Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 1. Advent 2021

Datum:
So. 28. Nov. 2021
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum 1. Advent 2021

Zur 1. Lesung (Jer 33, 14-16)

Jeremia gehört zu den vier „großen“ Propheten des Alten Testaments und wirkt im Südreich Juda während der letzten 50 Jahre vor dem Babylonischen Exil (587-539 v. Chr.). Er ermahnt das Volk Israel zur Umkehr zu Gott und prophezeit die Zerstörung von Jerusalem und Tempel, die er 586 v. Chr. dann auch noch miterlebt. Darüber hinaus verheißt Jeremia jedoch für die Zeit nach der Zerstörung auch eine heilvolle Zukunft, in der Gott (s)einen Retter sendet, der Recht, Gerechtigkeit und Sicherheit bringen wird (vgl. auch Jer 23, 5-6!) – Jesus, den Christus.

Lesung aus dem Buch Jeremia:

„Seht, es werden Tage kommen – Spruch des Herrn –, da erfülle ich das Heilswort, das ich über das Haus Israel und über das Haus Juda gesprochen habe. In jenen Tagen und zu jener Zeit werde ich für David einen gerechten Spross aufsprießen lassen. Er wird für Recht und Gerechtigkeit sorgen im Land. In jenen Tagen wird Juda gerettet werden, Jerusalem kann in Sicherheit wohnen. Man wird ihm den Namen geben: Jahwe ist unsere Gerechtigkeit.“

Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Thessalónicher (1 Thess 3, 12 – 4, 2):

Liebe Schwestern und Brüder! „Der Herr lasse euch wachsen und reich werden in der Liebe zueinander und zu allen, wie auch wir euch lieben, damit euer Herz gefestigt wird und ihr ohne Tadel seid, geheiligt vor Gott, unserem Vater, wenn Jesus, unser Herr, mit allen seinen Heiligen kommt. Im Übrigen, Schwestern und Brüder, bitten und ermahnen wir euch im Namen Jesu, des Herrn: Ihr habt von uns gelernt, wie ihr leben müsst, um Gott zu gefallen, und ihr lebt auch so; werdet darin noch vollkommener! Ihr wisst ja, welche Ermahnungen wir euch im Auftrag Jesu, des Herrn, gegeben haben.“

Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes (Lk 21, 25-28.34-36)

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: „Es werden Zeichen sichtbar werden an Sonne, Mond und Sternen, und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern des Meeres. Die Menschen werden vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über die Erde kommen; denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Dann wird man den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf einer Wolke kommen sehen. Wenn (all) das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe. Nehmt euch in Acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren und dass jener Tag euch nicht plötzlich überrascht, (so) wie (man in) eine Falle (gerät); denn er wird über alle Bewohner der ganzen Erde hereinbrechen. Wacht und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn hintreten könnt.“

Liebe Schwestern und Brüder, wie in jedem Jahr wird v.a. durch das Evangelium deutlich, dass sich im Laufe der (Kirchen-)Geschichte zwei Phasen der Adventszeit entwickelt haben: Die Zeit bis zum 16. Dezember steht ganz im Zeichen der Wiederkunft (= Parusie) Christi, ab dem 17. Dezember beginnt dann der sogenannte „Hohe Advent“ als unmittelbare Vorbereitung auf Weihnachten als Geburtsfest des Erlösers. So sieht das „liturgisch“ aus bzw. stellt sich so dar – emotional ist das bei mir, vielleicht bei Ihnen auch, aber ganz anders: Da bin ich von Anfang des Advents an auf Backen, Schmücken, Lichterketten, Gemütlichkeit und Vorfreude eingestellt. Krasser geht der Gegensatz zum gerade Gehörten wohl kaum: „Zeichen werden sichtbar an Sonne, Mond und Sternen, und auf der Erde werden die Völker bestürzt und ratlos sein über das Toben und Donnern der Meere“ (Vers 25). Haben Sie da an die Folgen der Klimaerwärmung gedacht? Weltweite Überschwemmungen, Dürren, Feuersbrünste, Rekordhitzen, unschiffbare Flüsse, Milliardenschäden und milliarden Betroffene? Sind (auch) solche Katastrophen gemeint als Anzeichen für das Kommen des Menschensohnes? Nein? Nur dramatische Bilder für eine apokalyptische Zukunft? Ich glaube nicht! Wenn wir ernst nehmen, was uns Lukas heute verkündet, dann ist Jesu „Rede über die Endzeit“, wie es im Evangelium von den Redakteuren der Einheitsübersetzung überschrieben ist, nicht ein ausschließlich zukünftiges Geschehen, sondern ein gegenwärtiges, dann „kommt“ Christus auch durch die Ereignisse, die uns heute bedrohen. Und dann bedeutet Gericht eben nicht nur End-Gericht, sondern aktuelle Abrechnung mit Egoismus, Gier, Ausbeutung und Ignoranz. Aber das mögen wir so nicht sehen, oder? Dann müssten wir ja jetzt etwas tun, damit es wenigstens nicht schlimmer wird – wer will das denn Tat-sächlich? Dann wären ja die zunehmenden Umweltkatastrophen eine konsequente Anfrage Gottes an unseren Umgang mit seiner Schöpfung. Dann wäre ja auch die Frage berechtigt, was noch alles passieren muss, damit wir, damit jede/r Einzelne nicht nur umdenkt, sondern auch umkehrt, andere und „bessere“ Wege beschreitet? Dann stellt sich doch ernsthaft die Frage nach meinem eigenen Anteil an dem, was nicht gut ist: in meinem Leben, in meiner Familie, in meinem Umfeld und in meiner Welt? Wie war das noch: „Nehmt euch in acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren“ (Vers 34). Berauschen? Wir? Nein! Oder doch? Sind Konsum, ständiges Internet und Handy, Berieseln lassen von TV-Shows und -Soaps, schlechtes Geschwätzt über andere und oberflächliches Gerede in der Familie und mit Freunden vielleicht doch unsere Strategien, Sorgen und Nöte nicht anzusprechen, Probleme und Verantwortungen zu verdrängen und uns durch Schönreden zu betäuben? Jesus sagt uns heute: Wenn schlimme Dinge passieren, dann richtet euch auf, dann „Kopf hoch!“, denn dann ist eure Erlösung nahe. Also gerade nicht Aussitzen, in Deckung gehen und abwarten, sondern im Gegenteil Aufrichten, über den Tellerrand schauen, bewusst wahr- und ernstnehmen, nicht schauen, was der andere falsch macht, sondern was ich verbessern sollte – da ist wohl ein wesentlicher Teil von Erlösung, und zwar heute, nicht erst beim Endgericht, sondern hier und jetzt! Ver-Antwortung übernehmen, d.h. Antwort geben auf die Fragen, die an mich gerichtet sind, und das sind doch letztlich alle, die mit meinem Leben in irgendeiner Weise zu tun haben. Die Falle ist dabei doch oft, dass wir uns auch da in der Menge verstecken: „Ich kann doch den Weltfrieden nicht machen“, „Ich kann doch die Umweltverschmutzung nicht stoppen“, „Ich kann doch die Gesellschaft nicht verändern“. Doch! Drei Mal „doch“! Ich kann und soll und muss mich für den „Frieden“ in meinem Leben und Umfeld einsetzen, ich kann und soll und muss Umweltverschmutzung bei mir stoppen, und ich kann und soll und muss meine „Gesellschaft“, meine „Leute“ so beeinflussen, wie es mir mein Gewissen und meine Sehnsüchte und meine Bedürfnisse zeigen. Wenn es Probleme gibt – welche auch immer – „Aufrichten“ und „Kopf hoch“, das ist die Botschaft und Devise Jesu, d.h. Kräfte sammeln und einsetzen, und Hoffnung und Mut haben, um an einer besseren Welt zu arbeiten, und die beginnt immer bei mir selbst!

Wir haben am heutigen ersten Advent wieder das erste Licht entzündet auf dem Weg, der uns in die Widrigkeiten des / unseres Lebens führt! Es führt uns letztlich zu „Ausgrenzung“ und „Stall“, weil und damit Gottes Liebe dort aufstrahlt, wo sie gebraucht wird, „Gott will im Dunkel wohnen, und hat es doch erhellt“ (GL 220, 5). So können und sollen und müssen auch wir in die Widrigkeiten des / unseres Lebens gehen, um mit Gottes Liebe(skraft) die Abgründe dieser Welt zu bekämpfen. Dann wird Weihnachten für uns wirklich zum Fest der Geburt des Erlösers!