Schmuckband Kreuzgang

Zur Geschichte der Orgeln von St. Ignaz in Mainz

Der früheste Nachweis einer Orgel für die mittelalterliche Kirche geht auf 1631 zurück. In diesem Jahr wurde eine Orgel gebaut, vermutlich von den Meistern Florentius oder Nicolaus Hocque aus Köln. Ein zweiter Neubau ist für das Jahr 1699 belegt, den Johann Friedrich Macrander (1661-1741) ausführte. Die Orgel besaß 11 Register, die auf ein Manual und Pedal verteilt waren. Dieses Instrument wurde 1703 von Marcrander und danach bis 1759 von den Mainzer Orgelbauern Johann Anton Ignaz Will und Johann Onimus gewartet. 1760 erfolgte der Abbruch der mittelalterlichen Kirche.

Nach den Plänen von Johann Peter Jäger und unter seiner Leitung wurde von 1763–1773 die St. Ignaz-Kirche im klassizistischen Stil neu errichtet. 1775 stellte der Mainzer Orgelbauer Johannes Kohlhaas d.J. die Macrander-Orgel in der Kirche auf. Diese Orgel war für die Kirche jedoch zu klein. Entwürfe für einen Neubau wurden daraufhin von den Orgelbauern Johann Christoff Jeckel aus Worms und Christian Ernst Friderici aus Gera eingereicht; ein dritter erhaltener unsignierter Kostenvoranschlag könnte von den Orgelbauern Stumm aus Rhaunen-Sulzbach (Hunsrück) stammen.

Keines dieser Angebote wurde jedoch realisiert. Stattdessen erhielt der Orgelbauer Joseph Anton Onimus (1715-1781) den Zuschlag. Die Tatsache, dass Onimus Mainzer Bürger und zugleich Mitglied der St. Ignaz-Gemeinde war, dürfte für die Auftragsvergabe ausschlaggebend gewesen sein.

1760 hatte Onimus die Werkstatt seines verstorbenen Onkels Johann übernommen. Die Orgel in St. Ignaz erbaute er von 1779-1781. Mit ihren drei Manualen, Pedal und 31 Registern war sie sein größtes Werk. Auf dem dritten Manual war ein Glockenspiel spielbar.

Das heute noch vorhandene Gehäuse stammt nicht von Onimus, sondern von Johann Peter Metz von dem auch die Seitenaltäre, die Kanzel und die Stuckarbeiten in der neuen Ignazkirche angefertigt wurden. In dieser Zeit und bis in das 19. Jahrhundert hinein war es allgemein üblich, dass der Orgelbauer nur das Orgelwerk selbst, nicht aber das Gehäuse zu bauen hatte.

Die neue Orgel kostete 3.979 Gulden und 28 Kreutzer. Sie wurde von Anna Clara Manera, Witwe eines italienischen Kaufmanns, und ihrem Sohn Jakob gestiftet. Beide Stifter waren Gemeindemitglieder von St. Ignaz. Anna Clara und Jakob Manera sowie Joseph Anton Onimus erlebten die Einweihung der neuen Orgel nicht mehr. Jakob Manera verstarb 1780, seine Mutter 1781. Ebenfalls 1781 verunglückte Onimus tödlich in seinem Haus und wurde auf dem Friedhof von St. Ignaz beigesetzt.

Nach nur 55 Jahren war die Onimus-Orgel so schadhaft, dass 1836 der Mainzer Orgelbauer Bernhard Dreymann (1788-1857) gebeten wurde, einen Kostenvoranschlag für eine Reparatur einzureichen.

Dreymann stammte aus Beckum (Westfalen), wo er am 27. Juni 1788 getauft worden war. Sein Vater Johann Hermann (1759-1833) war Orgelbauer und zugleich Organist an der Beckumer St. Stephanuskirche. Bei ihm ging Bernhard in die Lehre. Ab 1817 begab er sich auf Wanderschaft, um sich bei anderen Orgelbauern in seiner Kunst zu vervollkommnen. So kam er 1821 nach Mainz, wo er zunächst in der Werkstatt des 1808 verstorbenen letzten domkapitelschen Orgelmachers Franz Xaver Ripple in der Schaafsgasse 19 arbeitete. Anderthalb Jahre später übertrug ihm Ripples Witwe den Betrieb mit den bisherigen Kunden. Dreymann konnte daraufhin das Bürgerrecht erwerben und Katharina Josepha Wiss, die Tochter eines ortsansässigen Seilermeisters, heiraten. 1833 bezog er das Haus Nr. D 180 im Thiergarten (heute Schillerplatz/Ecke Emmeranstraße).

Mit der Niederlassung von Dreymann setzte eine neue Hochblüte der Orgelbaukunst in Mainz ein.  Er und sein Sohn Hermann (1824-1862), die eine fast konkurrenzlose Position innehatten, lieferten nicht nur Orgeln in evangelische und katholische Kirchen im neu gegründeten Großherzogtum Hessen-Darmstadt, sondern auch in das benachbarte Herzogtum Nassau, in die Pfalz sowie nach Belgien (zwei Orgeln nach Brüssel und eine nach Antwerpen) und Nordfrankreich (Fenain). Auch die Orgel für die neue liberale Synagoge in Mainz (1853) stammte aus dieser Werkstatt.

Zu der oben genannten Reparatur der Onimus-Orgel kam es aber nicht, da sich die Gemeinde entschloss, von Dreymann ein neues Werk erbauen zu lassen. In dem Vertrag vom 25. August 1836 wurde ihm zur Auflage gemacht, das vorhandene Gehäuse von 1781 zu übernehmen. 1837 war die Orgel fertig und kostete laut Vertrag 6.280 Gulden. Die Onimus-Orgel hatte Dreymann für 1.100 Gulden in Zahlung genommen, über deren Verbleib ist nichts bekannt.

Die neue Orgel wurde am 31. Januar 1838 von dem Darmstädter Hoforganisten Christian Heinrich Rinck (1770-1846) geprüft, der als staatlicher Orgelsachverständiger im Auftrag des Großherzogs von Hessen-Darmstadt, Ludwig II. von Hessen und bei Rhein (1777-1848),  für Orgeln in evangelischen und katholischen Kirchen zuständig war. Rinck war von dieser Orgel so beeindruckt, dass er ihre Disposition in seiner Orgelschule von 1839 als Musterbeispiel zeitgenössischen Orgelbaus veröffentlichte.

1851 arbeitete Dreymann die Zungenregister um. In der Folgezeit wurde die Orgel zweimal tiefgreifend verändert: Einen ersten umfassenden Umbau erfuhr die Orgel im Jahr 1903 durch die Werkstatt Schlimbach (Würzburg), die zu dieser Zeit die bevorzugte Orgelbaufirma im Bistum Mainz war. Die Dreymann’schen Keilbälge wurden entfernt und die Zusammenstellung der Register (Disposition) dem aktuellen spätromantischen Zeitgeschmack angepasst.

1917 entgingen die wertvollen Prospektpfeifen der Beschlagnahmung für die Rüstungsindustrie des I. Weltkriegs. Im II. Weltkrieg detonierte auf dem Platz rechts neben der Kirche eine Granate, die ein Kirchenfenster sowie Orgelgehäuse und Prospekt beschädigten. Die Schäden an der Orgel wurden 1945 von der Firma Kemper (Lübeck) behoben.

1974 führte der Orgelbauer Erich Breitmann (1931-2018) aus Nieder-Olm eine Renovierung bzw. Umbau durch und passte die Disposition dem erneut gewandelten Zeitgeschmack an, der sich nun dem Neobarock zugewandt hatte.  

Da die Orgel in der Folgezeit nur unregelmäßig gewartet wurde, verschlechterte sich ihr Zustand zunehmend. Auch die Statik der Orgel geriet aus dem Lot, so dass der linke Gehäuseteil sich nach vorne neigte.

2001 wurden die ersten Angebote für eine denkmalpflegerische Restaurierung der Orgel eingeholt. Wegen zahlreicher anderer Baumaßnahmen an der Kirche konnte das Projekt zunächst nicht realisiert werden. 2015 erhielt schließlich die Orgelbaufirma Eule (Bautzen) den Auftrag für die Restaurierung, die mit der Innenrenovierung des Kirchenraums durchgeführt wurde. Die restaurierte Orgel wurde am 15. Dezember 2019 von Bischof Kohlgraf geweiht.

Im Frühjahr 2020 spielten Kirchenmusikstudenten/-innen der Musikhochschule der Mainzer Johannes Gutenburg-Universität unter der künstlerischen Gesamtleitung von Prof. Gerhard Gnann eine Doppel-CD mit Werken von Johann Christian Heinrich Rinck ein. Informationen finden Sie unter folgendem Link:

https://www.musik.uni-mainz.de/studium/abteilungen/kirchenmusik-orgel/orgelwerke-von-j-c-h-rinck/

Technische Daten und historische Substanz von Bernhard Dreymann:

Gehäuse:              Original von Joseph Anton Onimus von 1780, durch Dreymann im hinteren, nicht sichtbaren Bereich etwas umgebaut

Spieltisch:           an der rechten Gehäuseseite, 2018 vollständig rekonstruiert, lediglich die Registerstaffel ist original.

Tontraktur:          mechanisch, weitestgehend original

Registertraktur:   mechanisch, vollständig original bis auf die Anspielung der Subbaß 16‘- Windlade

Windladen:          Schleifladen, vollständig original bis auf die separat stehende Subbaß 16‘-Windlade

Pfeifenwerk:        1976 klingende Pfeifen, davon 1535 original (wobei die 25 Pfeifen des Quintbaß 10 2/3‘ im Pedal von Schlimbach vermutlich in identischer Dreymann-Mensur nachgebaut wurden und daher weiterverwendet wurden), 441 rekonstruiert (zuzüglich 74 stumme originale Prospektpfeifen)

Balganlage:         6 Keilbälge hinter der Orgel, Betrieb wahlweise durch Calcanten (Balgtreter), Orgelgebläse oder Balgaufzugsanlage, 2018 inklusive Tretanlage vollständig rekonstruiert

Kanalanlage:       2018 vollständig rekonstruiert

Winddruck:         76 mm WS

Stimmtonhöhe:   445,9 Hz bei 15°C

Stimmungsart:     gleichstufig temperiert

 

Disposition

Hauptwerk C – g‘‘‘                         

  1. Principal 8‘ Prospekt, original
  2. Bourdon 16‘, original
  3. Gemshorn 8‘, original
  4. Viol di Gamba 8‘, original
  5. Großgedact 8‘, original
  6. Octava 4‘, original
  7. Quinta 3‘, original
  8. Quintfloete 6‘, original
  9. Kleingedact 4‘, original
  10. Cornet discant 4fach 4‘, ab c‘, original
  11. Flageolet 2‘, rekonstruiert
  12. Superoctave 2‘, original
  13. Mixtur 5-4fach 2‘, original
  14. Trompet 8‘ discant, ab c‘, rekonstruiert
  15. Trompet 8‘ bass, bis h°, rekonstruiert

Positiv C – g‘‘‘         

  1. Principal 4‘, Prospekt, original
  2. Floet travers 8‘ discant, ab b°, original
  3. Spitzfloete 8‘, original
  4. Stillgedact 8‘, original
  5. Salicional 8‘, original
  6. Salicional 4‘, original
  7. Floete douce 4‘, rekonstruiert
  8. Spitzfloete 2‘, original
  9. Quinta 3‘, original
  10. Mixtur 3fach 1 1/2‘, rekonstruiert
  11. Fagott 8‘ bass, bis a°, rekonstruiert
  12. Crumhorn 8‘ discant, ab b°, original
  13. Crumhorn 8‘ bass, bis a°, original

Pedal C – c‘  

  1. Violonbaß 16‘, Prospekt, original
  2. Principalbaß 16‘, original
  3. Subbaß 16‘, original
  4. Octavbaß 8‘, original
  5. Quintbaß 10 2/3‘, von 1903
  6. Octavbaß 4‘, original
  7. Posaunenbaß 16‘, original
  8. Claironbaß 4‘, rekonstruiert

Hilfsregister

Coppel zum Manual

Coppel zum Pedal

Windtrennung Manual

Windtrennung Pedal

Calcant (Calcantenglocke)

Ventil (Evakuant)