Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 22. Sonntag im Jahreskreis 2021

Datum:
So. 29. Aug. 2021
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum 22. Sonntag im Jahreskreis 2021

Das Thema von allen drei Lesungen des heutigen Sonntags behandelt die meines Erachtens wichtigste Frage von Religion(en) überhaupt: Wie soll der Mensch leben, damit es im Sinne Gottes gut bzw. „richtig“ ist?

Zur 1. Lesung (Dtn 4, 1-2.6-8)

Das Buch Deuteronomium ist das fünfte und letzte Buch Mose, des sogenannten Pentateuch (griech. Fünfbuch). Mose hat freilich diese fünf Bücher, die ersten und wichtigsten im Alten Testament, nicht geschrieben, sie werden ihm aber zugeschrieben, da er der bedeutendste Prophet des Volkes Israel ist. „Sein“ letztes Buch beinhaltet den letzten Lebenstag des Mose, an dem er dem versammelten Volk Israel in seinen Abschiedsreden die wichtigsten Lehren und Glaubensgrundsätze als Vorbereitung auf ihren Einzug in das „Gelobte Land“ Palästina einschärft, er selbst wird das Land der Verheißung (vgl. Ex 3, 8) nicht betreten, sondern nur sehen (vgl. Dtn 34, 1-5).

Lesung aus dem Buch Deuteronomium:

Mose sprach zum Volk: „Israel, höre die Gesetze und Rechtsvorschriften, die ich euch zu halten lehre. Hört und ihr werdet leben, ihr werdet in das Land, das der Herr, der Gott eurer Väter, euch gibt, hineinziehen und es in Besitz nehmen. Ihr sollt dem Wortlaut dessen, worauf ich euch verpflichte, nichts hinzufügen und nichts davon wegnehmen; ihr sollt auf die Gebote des Herrn, eures Gottes, achten, auf die ich euch verpflichte. Ihr sollt auf sie achten und sollt sie halten. Denn darin besteht eure Weisheit und eure Bildung in den Augen der Völker. Wenn sie dieses Gesetzeswerk kennen lernen, müssen sie sagen: In der Tat, diese große Nation ist ein weises und gebildetes Volk. Denn welche große Nation hätte Götter, die ihr so nah sind, wie Jahwe, unser Gott, uns nah ist, wo immer wir ihn anrufen? Oder welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsvorschriften, die so gerecht sind wie alles in dieser Weisung, die ich euch heute vorlege?“

Zur 2. Lesung (Jak 1, 17-18.21b-22.27)

Der Jakobusbrief ist der erste der sieben „katholischen“ (griech. allgemein, allumfassend) Briefe des Neuen Testaments (Jak, 1. und 2. Petrusbrief, 1. bis 3. Johannesbrief, Judasbrief), sogenannt, weil diese sich nicht auf einzelne Gemeinden beziehen, sondern auf die gesamte Kirche. Nach kirchlicher Tradition ist sein Verfasser der Herrenbruder Jakobus (vgl. Mk 6, 3), der Leiter der Jerusalemer Urgemeinde, und nicht einer der Apostel Jakobus (vgl. der Zebedäus-Sohn (Mk 3, 17) oder der Alphäus-Sohn (Apg 1, 13)), sonst würde der Aposteltitel in der „Anschrift“ des Briefes genannt. Seine heutige Botschaft, was der wahre Gottesdienst ist: „Ein reiner und makelloser Dienst vor Gott besteht darin: für Waisen und Witwen zu sorgen, wenn sie in Not sind, und sich vor jeder Befleckung durch die Welt zu bewahren“ (Vers 27)!

Lesung aus dem Jakobusbrief:

Liebe Brüder und Schwestern! „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben, vom Vater der Gestirne, bei dem es keine Veränderung und keine Verfinsterung gibt. Aus freiem Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit geboren, damit wir gleichsam die Erstlingsfrucht seiner Schöpfung seien. Nehmt euch das Wort zu Herzen, das in euch eingepflanzt worden ist und das die Macht hat, euch zu retten. Hört das Wort nicht nur an, sondern handelt danach; sonst betrügt ihr euch selbst. Ein reiner und makelloser Dienst vor Gott, dem Vater, besteht darin: für Waisen und Witwen zu sorgen, wenn sie in Not sind, und sich vor jeder Befleckung durch die Welt zu bewahren.“

Zum Evangelium (Mk 7, 1-8.14-15.21-23)

Im Alten Testament gibt es 248 Gebote und 365 Verbote (vgl. https://www.talmud.de/tlmd/die-ge-und-verbote-nach-maimonides/). Selbstverständlich besteht eine Religion ebenso wie eine Gesellschaft auch aus bestimmten Vorschriften und Rahmenbedingungen, die ihr Zusammenleben, ihre Überzeugungen und Ziele regeln. Meines Erachtens ist die größte Gefahr aller Religionen, dass solche menschlichen Vorstellungen und Formulierungen nicht mehr genügend „Freiraum“ / Offenheit bieten für göttliche Offenbarung und dementsprechende menschliche Entwicklung und Neu-Interpretation. Werden religiöse Anschauungen, die immer nur menschlich sein können und stets zeitbedingt und -abhängig sind, „zementiert“, d.h. ein für alle Mal festgeschrieben, gibt es de facto keinen (bewussten) Raum mehr für die Inspiration und Führung durch Gott. In unserem christlichen Verständnis ist das der Grund für die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth: Durch ihn (und mit ihm) alles aufzubrechen, was durch religiöse Erstarrung (auf Grund menschlicher Angst, „es“ vor Gott so richtig zu machen, wie es (in den heiligen Büchern) aufgeschrieben wurde) den lebendigen Geist Gott nicht mehr sucht (vgl. 2 Kor 3, 6b: „der Buchstabe tötet, der aber macht lebendig“, Gal 4, 4-7: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, damit er die freikaufe, die unter dem Gesetz stehen, und damit wir die Kindschaft erlangen. Weil ihr aber Kinder seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater. Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Kind; bist du aber Kind, dann auch Erbe, Erbe durch Gott“).

Genau das „prallt“ im heutigen Evangelium aufeinander: Da sind religiöse Würdenträgen bei Jesus und beobachten, dass seine Jünger sich nicht an überlieferte Reinheitsvorschriften halten. Jesu Erklärung ist so existentiell, dass sie zu einem der vier Hauptanklagepunkte* und daher zu seiner Todes-Verurteilung führen wird: „Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein“ (Vers 15).

 

* Die vier Anklagepunkte gegen Jesus sind:

  • Gesetzesbrecher = Heilungen am Sabbat, Kontakt zu Sündern, Nichteinhaltung von Reinheits-vorschriften (s.o.). (Eine) Begründung Jesu: „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat“ (Mk 2, 27).
  • Gotteslästerer = Jesus vergibt Sünden (vgl. z.B. Mk 2, 5).
  • Jesus stellt den Tempel(kult) in Frage, z.B. nach der Tempelreinigung: „Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten“ (Joh 2, 19).
  • Jesus stellt die besondere Erwählung des Volkes Israels in Frage, z.B. „die Letzten werden die Ersten sein“ (vgl. Lk 13, 30), Gleichnis vom Hochzeitsmahl (vgl. Lk 14, 15-24).

 

Alles, was Jesus gesagt und getan und gelebt hat, ist ja unserer Überzeugung nach der (wahre) Wille Gottes – und damit unser Lebensmaßstab und unsere Orientierung. Da Jesus heute ganz konkret vom dem spricht, was „von innen, aus dem Herzen der Menschen“ (Vers 21a) kommt, möchte ich auf einen „Spiegel“ hinweisen, der unsere gesamte Kommunikation bestimmt: Was wir denken und was wir sagen! Dabei gibt es grundsätzlich nur vier Möglichkeiten:

  • Schlechtes denken und nicht aussprechen,
  • Schlechtes denken und aussprechen,
  • Gutes denken und nicht aussprechen,
  • Gutes denken und Nur das ist „im Sinne“ Gottes!

Aus dem heiligen Evangelium nach Markus:

In jener Zeit „hielten sich die Pharisäer und einige Schriftgelehrte, die aus Jerusalem gekommen waren, bei Jesus auf. Sie sahen, dass einige seiner Jünger ihr Brot mit unreinen, das heißt mit ungewaschenen Händen aßen. Die Pharisäer essen nämlich wie alle Juden nur, wenn sie vorher mit einer Hand voll Wasser die Hände gewaschen haben, wie es die Überlieferung der Alten vorschreibt. Auch wenn sie vom Markt kommen, essen sie nicht, ohne sich vorher zu waschen. Noch viele andere überlieferte Vorschriften halten sie ein, wie das Abspülen von Bechern, Krügen und Kesseln. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten fragten ihn also: Warum halten sich deine Jünger nicht an die Überlieferung der Alten, sondern essen ihr Brot mit unreinen Händen? Er antwortete ihnen: Der Prophet Jesaja hatte Recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. Es ist sinnlos, wie sie mich verehren; was sie lehren, sind Satzungen von Menschen.

Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen. Dann rief er die Leute wieder zu sich und sagte: Hört mir alle zu und begreift, was ich sage: Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein.“