schweigen füllt, er-scheint mir das ärmlichste Lager als ein wundersames kleines Boot, das plötzlich an seinen Ankern zerrt und davon schwimmt… So fangen die großen Abenteuer an“.
Die Ahnung, in dieses große Abenteuer gerufen zu sein, ist begründet von der von Gott herkommenden Worte: „Da! Neu mache ich alles. – Ich bin das Alpha und das Omega, der Uranfang und das Ziel. Ich: der aus dem Lebenswasser-Quell dem Dürstenden gibt – umsonst“.
Else Lasker-Schüler spricht in einem Gedicht von der Erfüllung dieser Sehnsucht die schönen Worte: „Das ewige Leben dem, der viel von Liebe weiß zu sagen. Ein Mensch der Liebe kann nur auferstehen!“
Kurt Sohns