Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 22. Sonntag im Jahreskreis 2022

Datum:
So. 28. Aug. 2022
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum 22. Sonntag im Jahreskreis 2022

Zur 1. Lesung (Sir 3, 17-18.20.28-29)

Kennen Sie jemanden, den Sie als „bescheiden“ bezeichnen würden? Wie zeigt sich Ihnen dessen Bescheidenheit? Wie fühlen Sie sich mit dieser Person? Und würden Sie sich selbst als bescheiden beschreiben? – Das sind womöglich ungewöhnliche, aber deswegen vielleicht umso wichtigere Fragen. Die heutigen Verse aus Buch Jesus Sirach, einem weisheitlichen Buch aus der Spätzeit des AT (wohl 190 v. Chr. in Jerusalem geschrieben), beziehen sich auf dieses Thema. Schauen Sie mal, was da über „Bescheidene und Demütige“ und über „Übermütige“ gesagt wird:

Lesung aus dem Buch Jesus Sirach:

„Mein Kind, bei all deinem Tun bleibe bescheiden und du wirst mehr geliebt werden als einer, der Gaben verteilt. Je größer du bist, umso mehr bescheide dich, dann wirst du Gnade finden bei Gott. Denn groß ist die Macht Gottes und von den Demütigen wird er verherrlicht. Für die Wunde des Übermütigen gibt es keine Heilung, denn ein giftiges Kraut hat in ihm seine Wurzeln. Ein weises Herz versteht die Sinnsprüche der Weisen, ein Ohr, das auf die Weisheit hört, macht Freude.“

Zur 2. Lesung ((Hebr 12, 18-19.22-24a)

Nach Auskunft des folgenden Abschnitts aus dem Hebräerbrief entsteht unser Glaube nicht durch irgendein faszinierendes Spektakel, durch etwas, was uns äußerlich erregt und in seinen sinnlichen Bann zieht (ó vgl. 1 Kön 19, 11f), sondern bedeutet die Anbetung des lebendigen Gottes (vgl. Vers 22) in Gemeinschaft mit all seinen Erleuchteten.

Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Hebräer:

Liebe Schwestern und Brüder! „Ihr seid nicht zu einem sichtbaren, lodernden Feuer hingetreten, zu dunklen Wolken, zu Finsternis und Sturmwind, zum Klang der Posaunen und zum Schall der Worte, bei denen die Hörer flehten, diese Stimme solle nicht weiter zu ihnen reden. Ihr seid vielmehr zum Berg Zion hingetreten, zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind; zu Gott, dem Richter aller, zu den Geistern der schon vollendeten Gerechten, zum Mittler eines neuen Bundes.“

Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas (Lk 14, 1.7-14):

„Als Jesus an einem Sabbat in das Haus eines führenden Pharisäers zum Essen kam, beobachtete man ihn genau. Als er bemerkte, wie sich die Gäste die Ehrenplätze aussuchten, nahm er das zum Anlass, ihnen eine Lehre zu erteilen. Er sagte zu ihnen: Wenn du zu einer Hochzeit eingeladen bist, such dir nicht den Ehrenplatz aus. Denn es könnte ein anderer eingeladen sein, der vornehmer ist als du, und dann würde der Gastgeber, der dich und ihn eingeladen hat, kommen und zu dir sagen: Mach diesem hier Platz! Du aber wärst beschämt und müsstest den untersten Platz einnehmen. Wenn du also eingeladen bist, setz dich lieber, wenn du hinkommst, auf den untersten Platz; dann wird der Gastgeber zu dir kommen und sagen: Mein Freund, rück weiter hinauf! Das wird für dich eine Ehre sein vor allen anderen Gästen. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Dann sagte er zu dem Gastgeber: Wenn du mittags oder abends ein Essen gibst, so lade nicht deine Freunde oder deine Brüder, deine Verwandten oder reiche Nachbarn ein; sonst laden auch sie dich ein, und damit ist dir wieder alles vergolten. Nein, wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein. Du wirst selig sein, denn sie können es dir nicht vergelten; es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.“

Liebe Schwestern und Brüder, ich habe zu dem, was wir gerade gehört haben, tatsächlich eine Erfahrung gemacht: Vor einigen Jahren bekam ich eine Einladung zu einem 75. Geburtstag einer guten Bekannten in meiner alten Heimat Norddeutschland. Es war ein großes Fest, ein riesiger Saal und relativ viele Leute waren zum Abendessen eingeladen. Wie das oft üblich ist bei einer größeren Gesellschaft, gab es auch Tischkarten. Ich hatte mich sehr auf diesen Tag gefreut und es war ja für mich auch mit einigem Aufwand verbunden, denn ich musste nach Neumünster fahren, das liegt zwischen Hamburg und Kiel. Ich ging also gespannt in diesen Saal und musste zuerst schauen, wo ich sitzen sollte. Nicht ganz unbescheiden suchte ich zuerst am Tisch des Gastgebers – ich war ja auch von weither gekommen – aber: nichts. Dann suchte ich meinen Namen in der Nähe der nächsten Verwandten – wieder nichts. Dann bei den Leuten, die ich von früher schon etwas kannte – immer noch nichts. Ich fing an, mir einzureden: „Die haben mich bestimmt vergessen, und ich sitze doch da vorne“, trotzdem war meine Stimmung eine ganz andere als vor zwei Minuten. Als ich gerade den Rest meines Mutes zusammennehmen wollte, um noch mal durch den Raum zu schleichen auf der Suche nach meinem Platz, winkt mir aus einer Ecke eine Frau zu, die ich aber nicht kannte. Sie können sich vorstellen, auf der einen Seite war ich erleichtert, endlich ein Ziel zu haben, auf der anderen Seite kam sofort auch der Gedanke: „Na toll – mehr in der Ecke ging wohl nicht?!“ Es stellte sich heraus, dass dort tatsächlich mein Platz war und meine Tischnachbarin mich schon erwartet hatte. Sie können sich bestimmt denken, wie das weiterging, sonst würde ich es heute wohl kaum erzählen: Nachdem ich meine Enttäuschung überwunden hatte – das dauerte dann noch ein paar Minuten –, stellte sich im Laufe der Feier heraus, dass ich genau am richtigen Platz saß: Es ergaben sich wunderschöne Gespräche, wir haben herzlich miteinander gelacht und uns besser kennengelernt, die Zeit verging wie im Flug und wir verabschiedeten uns dann so herzlich, als wären wir alte Bekannte. An diesem Abend hat sich für mich nicht nur eine schöne Bekanntschaft ergeben, sondern ich habe auch etwas dazu gelernt: Es war gut, sich auf das einzulassen, was für mich ausgesucht wurde! Die Gastgeberin hatte sich im Voraus natürlich darüber Gedanken gemacht, mich gerade hier und nicht woanders hinzusetzen. Aber es bleibt sicher die Frage, ob ich Ihnen diese Erfahrung auch dann erzählt hätte, wenn der Abend total langweilig verlaufen wäre. Ich hoffe schon, denn auch dann wäre es darum gegangen, aus der Situation, wie sie nun mal ist, das Beste zu machen, zu feiern, weswegen wir ja alle gekommen waren, und nicht an meinen Vorstellungen und Erwartungen kleben zu bleiben. Aber wie wir alle wissen, tun wir Menschen das sehr gerne. Auch das war vor 2000 Jahren nicht anders und Jesus deckt – wie immer – etwas Grundlegendes auf: Wir Menschen möchten gerne die besten Plätze bekommen. Und was die besten Plätze für uns sind, das kann durchaus unterschiedlich sein: Das sind nicht immer nur die vordersten, z.B. beim Konzert, wo wir gut hören wollen, oder einer großen Feier, bei der wir gesehen werden wollen, das können gerade auch die hinteren Plätze sein, die wir haben wollen, z.B. im Gottesdienst oder bei einer Veranstaltung, in der wir uns unsicher fühlen. Ich glaube, wir Menschen suchen uns gerne immer die Plätze, die für uns am einfachsten und sichersten sind, und auch, wenn das ganz verständlich ist, ist das auf Dauer zu wenig. Denn es gilt, dass wir uns auch immer wieder auf das einlassen, was sich durch andere oder durch die Situation ergibt. Es gibt tatsächlich keinen Grund, es gibt noch nicht mal die Wahrscheinlichkeit, dass der 75. Geburtstag, auf dem ich war, für mich schöner verlaufen wäre, wenn ich dort gesessen hätte, wo ich es mir vorgestellt hatte. Es geht also um eine innere Haltung, ob ich gerade auch das wahr- und ernstnehme, was sich ohne mein Zutun ergibt – und es geht um einen Glauben, dass nicht nur die guten und schönen Momente, sondern auch die schwierigen tatsächlich von einem Gott mitgetragen werden, der um mich weiß, d.h. auch um mein Entwicklungspotential. In diesem Sinne sagt uns Jesus: „Achtet auf den Platz, der sich für euch ergibt. Vertraut darauf, dass Gott euch dahinstellt, wo ihr euch entfalten, wo ihr wirken und leben könnt und sollt, auch wenn ihr euch das nicht vorgestellt habt und ihr euch vielleicht unsicher fühlt“. Das ist der Auftrag, den Jesus klar benennt: „Öffnet euch vor allem denen, die sonst in eurer Gesellschaft keinen Platz haben: Die, die ihr nicht kennt, die, die arm und traurig sind, die sich schämen und Probleme haben“. Liebe Schwestern und Brüder, es liegt (wie immer) an uns, ob wir gerade an den Plätzen, auf die wir gestellt werden, weil wir sie uns nicht selbst ausgesucht haben, Gott und seinen Auftrag an uns entdecken wollen. Jesus sagt uns heute: „Gott will gerade dort durch Dich wirken, vertraue darauf und denke daran“!