Vom altgermanischen Wort „Kara“ ist „Karwoche“ herzuleiten. „Kara“ heißt: Trauer.
Karfreitag und Karsamstag sind Tage der Trauer, Tage des Vermissens.
Ein Text des Theologen Johann Baptist Metz (+1019) als Anstoß zur Betrachtung:
„Selig die Trauernden“ . . .
Denn sie werden getröstet werden, heißt es bekanntlich im Nachsatz. Der in der europäischen Moderne durchgesetzte Wille zur Macht - über die Natur, aber auch über andere Gesellschaften und Kulturen - hat uns in eine konstitutionelle Ferne zur Trauer gerückt. Mit der Unfähigkeit zu Trauern wächst indes auch die Unfähigkeit, sich trösten zu lassen und Trost anders zu verspüren denn als pure Vertröstung. Doch, so interpretiert der Philosoph Th.W. Adorno eine Kirkegaard Passage zu Recht: „Der Schritt aus Trauer in Trost ist nicht der größte, sondern der kleinste.“
Die christliche Gotteszeugenschaft ist keineswegs trauerfern. Wie aber? Trauern heißt doch offensichtlich, substantiell etwas zu vermissen. Also: Gott vermissen? Ja! Dieses Vermissen spielt zwischen Trauer und Hoffnung.
Die Trauerferne haben wir uns nur in einer Art christlichem Vollendungs- und Versöhnungswahn eingeredet, der für mich schließlich nichts anderes ist als ein Symptom der Vergreisung des Christentums, das seine uneingestandenen Ängste durch Überaffirmation, durch das Pfeifen im Walde zu kompensieren sucht. Trauer indes ist kein Schwächeanfall der Hoffnung, es sei denn man missverstehe die Hoffnung als eine Spielart von pausbäckigem Optimismus.
Trauer ist Hoffnung im Widerstand
- im Widerstand gegen die rasende Beschleunigung der Zeit, in der wir immer mehr uns selbst abhanden kommen;
im Widerstand gegen das Vergessen und gegen jenes Vergessen des Vergessens, das bei uns den Namen „Fortschritt“ und „Entwicklung“ trägt;
im Widerstand gegen den Versuch, alles Entschwundenen und unwiderbringlich Vergangene zum existentiell Bedeutungslosen herabzustufen, also im Widerstand gegen den Versuch, dem Wissen des Menschen um sich selbst das Vermissen auszutreiben.
Ist aber solches Vermissen überhaupt noch tröstlich? Und will andererseits der biblische Gott nicht vor allem dies sein: Trost für die im Leid Zerfallenden, Beruhigung für die in Existenzangst Umgetriebenen?
( . . .)
Der Gott Jesu macht nicht unglücklich. Aber macht er glücklich? Beantwortet er unsere Glückserwartungen?
Im Sinn eines sehnsuchts-und leidfreien Glücks?
War Israel je in diesem Sinn glücklich mit Jahwe?
War Jesus in diesem Sinn glücklich mit seinem Vater?
Macht biblisch gegründete Religion in diesem Sinn glücklich?
Schenkt sie gelassene Selbstversöhntheit, ein Innewerden unserer Selbst ohne jegliches Erschrecken und Aufbegehren, ein Wissen um uns selbst, ohne etwas zu vermissen?
Beantwortet sie die Fragen?
Erfüllt sie die Wünsche, wenigsten die glühendsten?
Ich zweifle.
Wozu dann aber Gott? Wozu dann unsere Gebete?
Gott um Gott zu bitten ist schließlich die Auskunft, die Jesus seinen Jüngern über das Gebet gibt (Lk 11, 1-13).
Andere Tröstungen hat er, genau genommen, nicht in Aussicht gestellt. Sein Trostversprechen entrückt uns jedenfalls nicht in ein mythisches Reich spannungsloser Harmonie und fragloser, identitätsmächtiger Versöhntheit mit uns selbst.
(aus : Johann Baptist Metz: Gottespassion)
Gebet als Ausdruck des Vermissens. Des Gott Vermissens. „Gott um Gott bitten“, ihn also um ihn selbst bitten. Als den Gott, der nicht einfach die Bestätigung meiner Erwartungen und Wünsche ist, der nicht nur jubeln lässt, sondern, wie Jesus am Kreuz gebetet hat: auch klagen und schreien und verstummen.
„Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr,
fremd wie dein Name sind mir deine Wege.
Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt?
Ich möchte glauben.
Komm mir doch entgegen.
Du bist mein Atem,
wenn ich zu dir bete.“
(nach: Huub Oosterhuis)