Es scheint so alt und ist unter den Kirchenledern doch so neu: Die Nummer 224 im Gotteslob war noch vor wenigen Jahrzehnten in keinem großen Kirchengesangbuch zu finden. Die Anmutung des Lieds ist archaisch und fast schon mittelalterlich, doch tatsächlich handelt es sich um ein Kunstlied aus der Romantik. Eine Legende wird da in einfachen Worten erzählt, ein Rosenwunder: Die schwangere Maria geht durch einen längst abgestorbenen Rosenstrauch, der darauf zu blühen beginnt.
Der Ton könnte der eines Märchens sein, und magisch wiederholt wird immer wieder das Tragen: kein Laub getragen, unter ihrem Herzen getragen, durch den Wald getragen, Rosen getragen. Früher wurde das Stück auf die Zeit um 1600 datiert, inzwischen weiß man es besser: August von Haxhausen (1792-1866), Liedersammler und Förderer vieler Künstler, auch Stiefonkel der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, hat es 1850 in seinen „Geistlichen Volksliedern mit ihren ursprünglichen Weisen“ zuerst veröffentlicht. In seinem Freundeskreis von romantischen Poeten ist es wohl auch entstanden, wenngleich vielleicht durch ältere Gesänge inspiriert.
Bei diesem ersten Abdruck hatte das Lied nicht nur drei Strophen, sondern volle sieben. Auf die drei uns bekannten folgten noch drei zum Thema der Taufe Jesu und eine zu seiner Rolle als Erlöser. Wegen des Taufbezugs war es zu dieser Zeit eigentlich dem Namen-Jesu-Fest zugeordnet, das am 1. Januar gefeiert wurde. Mancherorts wurde es darum am Silvesterabend von umherziehenden Frauen gesungen. Der inhaltliche Fluss war aber unbefriedigend: Zwischen Schwangerschaft und Taufe klaffte eine Lücke, denn ausgerechnet die Geburt blieb ausgespart.
Diese siebenstrophige Fassung war im 19. Jahrhundert verbreitet, unter anderem als Wallfahrtslied, und findet sich noch in der Sammlung „Deutscher Liederhort“, die Ludwig Erk und Franz Magnus Böhme von 1892 bis 1894 herausgaben. Die eigentliche Karriere des Lieds begann aber erst im 20. Jahrhundert: 1912 erschien es im „Zupfgeigenhansel“, dem wichtigsten Liederbuch der deutschen Wandervogelbewegung. Nun war es auf die ersten drei Strophen beschränkt und wirkt damit tatsächlich schöner und abgeschlossener als in der langen Version. Es war zu dieser Zeit weniger ein Kirchenlied als eines für weihevolle Momente in der Natur.
Was von den freiheitsliebenden Wandervögeln kam, war in der NS-Zeit nicht genehm, und das Lied verschwand vorläufig aus den Büchern. Nach dem Krieg druckten erst mehrere kleine Gesangbücher die kürzere Fassung, dann übernahm sie auch das neue Gotteslob. Auf das Rosenwunder konzentriert, gehört sie nun im Jahreslauf eindeutig zu den Adventsliedern: Man denkt an Marias Weg zu Elisabeth.
Dabei schlägt das Ende dabei noch einen neuen Bogen: zur Auferstehung, die durch die neu erblühenden Rosenzweige symbolisiert wird. So geht es nicht nur um die Vorfreude auf die Geburt des Erlösers, sondern auch um die Hoffnung auf neues Leben, die am Ende den Tod besiegt und das letzte Wort hat.
Die sanfte, unaufdringliche Melodie steht in Moll, was hier eher ruhig als traurig wirkt. Inzwischen ist sie auch im englischsprachigen Raum bekannt mit einer Übersetzung von Lorenz Maierhofer (1992) als „There Is a Song I Love to Sing“ - aber ohne Bezug auf Maria oder den Advent.
Die Kraft der anrührenden, beschwörenden Weise zeigt sich auch in der Version, die 1999 von der Popgruppe „Die Prinzen“ aufgenommen wurde: Die ehemaligen Thomaner-Chorsänger interpretieren das Lied durchaus respektvoll a cappella, behalten vom Text aber nichts bei als die Zwischenrufe „Kyrie Eleison“ und „Jesus und Maria“. Die märchenhafte Stimmung des kleinen Kunstwerks aus der Romantik behält auch dabei ihre Wirkung.
Maria durch ein Dornwald ging,
Kyrie eleison.
Maria durch ein Dornwald ging,
der hat in sieben Jahrn kein Laub getragen.
Jesus und Maria.