Zum Inhalt springen

Peter Kohlgraf, Bischof von Mainz:Predigt im Rahmen des Gründungsgottesdienstes der Pfarrei Hl. Hildegard von Bingen

Logo Bischof Mainz
Liebe Brüder und Schwestern, lesen Sie hier die Predigt unseres Bischofs Peter Kohlgraf, die er am 19. Januar 2025 im Gründungsgottesdienst gehalten hat.
Datum:
19. Jan. 2025
Von:
Redaktionsteam der Pfarrei

Am Anfang steht das Fest, die Freude: So tat Jesus sein erstes Zeichen in Kana, in Galiläa, heißt es im heutigen Evangelium am Tag der Pfarreigründung hier in Bingen. In dieser ersten öffentlichen Handlung zeigt Jesus, worauf es Gott ankommt: Leben in Fülle, Leben in Freude. Am Anfang der Kirche steht also das Fest, die Freude, der Wein. Jesus verwandelt unser Wasser in den Wein neuen Lebens.

Es kommt nun immer wieder dazu, dass wir den Wein Gottes in Wasser verwandeln. Aus der Freude wird genau das Gegenteil, aus dem, was Gott uns schenken möchte, wird das fade Wasser in den Krügen.

In den vergangenen Jahren haben sich hier im Pastoralraum viele Menschen daran beteiligt, dass der Glaube als Fest, als Gemeinschaft, als Erfahrung der Freude gelebt werden kann. Dabei gab es natürlich Sorgen, Konflikte, Fragen, und viele Diskussionen. Allen Beteiligten kann ich nur meinen Dank aussprechen und meinen Respekt zollen, dass Sie sich derart konstruktiv auf die neuen Wege eingelassen haben.

Heute feiern wir ein Fest, in der Hoffnung, dass aus dem Wasser immer wieder Wein werden kann, wenn wir gemeinsam auf Christus hören und ihm vertrauen, dass er aus Wasser Wein machen kann. Das geht nur, wenn wir ihm vertrauen, und ihm unsere Hoffnung schenken. Dass wir heute feiern können, ist diesem Vertrauen vieler Menschen hier zu verdanken. Deshalb können wir mit Christus neue Wege gehen. Vielfach ist in der Kirche aus dem Wein das Wasser geworden. Wenn wir in diesen Tagen über die Kirche in den Medien hören, erleben wir Hilflosigkeit, ja, in der Öffentlichkeit werden wir oft nicht als diejenigen wahrgenommen, die für ein Leben in Fülle stehen und dieses Leben bezeugen.

Was viele der Kirche unterstellen, dass die Kirche Angst hat: Angst vor der Wahrheit, Angst davor, sich zu verändern, Angst davor, Hoffnung zu schenken einer Welt, die oft nicht mehr hoffen will oder kann.

Wir brauchen jemanden, der dies verwandelt, der aus dem Wasser wieder den Wein macht. Maria sagt: was er euch sagt, das tut. Was sagt Jesus uns wohl, was sagt er der Kirche? Kümmert euch um euren Auftrag, den ihr habt; kreist nicht um euch selbst, sondern lebt eure Berufung, lebt das Evangelium. Lebt den Auftrag, den Armen und allen Menschen die frohe Botschaft zu bringen. Verkündet die frohe Botschaft in Wort und Tat. Habt keine Angst vor einer Umkehr und neuen Wegen!

Die Gründung der neuen Pfarrei begehen wir zu Recht mit einem Fest. Alle Freude, Hoffnung, aber auch alle Sorgen und Fragen, Trauer und Abschied sollten wir gemeinsam Jesus hinhalten, und dann darauf vertrauen, dass Wasser immer wieder zum Wein der Freude und Hoffnung werden kann.

Wir brauchen heute Zeuginnen und Zeugen der Hoffnung, und passenderweise findet die Pfarreigründung am Beginn des Heiligen Jahres unter dem Motto „Pilger der Hoffnung“ statt. Die heutige Feier der Pfarreigründung ist nicht das Ende eines Weges. Sie ist ein Schritt, immer weiter nach Gemeinsamkeiten zu suchen und gemeinsam die Hoffnung in dieser Welt zu bezeugen und zu leben. Wer hofft, ist nicht naiv. Aber die Hoffnung ist das Vertrauen darauf, etwas verändern und gestalten zu können. Wenn Jesus Wasser in Wein verwandelt, lädt er uns alle ein, diese Festfreude weiterzugeben. Die Hochzeit zu Kana erinnert auch daran, dass Christ- und Kirchesein Gemeinschaft heißt. Ein Fest feiert man nicht allein. Der Raum der neuen Pfarrei birgt nicht nur Sorgen und Fragen, sondern auch die Chance, eine neue Gemeinschaft zu gestalten und zu leben. Denn das passende Bild für Kirche ist nicht die Abgrenzung und das Einschließen, sondern die Brücke. Eine Brücke zwischen Orten und verschiedenen Erfahrungen von Kirche. Eine Brücke zwischen Menschen und Gruppen unterschiedlicher Glaubens- und Lebenserfahrungen. Eine Brücke zwischen glaubenden und nichtglaubenden Menschen. Eine Brücke zwischen Himmel und Erde.

„Hildegard kommt.“ – Diesen Satz haben Sie mir in einem Brief zum Advent geschrieben. Tatsächlich dürfen Sie stolz darauf sein, die heilige Hildegard als Ihre Patronin zu wissen. Die Kirchenpatronate verändern sich nicht, aber Hildegard von Bingen gibt der neuen Pfarrei ihren Namen. Ich meine sagen zu können, dass auch die heilige Hildegard heute mit Freude mitfeiert. „Scivias“ – „Wisse die Wege“ heißt eine ihrer großen Schriften, die sie hinterlassen hat. Sie schreibt eine Glaubenslehre in bewegenden und teils rätselhaften Bildern. Den Hintergrund dieses Buches bilden viele Konflikte mit dem Bischof, mit Ordensbrüdern und Ordensschwestern. Viele gehen damals ihren konsequenten Weg der Nachfolge Christi nicht mit. Neue Wege im Glauben, neue Wege im Ordensleben konnten damals viele nicht vertragen. Hildegard setzt auf neue, konsequente Wege des Glaubens und der Nachfolge, während viele, auch der Bischof von Mainz, es beim Alten belassen wollten. Seelisch und körperlich ist sie oft am Ende, aber sie vertraut darauf, dass Gott ihr auf den neuen Wegen in die Zukunft nahe bleibt. Sie erlebt in der Schöpfung die liebende Gegenwart des Schöpfers, des Sohnes Gottes und des Geistes. Sie glaubt und weiß sich geborgen in der Natur, die ein Spiegel Gottes ist. Glaube ist für sie nicht nur ein innerkirchliches Ringen, sondern ein Blick in die Ordnung der Liebe Gottes, die sich überall zeigen kann.

Hildegard steht dafür, dass wir unseren Auftrag neu lernen, aber nicht als moralischen Druck, sondern als Zeugnis der erfahrenen Liebe, der Gemeinschaft, als Geschöpfe und Kinder Gottes. Hildegard hat zahlreiche Lieder, Hymnen und Gedichte geschrieben, die Ausdruck tiefer Freude und des Gottvertrauens sind. Sie bezeugt die mögliche Verwandlung des Wassers in den Wein, auch in persönlich und kirchlich schwierigen Zeiten. Sie ermutigt zu neuen Wegen, und die Chance, im Vertrauen Altes hinter sich zu lassen. Hildegard lebt die Liebe zu den Armen und sie wird nicht müde, das Evangelium zu predigen. Es war damals wie heute nicht selbstverständlich, der Stimme der Frau Gehör zu schenken. Hildegards Predigten, Mahnungen und Visionen sind für die Kirche damals bis heute unverzichtbar. Mancher Priester, der sie auf ihren Wanderungen hörte, sicher auch mancher Bischof, hat sich nicht nur Lob anhören dürfen. Mit dem Mainzer Bischof und dem Domkapitel hat sie leidvolle Erfahrungen machen müssen. Umso lieber bin ich heute hier und gratuliere zu diesem Patronat, denn Bischof und Gemeinde werden ihre Wege nur gemeinsam gehen können. Für diese Bereitschaft danke ich Ihnen allen.

„Gott wurde Mensch, damit der Mensch Heimat in Gott habe.“  - so schreibt es die heilige Hildegard in einem ihrer Texte. Kirche soll Heimat geben, und natürlich ist das einer der großen Sorgen in größeren Pfarreien: kann Heimat gestaltet und erfahren werden? Die kleinen „Heimaten“ der einzelnen Ortsgemeinden sind ja nicht unwichtig geworden. Aber die größere Einheit der Pfarrei kann helfen, unterstützen, zusammenführen und ergänzen, was die kleinen Gemeinden und Kirchorte nicht mehr leisten können. Eine Erfahrung des Festes wie im Evangelium braucht manchmal auch die größere Gemeinschaft mit ihren Chancen und Geistesgaben. Heimat ist ein großes Wort und eine menschliche Sehnsucht. Kirche vor Ort war und ist für Menschen eine solche Beheimatung. Heimat kann den Herkunftsort oder die Region bezeichnen, aus der jemand stammt, das Vertraute, das Liebgewordene, einen Sehnsuchtsort der Ruhe, einen überschaubaren Ort, der Sicherheit gibt. Heimat wird mit liebgewordenen Menschen verbunden, mit Traditionen, die Sicherheit vermitteln, und die nicht jeden Tag neu zur Diskussion stehen.

So formuliert P. Alfred Delp, der 1945 hingerichtet wurde und aus unserem Bistum stammt: „Heimat ist eine menschliche Zuständigkeit, die sich ergibt in einer dauerhaften Begegnung und Verbindung mit Menschen, Landschaft, Dingen, Gebräuchen.“ Und er hält die eigentliche Frage nach Beheimatung für eine religiöse und zentrale Frage[1]. Der Mensch braucht offenkundig Orte, Zeiten und Beziehungen, die ihn nicht permanent in Frage stellen. Er lebt von Erfahrungen, die ihm Ruhe vermitteln und ihm helfen, zu sich selbst zu finden.

Tatsächlich versteht das katholische Kirchenrecht die Pfarrei als stabile Größe im Hinblick auf die Beheimatung von Menschen. Sie ist „auf Dauer errichtet“ (Can. 515 CIC), ist territorial abgegrenzt, die Seelsorge wird von einem Pfarrer und anderen, die an der Leitung teilhaben, garantiert. Die Pfarreien stellen die Kirche sichtbar dar. So bilden die einen verlässlichen, stabilen Ort der Beheimatung, der Menschen zusammenführt und zu einer Gemeinschaft verbindet, der Ehrenamt fördert und damit Menschen unterschiedlicher Generationen Teilhabe ermöglicht. Oft ist die Pfarrkirche Heimat über die Generationen hinweg. Kinder wurden dort getauft, Sakramente in der Familie gefeiert, Ehen geschlossen, für Verstorbene gebetet. So soll auch die neue Pfarrei Heimat sein, aber sie muss gestaltet werden. Dass dies auf neue Weise gelingt, wünsche ich wirklich von Herzen. Ein Dank gilt allen, die hier Heimat leben und gestalten, auch in einer Welt, die mobiler wird, die Kirche ist nicht der einzige Ort von Veränderung. Ihnen allen wünsche ich Gottes Segen, und das Gottvertrauen und den Mut der heiligen Hildegard.

 

[1] Zitiert nach Otto Kimmich, Art. Heimat, in: LthK³ 4 (2009) 1364f.