Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 2. Sonntag im Jahreskreis 2021

Datum:
Sa. 16. Jan. 2021
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zu den Lesungen und zum Evangelium des 2. Sonntags im Jahreskreis 2021:

Liebe Schwestern und Brüder,

nun sind Weihnachten, Neujahr, und auch der „Weihnachtsfestkreis“ nach der Taufe Jesu, die wir letzten Sonntag gefeiert haben, wieder vorbei, die „Zeit im Jahreskreis“ beginnt. Womit Jesus nach seiner Taufe „startet“, ist das, womit er selbst „gestartet“ ist: mit Berufung! Er hat für sich selbst erkannt, was sein eigentlicher Auftrag im Leben ist, als Zäsur dafür lässt er sich von Johannes im Jordan taufen, und als nächstes (nach dem Johannes-Evangelium! Nach den Synoptikern (Markus, Matthäus und Lukas) geht er danach erst in die Wüste und wird mit seinen Versuchungen konfrontiert) ruft er Jünger in seine Nachfolge. Somit beginnen die Lesungen im Jahreskreis mit dem Thema „Berufung“, ein, wie ich finde, spannendes, aber auch schwieriges Thema, bei dem die Gefahr besteht, dass man da Unterschiede macht, wen man für „mehr oder weniger“ berufen hält. Wenn es Berufungen gibt, dann muss es sie für jeden Menschen geben, und daher sind die grundlegenden Fragen dazu: Wie erkennt man seine eigene „Berufung“? Was hat sie mit der persönlichen Lebensgeschichte, und was hat sie mit Gott zu tun?

Zur 1. Lesung (1 Sam 3, 3b-10.19)

Samuel ist der letzte Richter (der 18., der erste ist Mose) in Israel (11. Jh. v. Chr.). Die „Richter“ sind charismatische Persönlichkeiten (unter ihnen gibt es auch eine Frau, Deborah, 12. Jh. v. Chr.), die in Israel vor der Königszeit (ab ca. 1000 v. Chr.) bei außenpolitischen Auseinandersetzungen die (12) Stämme anführen, außerdem – daher ihr Name – sprechen sie Recht in Israel (vgl. Buch der Richter)

(zu dem historisch-umstrittenen Prozess der „Landnahme Israels“ in Kanaan siehe u.a.:

https://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/themenkapitel-at/exodus-und-landnahme-israels/ ).

Die Mutter Samuels, Hanna, ist lange Zeit unfruchtbar (vgl. 1 Sam 1, 5) und gelobt, ihr Kind Gott zu weihen, wenn sie denn eines bekommt. Nach einem Gespräch mit dem Priester Eli (vgl. 1 Sam 1, 12-18) und der Geburt ihres erhofften und erbetenen Sohnes Samuel wird dieser von Eli aufgezogen (vgl. 1 Sam 1, 25).

Samuel wird später – zunächst gegen seine Überzeugung – Saul zum Fürsten salben (er wird der erste König von Israel werden, vgl. 1 Sam 9), als er dann nicht gemäß des Willens Gottes handelt und von ihm „verworfen“ wird (vgl. 1 Sam 16, 1), salbt Samuel David, den Sohn Isais, zum (späteren) König (vgl. 1 Sam 16, 13).

In der heutigen ersten Lesung hören wir davon, wie Samuel wohl zum ersten Mal ein Gespür / eine Offenbarung Gottes erlebt, er fühlt sich von Gott angesprochen und gerufen.

Lesung aus dem 1. Buch Samuel:

In jenen Tagen „schlief Samuel im Tempel des Herrn, wo die Lade Gottes stand.

Da rief der Herr den Samuel und Samuel antwortete: Hier bin ich. Dann lief er zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Eli erwiderte: Ich habe dich nicht gerufen. Geh wieder schlafen! Da ging er und legte sich wieder schlafen.

Der Herr rief noch einmal: Samuel! Samuel stand auf und ging zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Eli erwiderte: Ich habe dich nicht gerufen, mein Sohn. Geh wieder schlafen!

Samuel kannte den Herrn noch nicht und das Wort des Herrn war ihm noch nicht offenbart worden.

Da rief der Herr den Samuel wieder, zum dritten Mal. Er stand auf und ging zu Eli und sagte: Hier bin ich, du hast mich gerufen. Da merkte Eli, dass der Herr den Knaben gerufen hatte.

Eli sagte zu Samuel: Geh, leg dich schlafen! Wenn er dich (wieder) ruft, dann antworte: Rede, Herr; denn dein Diener hört. Samuel ging und legte sich an seinem Platz nieder. Da kam der Herr, trat (zu ihm) heran und rief wie die vorigen Male: Samuel, Samuel! Und Samuel antwortete: Rede, denn dein Diener hört.

Samuel wuchs heran und der Herr war mit ihm und ließ keines von all seinen Worten unerfüllt.“

Zur 2. Lesung Kor 6, 13c-15a.17-20)

Für Paulus ist das Bild vom Leib und seinen Gliedern eine Analogie für die Kirche (die nur er im NT so entwirft und beschreibt!), die sich aus allen (gläubigen) Menschen und ihren Talenten und Charismen zusammensetzt und als Ganzheit mit dem Haupt Jesus Christus (vgl. u.a. 1 Kor 12, 27; Röm 12, 4-6 (vgl. 1 Petr 4, 10 als einzige außerpaulinische Stelle!)) den „Leib Christi“ bildet.

Mit „Unzucht“ in dem folgenden Abschnitt aus dem ersten Korintherbrief meint Paulus nicht nur jene / jede Form sexueller Perversion, sondern im übergreifenden Sinn jegliches Verhalten und alle Begierden, die „ohne Zucht und Ordnung“ unkontrolliert den Menschen durch kurzfristige, oberflächliche und vordergründige Befriedigungen von einer tiefen Sehnsucht nach Liebe, Gemeinschaft und Vereinigung (besonders auch mit Gott) ablenken und abhalten. Für ihn ist der Leib des Menschen, d.h. die Gesamtheit, Unverwechselbarkeit und Komplexität seiner konkreten Existenz, nicht vorrangig ein biologischer Organismus, sondern ein geist-beseeltes und -begnadetes Wesen göttlicher Abstammung und Zuwendung. Mit allen Gliedern unseres Leibes, d.h. mit all unseren  Möglichkeiten, sollen wir daher Gott „verherrlichen“, Gott durch unser Denken und Handeln als Herren der Schöpfung (vgl. u.a. Gen 1, 1) und Quellen alles Guten (vgl. u.a. Ps 36, 10) verehren / verdeutlichen / in der Welt lebendig und erfahrbar werden lassen.

Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Korinther:

Liebe Schwestern und Brüder,

„Der Leib ist aber nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib. Gott hat den Herrn auferweckt; er wird durch seine Macht auch uns auferwecken. Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? Wer sich an den Herrn bindet, ist ein Geist mit ihm.

Hütet euch vor der Unzucht! Jede andere Sünde, die der Mensch tut, bleibt außerhalb des Leibes. Wer aber Unzucht treibt, versündigt sich gegen den eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst; denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib!“

Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes

In jener Zeit „stand Johannes am Jordan, wo er taufte, und zwei seiner Jünger standen bei ihm.

Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes!

Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, fragte er sie: Was wollt ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister -, wo wohnst du? Er antwortete: Kommt und seht! Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde. Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer der beiden, die das Wort des Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren. Dieser traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden. Messias heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus). Er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet: Fels (Petrus).“

Liebe Schwestern und Brüder,

wie jedes Jahr am Anfang des Kirchenjahres hören wir im Evangelium, wie das Leben und die Verkündigung Jesu losging. Johannes berichtet dabei interessanterweise nicht von der Geburt Jesu, so wie wir sie von den anderen Evangelisten kennen – mit Bethlehem und Stern und Engel und Hirten – sondern nach seinem berühmten „Im Anfang war das Wort“ erzählt er gleich von der Berufung der ersten Jünger. Und vielleicht geht es Ihnen da wie mir: Also das hätte ich mir gerade vom Evangelisten Johannes, der doch sonst so tief und philosophisch und so wunderbar mit Worten beschreibt, ganz anders vorgestellt. Und gerade auch, wenn es um Berufung geht – immerhin beruft Jesus seine ersten Jünger und diese werden dann auch noch die wichtigsten bleiben – das hätte ich schon irgendwie dramatischer und großartiger erwartet. Stattdessen: Karg und völlig undramatisch, nichts Wunderbares, noch nicht mal der Ort, wo sich das abspielt, wird beschrieben, kein See, keine Landschaft wird genannt. Die Geschichte erscheint im leeren Raum. Ebenso sind Gesten und Bewegungen, selbst die Gespräche sind auf ein Minimum beschränkt: Johannes der Täufer erkennt Jesus als das Lamm Gottes, daraufhin folgen ihm zwei seiner Jünger und auf Jesu Frage, was sie denn von ihm wollen, bekommt er die eigentümliche Aussage: Meister, wo wohnst du? Und als sie es sehen, erkennen sie in Jesus den Messias, woraufhin Andreas auch seinen Bruder Simon davon überzeugt. Von Gefühlen und Beweggründen erfahren wir nichts, weder von Abschied noch von großer Freude. Keiner geht in sich oder fällt auf die Knie. Sie sind wie Gestalten auf einer leeren Bühne – wohl ganz bewusst äußerst sparsam dargestellt, denn es gibt nichts zum Ausschmücken, sonst lenkt es nur ab! Das Großartige an dieser Erzählung – oder an Berufung! – ist die Beschränkung auf das Wesentliche. Sie ist von einer tiefen Ergriffenheit geprägt, sie geht eben nicht von den Umständen aus, sondern vom Persönlichen!

Menschen, wir Menschen, sind auf der Suche! Wir fragen nach dem Woher und Wohin: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist eigentlich mein Ziel? Was ist der Sinn meines Lebens? Wozu bin ich da? Ich glaube, irgendwann und irgendwie stellt sich jeder Mensch diese Fragen. – Und unsere Antwort? Was suchen wir? Wahrscheinlich suchen wir Glück, denn welcher Mensch möchte nicht glücklich sein, frei von Sorgen, von Leid, von irgendwelchen Traurigkeiten?! Wahrscheinlich suchen wir auch Sicherheit für unser Leben. Bestimmt suchen wir Erfüllung, was auch immer das bedeutet.

Was sucht ihr?“ – wörtlich übersetzt! – ist im Johannesevangelium die erste Frage, der erste Satz überhaupt, den Jesus spricht! Zwei junge Männer spüren in Jesus, der scheinbar zufällig vorbeikommt, wohl etwas Besonderes. Sie wollen ihn näher kennenlernen, laden sich selbst bei ihm zuhause ein, um ihn so richtig kennenzulernen. Stundenlang sind sie bei ihm, und dann haben sie etwas gefunden, wonach sie vielleicht gar nicht (bewusst) gesucht haben: „Wir haben den Messias gefunden!“ Glück, Sicherheit, Erfüllung, auf einmal scheint das alles keine Bedeutung mehr zu haben – oder eine andere?! Was hat sich wohl an diesem Tag bei Jesus zu Hause abgespielt? Was haben die Jünger wohl erlebt? Was hat Jesus wohl zu ihnen gesagt? – Ich glaube, dass er sie braucht! Und zwar so, wie sie sind! Dass er all das, was sie an Persönlichkeit, an Erfahrungen, an Talenten mitbringen, brauchen kann, damit sie andere Menschen damit erreichen. Ich glaube, die beiden jungen Männer haben durch die Begegnung mit Jesus sich selbst gefunden!

Gehört es nicht zu den wichtigsten Erfahrungen menschlichen Lebens, gebraucht zu werden? Geliebt werden ist das wichtigste, aber das bedeutet doch eigentlich auch: „Du bist wichtig, du bist einzigartig, du bist kostbar!“ Wollen wir das nicht alle hören?!

Und? Wann sagen wir uns das? Wie lassen wir das unsere Lieben spüren?

Wenn wir Jesus „nachfolgen“ wollen, dann bedeutet das anhand des Evangeliums von heute: Wir sollen mithelfen, dass Menschen ihre Berufung entdecken, dass sie sich wirklich gebraucht, wirklich wichtig und einzigartig fühlen und damit ihre Talente, ihre Persönlichkeit entfalten.

Berufung bedeutet, seine Talente für andere einzusetzen und das als Auftrag Gottes zu erkennen!

Und unser Auftrag als Christen ist, unseren Mitmenschen dabei zu helfen! Wie machen wir das?