Fried, Amelie (Verfasser): Die Spur des Schweigens : Roman / Amelie Fried. - München : Heyne, 2020. - 496 Seiten. - ISBN 978-3-453-27048-0 Festeinband : EUR 22.00
Schweigen, Vertuschen, Verharmlosen – dies sind Schlagworte, die die Debatten um sexuelle Belästigungen und Übergriffe begleiten. Angestoßen von der amerikanischen „me too“-Bewegung, kommt erst langsam zutage, wie sich jahrzehntelang Strukturen halten konnten (– und können?), in denen Frauen das ganze Spektrum von Anzüglichkeiten bis Vergewaltigung mehr oder weniger ohnmächtig über sich ergehen lassen, weil sie den damit verbundenen Machtmechanismen nichts entgegen zu setzen haben.
Einer solchen „Spur des Schweigens“ geht Amelie Fried in ihrem neuen Roman nach. Und diese Spur führt tief bis in die eigene Familie Julias, der Protagonistin.
Diese führt ein eher prekäres Leben als freie Journalistin, lebt von den Brosamen, die der Redakteur des kleinen Magazins Gesundheit heute ihr hinwirft. So richtig erwacht ihr journalistisches Gespür auch dann noch nicht, als sie einer Kurzmeldung nachgehen soll, in der die Trägerin eines Forschungspreises sich mit der lapidaren Aussage „»Frauen in der Forschung haben es nach wie vor nicht leicht. Vielerorts gibt es Mobbing und Übergriffe«“ (S. 56) über die fragwürdigen Arbeitsbedingungen an einem renommierten Institut äußert.
An diesem Institut hatte Julias dreizehn Jahre zuvor verschwundener Bruder gearbeitet, trotzdem geht sie die Recherche für die Story eher lustlos an. Diese Me-Too-Debatte sei doch „kalter Kaffee“ (S.57), schließlich könne eine emanzipierte Frau sich gegen dumme Sprüche doch wohl wehren. Und außerdem „Warum machten die Betroffenen nicht gleich den Mund auf? … Warum kamen sie oft erst Jahre später mit ihren Geschichten um die Ecke?“ (S. 59).
Getragen von dieser naiven Überheblichkeit macht sich Julia an die Reportage und fällt erst einmal prompt auf den Charme des hauptverdächtigen Institutsmitarbeiters herein. Erst die Begegnungen und Gespräche mit betroffenen Frauen öffnen ihr die Augen. Nach und nach erkennt sie, wie tief sich ein von sexueller Gewalt geprägtes Umfeld in das Leben der Betroffenen und der Familien – auch ihrer eigenen - eingräbt und wie zerstörerisch das Schweigen darüber wirkt.
Amelie Fried ist als Journalistin und TV-Moderatorin bekannt geworden, ihr Roman ist auch von eher journalistischer Erzählweise geprägt, das macht ihn einfach zu lesen. Auch dass die Autorin trotz der gesellschaftspolitischen Brisanz des Themas nicht von vornherein eine eindeutige Haltung plakativ vor sich herträgt, erleichtert den Einstieg in die Geschichte. Mitunter wünscht man sich etwas mehr Tiefgang und weniger Klischee, auch das Ende hätte vielleicht etwas weniger „happy“ ausfallen dürfen, trotzdem schafft es Fried, das Thema mit sehr unterschiedlichen Facetten zu durchleuchten.
Sie entlarvt viele Vorurteile sowohl in der männlichen als auch der weiblichen Perspektive, vor allem aber die Zwänge eines Systems in der Arbeitswelt, in dem Frauen kaum eine Chance haben, sich ohne Verlust ihres Ansehens und ihrer beruflichen Zukunft daraus zu befreien. Das Schweigen der Opfer stärkt die Macht der Täter, dagegen setzt Amelie Fried mit ihrem Roman ein eindrückliches Zeichen.
Katharina Dörnemann