Schmuckband Rad
Strand (c) pixabay.com

Am Strand

Strand
Datum:
Fr. 15. März 2019
Von:
Frank Meessen

Ian McEwan erzählt in seinem Buch von sexuellen Wünschen, von der Liebe und Verletzungen.

Es sind die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Edward und Florence setzen sich in einem Landhaushotel an der englischen Kanalküste zum Abendessen. Sie sind beide Mitte zwanzig und haben gerade geheiratet. Florence kommt aus einem wohl situierten, intellektuellen Elternhaus. Edward, der aus eher einfachen Verhältnissen stammt, wird dort offen aufgenommen. Er hat sein Geschichtsstudium abgeschlossen und steht vor einer beruflichen Entscheidung. Sie hatten sich vor einem Jahr kennengelernt und bald schon ihre tiefe Zuneigung füreinander entdeckt. Edward ist fasziniert von dieser jungen, attraktiven Musikerin, die seine Leidenschaft aber immer wieder abwehrt. Nun sind sie verheiratet und können ihre Nervosität vor der Hochzeitsnacht kaum verbergen. Nach all den Enttäuschungen und Zurückweisungen sieht Edward sich am Ziel aller sexuellen Wünsche angekommen. Florence hingegen fühlt sich völlig überfordert und reagiert mit Panik auf Edwards Intimität. Sie flüchtet an den Strand und dort kommt es zu einem heftigen Streit. Die Verletzungen, die sie sich zufügen, sind so tief, dass sie sich noch in der Nacht trennen. Im Nachfolgenden wird deutlich, dass die Ursache nicht nur die prüden Vorstellungen konservativ-bürgerlicher Kreise der 60er Jahre waren. Entscheidender ist eine Erinnerung: „Und dann drängte sich die Vergangenheit, die so undeutlich erinnerte Vergangenheit, doch noch zu ihr vor. Es war der Meergeruch, der alles heraufbeschwor. Sie war zwölf Jahre alt, lag reglos wie jetzt ..."

Impulse

a) Für die anhaltende Störung ihrer Intimbeziehung haben Florence und Edward keine Lösung. Bemerkenswert an diesem Roman ist die Unauffälligkeit, mit der die Ursache dieser Störung beschrieben bzw. eigentlich nur angedeutet wird (S. 134f.). Es ist ihre Missbrauchserfahrung, die wirksam ist und zugleich verborgen und zwar im Text wie auch im realen Leben. Es lohnt sich, den Roman bewusst unter diesem Aspekt zu lesen.

b) Die gesellschaftliche Diskussion über sexuellen Missbrauch hat viele Erkenntnisse öffentlich gemacht: dass die Täter, meist männlich, aus dem unmittelbaren sozialen Umfeld kommen; dass die Erfahrung bei den Opfern mit Schuldgefühlen verbunden sind; dass das Erleben von Intimität und Sexualität schwer gestört ist; dass der Umgang mit dieser Erfahrung oft im Verdrängen besteht usw. All das ist auch im Roman zu finden.

c) Welche Bedingungen müssten geschaffen sein, dass Florence sich in der Lage sieht, ihre Missbrauchserfahrung zu verarbeiten. Welche Rolle könnte Edward dabei spielen?