Schmuckband Kreuzgang

Komm, Du Geist, durchdringe uns

Datum:
Mi. 24. Mai 2023
Von:
Pfr. em. Kurt Sohns

Ernesto Cardenal schreibt in einem seiner schönsten Bücher: „Alle Menschen nennen eine innere Kammer ihr eigen. Im Innern jedes menschlichen Lebens gibt es einen Raum, einen ganz persönlichen Bereich, zu dem nur Gott Zutritt hat. Doch die meisten Menschen ignorieren das Vorhandensein dieses inneren Raumes, und darum ist ihr Herz leer und ohne Liebe“ (Das Buch von der Liebe). Es ist also nicht so, als würde der Mensch zu viel verlangen, er verlangt zu wenig. Das ist sein Unglück. Dass er dauernd darauf aus ist, sich das oder jenes zu beschaffen, spricht nicht dagegen. Das Materielle kann die Sehnsucht, die in uns lebendig ist, nicht stillen.

Wir in der reichen Bundesrepublik leben in einem Land, in dem das materielle Warenangebot unheimlich groß ist. Was immer mehr abnimmt, sind die Hinweise darauf, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt. Wie wird es in Zukunft sein: Verschwindet die Sehnsucht nach dem ganz Anderen immer mehr? Oder schlägt der Überdruss an der Sinnleere um in einen Hunger nach Gott?

Es gibt ein Fest, bei dem die Sehnsucht des menschlichen Herzens nach dem, was es erfüllen kann, zur Sprache kommt: Pfingsten. Ob diese Sprache verstanden wird, ist nicht sicher. Aber die Kirche legt denen, die das Fest feiern, Worte in den Mund, die nach dem rufen, was wir so notwendig brauchen. Ich versuche, es an einem Beispiel aufzuzeigen. In der um 1200 entstandenen Pfingstsequenz finden wir die Bitte:

O du übersel‘ges Licht

füll der Herzen tiefsten Grund

denen, die auf dich vertrau’n.

Romano Guardini, von dem diese Übersetzung aus dem lateinischen Urtext stammt, schreibt dazu: „Das sind Worte wie aus einer anderen Welt. – In Gott muss das Geheimnis sein, dass die Klarheit da zugleich Innigkeit ist, und die Kraft Liebe, und die schöpferische Fülle Licht. – Fühlen wir das Geheimnis, von dem das Lied singt? Dass das Herz leuchtet, und die Helle glüht? Dass Liebe und Wahrheit eins sind in Etwas, was keine Namen mehr hat? Doch, einen
Namen: Gott?“

Fühlen wir, dass es eine Tiefe in uns gibt, die mit Gott zu tun haben will-, die von Gott erfüllt werden will? „An den Quellen der Träume, der Mythen und der Liebe: Dort ist der Raum, in dem Gott Wohnung nehmen möchte“ (Ernesto Cardenal). Wenn uns an Pfingsten Worte in den Mund gelegt werden, in denen Gott angesprochen wird, Er solle den tiefsten Grund unseres Herzens erfüllen, dann kommt alles darauf an, dass wir diese Worte nicht gedankenlos sprechen oder singen, sondern dass wir uns von ihnen anrühren lassen und sie zu unserer Bitte machen: Nicht das Oberflächliche, das Belanglose soll mein Leben prägen! Nicht mit dem Einsatz des halben Herzens will ich leben! Gott, lass Dich erahnen! Lass mich Dich suchen!

Wie tief gelingt unser Beten? Paulus hat um die Begrenztheit des menschlichen Betens gewusst. Für ihn war der Mensch aber dort, wo er nicht weiterkonnte, nicht am Ende. Wo der Betende seine Grenze erfährt, da tritt der Geist selbst für ihn ein (Röm 8,26). Das ist ein stilles Geschehen, ein leises Pfingsten. Meist wird sich Pfingsten leise ereignen. Darauf zu vertrauen, hilft uns zu hoffen.


Kurt Sohns