Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 25. Sonntag im Jahreskreis 2021

Datum:
So. 19. Sept. 2021
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum 25. Sonntag im Jahreskreis 2021

Zur 1. Lesung (Weish 2, 1a.12.17-20)

Das Buch der Weisheit entsteht wohl in dem Zeitraum von etwa 30 v. bis 30 n. Chr. und wird wahrscheinlich von (einem?) griechisch geprägten Juden in Alexandria verfasst. Alexandria wird 331 v. Chr. von Alexander dem Großen (356-323 v. Chr.) als „seine“ Stadt (daher der Name) gegründet und entwickelt sich schnell, auch durch die „Große Bibliothek“, die bedeutendste der Antike, zum Zentrum der hellenistischen Welt. Im heutigen Abschnitt aus dem Weisheitsbuch werden zwei grundsätzliche Personengruppen beschrieben: Die „Gerechten“, damit sind die gesetzestreuen Juden gemeint (als Prototyp mit „Sohn Gottes“ bezeichnet, Vers 18), und die „Frevler“, das sind die Heiden und die vom Glauben abgefallen Juden, die die / den Gerechten beschimpfen und bekämpfen. Nach der Passion und Auferstehung Jesu sieht die Kirche besonders auch diesen Textabschnitt in Jesus Christus bewahrheitet.

Lesung aus dem Buch der Weisheit:

„Die Frevler tauschen ihre verkehrten Gedanken aus und sagen: Lasst uns dem Gerechten auflauern! Er ist uns unbequem und steht unserem Tun im Weg. Er wirft uns Vergehen gegen das Gesetz vor und beschuldigt uns des Verrats an unserer Erziehung. Wir wollen sehen, ob seine Worte wahr sind, und prüfen, wie es mit ihm ausgeht. Ist der Gerechte wirklich Sohn Gottes, dann nimmt sich Gott seiner an und entreißt ihn der Hand seiner Gegner. Roh und grausam wollen wir mit ihm verfahren, um seine Sanftmut kennen zu lernen, seine Geduld zu erproben. Zu einem ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen; er behauptet ja, es werde ihm Hilfe gewährt.“

Zur 2. Lesung (Jak 3, 16 – 4, 3)

Der heutige Abschnitt aus dem Jakobusbrief stellt die wichtige und spannende Frage, was die Ursachen für Streitigkeiten und – in der aggressiven und militanten Fortsetzung davon – Kriege sind: Neid („Eifersucht“, Vers 18) und Dominanz („Ehrgeiz“, Vers 18) als Ausdruck egoistischer Motivationen! Ganz im Gegensatz zum Geist Gottes, der zu Frieden, Freundlichkeit, Erbarmen, Güte und allem Guten, Ehrlichkeit, Unabhängigkeit und Gerechtigkeit führt. Wer (dem Geist) Gott(es) gehorcht, erreicht alles, was er ersehnt!

Lesung aus dem Jakobusbrief:

Liebe Schwestern und Brüder, „wo Eifersucht und Ehrgeiz herrschen, da gibt es Unordnung und böse Taten jeder Art. Doch die Weisheit von oben ist erstens heilig, sodann friedlich, freundlich, gehorsam, voll Erbarmen und reich an guten Früchten, sie ist unparteiisch, sie heuchelt nicht. Wo Frieden herrscht, wird (von Gott) für die Menschen, die Frieden stiften, die Saat der Gerechtigkeit ausgestreut. Woher kommen die Kriege bei euch, woher die Streitigkeiten? Doch nur vom Kampf der Leidenschaften in eurem Innern. Ihr begehrt und erhaltet doch nichts. Ihr mordet und seid eifersüchtig und könnt dennoch nichts erreichen. Ihr streitet und führt Krieg. Ihr erhaltet nichts, weil ihr nicht bittet. Ihr bittet und empfangt doch nichts, weil ihr in böser Absicht bittet, um es in eurer Leidenschaft zu verschwenden.“

Aus dem heiligen Evangelium nach Markus (Mk 9, 30-37):

In jener Zeit „zogen Jesus und seine Jünger durch Galiläa. Er wollte aber nicht, dass jemand davon erfuhr; denn er wollte seine Jünger über etwas belehren. Er sagte zu ihnen: Der Menschensohn wird den Menschen ausgeliefert und sie werden ihn töten; doch drei Tage nach seinem Tod wird er auferstehen. Aber sie verstanden den Sinn seiner Worte nicht, scheuten sich jedoch, ihn zu fragen. Sie kamen nach Kafarnaum. Als er dann im Haus war, fragte er sie: Worüber habt ihr unterwegs gesprochen? Sie schwiegen, denn sie hatten unterwegs miteinander darüber gesprochen, wer (von ihnen) der Größte sei. Da setzte er sich, rief die Zwölf und sagte zu ihnen: Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein. Und er stellte ein Kind in ihre Mitte, nahm es in seine Arme und sagte zu ihnen: Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat.“

Liebe Schwestern und Brüder,

können Sie sich noch daran erinnern, wie Sie als Kind waren? Da gibt es bei Ihnen doch bestimmt viele innere Bilder oder auch Fotos, wie das war, als sie vier, fünf oder sechs Jahre alt waren, und, wie Sie sich da gefühlt haben? Ich persönlich kann mich noch relativ gut daran erinnern, und ich weiß noch, dass z.B. meine Einschulung für mich ein ganz einschneidendes Ereignis war. Gar nicht, weil ich die Schule blöd fand, die waren auch alle sehr nett da und ich bin dann auch gerne dahingegangen. Aber ich erinnere mich, dass es das erste Mal war, dass ich mir Sorgen gemacht habe – das kannte ich davor nicht. Wahrscheinlich erleben das Millionen von Kinder leider schon (viel) früher, daher bin ich zutiefst dankbar dafür, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt keine Sorgen kannte, es gab keine Angst, irgendetwas nicht zu schaffen oder von irgendjemand abgelehnt zu werden. Diese Erfahrungen habe ich erst dann gemacht. Wie gesagt: Ich weiß, dass es vielleicht sogar den meisten Kindern auf dieser Erde von Anfang an anders geht, da gibt es Krieg, Armut, Gewalt, Krankheiten, Tod, Verstümmelungen. Es ist unvorstellbar für mich, was gerade Kinder erfahren und erdulden müssen und wie vor allem ihre Seele dadurch Schaden nimmt. Oft sind das Wunden, die vielleicht nie mehr heilen. – Ich habe mich beim Lesen des heutigen Evangeliums nur gefragt, welches Kind hat Jesus wohl in die Mitte seiner Jünger gestellt? Das Evangelium sagt dazu nichts, nur, dass Jesus es in die Arme schloss und mit diesem Kind gezeigt hat, wie das konkret aussieht, wenn man ihm nachfolgen und den Willen Gottes tun will. Denn egal, was dieses Kind bisher schon erlebt hat, ob es glücklich war oder traurig, ob es mit seinen Eltern Jesus sehen wollte oder zufällig vorbei kam, es geschieht diesem Kind etwas, wonach wir uns, glaube ich, alle sehnen und was wir alle brauchen: Jesus nimmt es in die Arme und macht so deutlich, wozu er in diese Welt gekommen ist: „um zu suchen und zu retten, was verloren ist“ (Lk 19, 10), um den Verzagten zu sagen, habt Mut, fürchtet euch nicht (vgl. Jes 35, 4), und den Hungernden, Weinenden und Einsamen das Heil und die Nähe Gottes zu bringen (vgl. u.a. Lk 6, 20f, Mt 5, 3f). Das alles zeigt Jesus damit, dass er dieses Kind umarmt und sich mit ihm identifiziert: „Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf und den, der mich gesandt hat“ (Vers 37). D.h. wer sich um die kümmert, die Liebe, Nähe, Geborgenheit, Schutz, Zuspruch, Nahrung und Kleidung und all das, was (Menschen/-)Kinder für ihre Entwicklung und ihr Glück wirklich brauchen, der nimmt de facto Gott auf! Aber brauchen wir das nicht alle, auch wenn wir keine Kinder mehr sind? Daher sind wir im heutigen Evangelium in zweifacher Weise angesprochen: Auf der einen Seite spricht uns Jesus an und zu, sein Werk dadurch fortzusetzen, dass wir uns um die kümmern, die besonders unsere Unterstützung und Liebe brauchen.

Wenn wir aber daran zurückdenken, wie sehr wir uns im Laufe unserer Geschichte auch verändert haben und was dabei gerade auch die Erfahrungen bewirkt haben, die schmerzlich für uns waren, dann gilt es auch, was Jesus an einer anderen Stelle noch deutlicher sagt: „Wer das Reich Gottes nicht so annimmt, wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen“ (Mk 10, 15). Jeder von uns ist also auch angesprochen, in seinem Herzen (immer) wieder das freizulegen, was wir im Laufe der Jahre vielleicht aus den Augen verloren haben und woran wir uns hoffentlich in unserer Kinderzeit erinnern können: Aus einem großen Gefühl der Liebe und des Vertrauens zu leben, staunend durch die Welt zu gehen, uns nicht durch Sorgen und Ängste einengen zu lassen, sondern voller Lebensfreude, Mut und Zuversicht unbelastet den heutigen Tag zu entdecken. „Nachfolge Jesu“ bedeutet also nicht nur, die Bedürfnisse anderer wahr- und ernst zu nehmen und dementsprechend zu sorgen, sondern auch nach den eigenen, vielleicht auch versteckten Bedürfnissen, Wünschen und Sehnsüchten zu suchen. Es liegt wie immer an uns, wie wichtig das tatsächlich für uns ist und wie wir das in unserem Alltag leben, in Bezug auf uns selbst, auf die Menschen, die wir kennen, und in Bezug auf die Menschen, wie wir nicht kennen.