Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 2. Advent 2021

Datum:
So. 5. Dez. 2021
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum 2. Advent 2021

Zur 1. Lesung (Bar 5, 1-9)

Baruch soll der Sekretär / Schreiber des Propheten Jeremias gewesen sein (vgl. v.a. Jer 32, 12; 36, 36, 4-32). Seine Schrift bezieht sich auf die Zeit des Babylonischen Exils (597-539 v. Chr.) und soll dort geschrieben worden sein (vgl. Bar 1, 1f). Es wird (zusammen mit anderen Gaben) ins zerstörte Jerusalem gesendet (vgl. Bar 1, 7) mit der Bitte, von den dort Hinterbliebenen im Gottesdienst vorgelesen zu werden, um Mut, Zuversicht und Gottes Treue zu verkünden, die dafür sorgen wird, sein Volk einst wieder in Frieden, Freiheit und Freude zu vereinen.

Lesung aus dem Buch Baruch:

„Leg ab, Jerusalem, das Kleid deiner Trauer und deines Elends und bekleide dich mit dem Schmuck der Herrlichkeit, die Gott dir für immer verleiht. Leg den Mantel der göttlichen Gerechtigkeit an; setz dir die Krone der Herrlichkeit des Ewigen aufs Haupt! Denn Gott will deinen Glanz dem ganzen Erdkreis unter dem Himmel zeigen. Gott gibt dir für immer den Namen: Friede der Gerechtigkeit und Herrlichkeit der Gottesfurcht. Steh auf, Jerusalem, und steig auf die Höhe! Schau nach Osten und sieh deine Kinder: Vom Untergang der Sonne bis zum Aufgang hat das Wort des Heiligen sie gesammelt. Sie freuen sich, dass Gott an sie gedacht hat. Denn zu Fuß zogen sie fort von dir, weggetrieben von Feinden; Gott aber bringt sie heim zu dir, ehrenvoll getragen wie in einer königlichen Sänfte. Denn Gott hat befohlen: Senken sollen sich alle hohen Berge und die ewigen Hügel und heben sollen sich die Täler zu ebenem Land, sodass Israel unter der Herrlichkeit Gottes sicher dahinziehen kann. Wälder und duftende Bäume aller Art spenden Israel Schatten auf Gottes Geheiß. Denn Gott führt Israel heim in Freude, im Licht seiner Herrlichkeit; Erbarmen und Gerechtigkeit kommen von ihm.“

Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Philípper (Phil 1, 4-6.8-11):

Liebe Schwestern und Brüder! „Immer, wenn ich für euch alle bete, tue ich es mit Freude und danke Gott dafür, dass ihr euch gemeinsam für das Evangelium eingesetzt habt vom ersten Tag an bis jetzt. Ich vertraue darauf, dass er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, es auch vollenden wird bis zum Tag Christi Jesu. Gott ist mein Zeuge, wie ich mich nach euch allen sehne mit der herzlichen Liebe, die Christus Jesus zu euch hat. Und ich bete darum, dass eure Liebe immer noch reicher an Einsicht und Verständnis wird, damit ihr beurteilen könnt, worauf es ankommt. Dann werdet ihr rein und ohne Tadel sein für den Tag Christi, reich an der Frucht der Gerechtigkeit, die Jesus Christus gibt, zur Ehre und zum Lob Gottes.“

Worauf kommt es an in meinem Leben?

Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas (Lk 3, 1-6):

„Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, sein Bruder Philippus Tetrarch von Ituräa und Trachonitis, Lysanias Tetrarch von Abilene; Hohepriester waren Hannas und Kajaphas. Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias. Und er zog in die Gegend am Jordan und verkündigte dort überall Umkehr und Taufe zur Vergebung der Sünden. (So erfüllte sich,) was im Buch der Reden des Propheten Jesaja steht: Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden. Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.“

Liebe Schwestern und Brüder, wir sollen also dem Herrn den Weg bereiten! Echt jetzt? Wir sollen Gott Wege bereiten? Ist das nicht seine Aufgabe? Aber nach Überzeugung des Propheten Jesaja (8. Jh.) ist das unsere: Wir sollen Straßen ebnen, Schluchten auffüllen, Berge und Hügel abtragen, krumme und holprige Wege begradigen – und was passiert dann? Dann werden alle Menschen das Heil sehen, das von Gott kommt. Da müssen wir genauer hinschauen, was das heißt: Was ist gemeint mit den Straßen, den Schluchten, Bergen und Hügeln? Das sind ja wohl unsere Lebenswege, wie das Leben jedes Menschen sich entwickelt hat, wie es bisher gelaufen ist. Wenn wir da mal zurückschauen, da fällt doch bestimmt jedem von uns spontan einiges ein, wo wir uns damals und vielleicht auch heute noch gewünscht haben, dass das oder das ganz anders gelaufen wäre, weil wir wissen oder spüren, dann wäre es besser weitergegangen. Ich glaube, dass wir damit wahrscheinlich auch recht haben – aber wie heißt es so schön: Das Leben ist kein Wunschkonzert und kein Ponyhof und kein Supermarkt! Offensichtlich gab es Kräfte / Situationen / Erfahrungen, die ja gerade verhindert haben, dass es da oder da besser hat weitergehen können. Und da hinein fordert Jesaja, dass wir Gräben auffüllen, Hindernisse aus dem Weg räumen und krumme Entwicklung begradigen – wie das? – Stellen Sie sich mal vor, Sie hätten all diese Erfahrungen, die nicht schön waren, die verletzt und enttäuscht haben und die oftmals Wunden und Narben hinterlassen haben – Sie hätten all das nicht erlebt: Wären Sie der Mensch, der Sie heute sind? Keinesfalls! Vielleicht wünschen Sie sich ja auch immer noch, ein anderer Mensch geworden zu sein, ohne diese Lasten auf Ihren Schultern. Aber sie sind nun mal da, ob wir woll(t)en oder nicht. Die entscheidende Frage ist: Wie gehen wir damit um? Was be-deuten sie? Und was haben wir durch sie gelernt? Es geht selbstverständlich nie darum, Leid zu rechtfertigen, aber da es nun mal passiert, kann es – wenn wir uns darauf einlassen – trotzdem zu einer wichtigen Erfahrung für uns werden, wie Leben nicht gut geht! Vieles, was Jesus später sagen wird, bezieht sich genau darauf: Es ist nicht gut, dass das passiert ist, jetzt gehe aber gut damit um, damit dadurch nicht noch mehr Unheil passiert. So sind Feindesliebe, die dauerhafte Bereitschaft zum Verzeihen und durchgängiger Mut zum Neubeginn zu verstehen. Im Sinne von Jesaja – und auch von Jesus – bedeutet das also, dass wir die Gräben, die Hindernisse und das Krumme unserer Geschichte dadurch überwinden, in dem wir bewusst daraus lernen, wie Leben geht. Egal, was passiert – es kann uns immer zeigen, was zum Leben, zu Gemeinschaft und zu Frieden, und was zu Zerstörung, Leid und Tod führt. Und wenn wir das erkennen, dann stehen wir noch mehr in der Herausforderung, selber dafür zu sorgen, dass in unserem Alltag trotz allem Gemeinschaft, Teilen und Frieden möglich werden und wir darüber hinaus anderen helfen, besser mit dem Krummen und Schweren und den Gräben ihres Lebens umzugehen. Wir haben es eben als Kyrie gesungen: „So nehmet euch eins um das andere an, wie auch der Herr an uns getan“ (GL 223, 2). Dann ebnen wir uns und anderen den Weg – zu Gott? Ja, denn Gott möchte v.a. dadurch zu uns kommen, dass wir mitmachen an (ein großes Wort): Erlösung, an frei-Werden von Zwängen und Ängsten und Unterdrückung und Ausbeutung. Wir können die Kraft Gottes, seine Begleitung, seinen Geist tatsächlich am ehesten spüren, wenn wir das tun, wozu wir geschaffen sind und was das Leben Jesu bestimmt hat: Uns dafür einsetzen, dass Leben – im Sinne Gottes – gelingt! Und das bedeutet dann die Chance für Glück, Zufriedenheit und Hoffnung für alle Menschen. Wenn wir also über die Brüche und Gräben unserer Geschichte hinweg Leben deuten und verstehen, wie es – für alle – gut werden kann und soll, dann haben wir kein Bild mehr von einem Gott im Himmel oder über den Wolken, irgendwie fern von dieser Welt, sondern dann suchen wir einen Gott, der sich in der Liebe und den Unwegbarkeiten unseres Lebens zeigt, um hinzuführen, um Kraft zu geben, an einer besseren Welt mitzuwirken. Wenn das passiert, „werden alle Menschen das Heil sehen, das von Gott kommt“ (Vers 6), dann können wir verstehen, warum Gott selbst in den Widrigkeiten des Lebens Mensch wurde und immer wieder wird, dann wird der Blick frei auf die Krippe, auf einen Stall, auf ein Kaff am Ende der damaligen Welt, weil Gott immer im Unscheinbaren und Bedürftigen erscheint, weil er dort gebraucht wird – und wir!