Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 27. Sonntag im Jahreskreis 2021

Datum:
So. 3. Okt. 2021
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum 27. Sonntag im Jahreskreis 2021

Zur 1. Lesung (Gen 2, 18-24)

Die Génesis, das erste Buch der Bibel, beschreibt zunächst die Vorstellungen und Überzeugungen von der Erschaffung der Welt und alles Lebendigem, und in welcher Beziehung und Bedeutung das (wohl) zu Gott steht. Wenn wir diese tiefen Glaubensaussagen und anschaulichen Bilder, mit denen vieles davon beschrieben wird, lesen, ist es für das Verständnis elementar dabei mitzudenken, dass so gut wie alle Erzählungen des Alten Testaments – zumal wenn es nicht konkrete historische Fakten sind – auf Erfahrungen beruhen, die dann mit Gott in Zusammenhang gebracht werden, wenn / weil sie sichbewahrheiten“, d.h. über Generationen hinweg als wesentliche und „gute“ Lebensvollzüge und –zusammenhänge erweisen. Um das klar zu sagen: Ich finde es absolut berechtigt, solche Lebenswahrheiten nicht nur mit Gott in Verbindung zu bringen, sondern sie auch als göttliche „Offenbarung“ zu verstehen. Doch es gilt, nach wie vor kritisch hineinzulesen in das, was Menschen aufgeschrieben haben, wann, warum, für wen und wie.

Die wichtigste Bedingung nicht nur für das Entstehen menschlichen Lebens, sondern auch seiner positiven Entwicklung und schließlich seiner Erfüllung, ist Gemeinschaft. Das wird ja schon ganz am Anfang des Alten Testaments bei der Erschaffung der Welt in das Gottesbild integriert: Wenn Gemeinschaft das wichtigste im menschlichen Leben ist, dann muss es das auch bei einem Gott sein, der den Menschen so gewollt / erschaffen hat. So erklärt sich m. E. die Formulierung in Gen 1, 26a: „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich“! Hier leuchtet schon das auf, was im Christentum dann in der „Dreifaltigkeit Gottes“ veranschaulicht wird.

Im heutigen Abschnitt aus der Génesis wird die Überzeugung von der absoluten Bedeutsamkeit von Gemeinschaft als Grundprinzip des Lebens geschildert: „Mensch“-Sein (vgl. Vers 22) vollzieht sich konkret im Mann- und Frau-Sein (und schließt sozusagen als Identifikationspole alle Varianten biologischer, sexueller und sozialer Variationen mit ein!), das aufeinander bezogen ist und bleibt, weil es denselben Ursprung hat – den „Menschen“ als gewolltes Geschöpf Gottes an der Spitze seiner Schöpfung.

Lesung aus dem Buch Génesis:

„Gott, der Herr, sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht. Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen. Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er nicht. Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, sodass er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch. Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu. Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen, denn vom Mann ist sie genommen. Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau und sie werden ein Fleisch.“

Zur 2. Lesung (Hebr 2, 9-11)

Der Brief an die Hebräer, d.h. an die Judenchristen, ist wahrscheinlich in den 60er Jahren des ersten Jahrhunderts entstanden, ob von Paulus selbst, kann nicht eindeutig belegt werden. Er richtet sich an die christlichen Gemeinden, deren Glaubensstärke erschlafft ist, v.a. wohl durch ihre Randexistenz als Minderheit in der damaligen (stadt)römischen Gesellschaft, daher ist sein Ziel, die(se) Christen zu ermutigen (vgl. Hebr 13, 22). Die Kernaussage aus dem heutigen Abschnitt greift eine der tiefsten christlichen Deutungen und Überzeugungen auf, den der Hebräer-Brief an einer späteren Stelle noch deutlicher formuliert: „Obwohl er [Jesus Christus] der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden“ (Hebr 5, 7f). Das Leiden wird also als notwendig und unumgänglich verstanden, um da-durch zum Heil zu gelangen – warum? Weil das Böse gegen das Gute kämpft und nur durch den Kampf (= Leiden) das Gute siegen kann!

Lesung aus dem Hebräerbrief:

Liebe Schwestern und Brüder, „den, der nur für kurze Zeit unter die Engel erniedrigt war, Jesus, ihn sehen wir um seines Todesleidens willen mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt; es war nämlich Gottes gnädiger Wille, dass er für alle den Tod erlitt. Denn es war angemessen, dass Gott, für den und durch den das All ist und der viele Söhne zur Herrlichkeit führen wollte, den Urheber ihres Heils durch Leiden vollendete. Denn er, der heiligt, und sie, die geheiligt werden, stammen alle von Einem ab; darum scheut er sich nicht, sie Brüder zu nennen.“

Aus dem heiligen Evangelium nach Markus (Mk 10, 2-12)

In jener Zeit „kamen Pharisäer zu ihm und fragten: Darf ein Mann seine Frau aus der Ehe entlassen? Damit wollten sie ihm eine Falle stellen. Er antwortete ihnen: Was hat euch Mose vorgeschrieben? Sie sagten: Mose hat erlaubt, eine Scheidungsurkunde auszustellen und (die Frau) aus der Ehe zu entlassen. Jesus entgegnete ihnen: Nur weil ihr so hartherzig seid, hat er euch dieses Gebot gegeben. Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen. Zu Hause befragten ihn die Jünger noch einmal darüber. Er antwortete ihnen: Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet.“

Liebe Schwestern und Brüder,

ehrlich gesagt, hätte ich mir gewünscht, diese Stelle aus dem Markus-Evangelium, die Matthäus in ähnlicher Weise überliefert hat (vgl. Mt 19, 3-9), wäre nicht auf uns gekommen – warum? Weil damit scheinbar etwas von Jesus ausgesagt wird, das bis heute fundamentaler Bestandteil für die Haltung der katholischen Kirche in Bezug auf die Unauflöslichkeit der Ehe ist, und ich frage mich, ob er das damit gemeint hat. Nach katholisch-kirchlicher Auffassung kommt eine Ehe zwischen einem Mann und einer Frau (nur) zustande, wenn die vier Kernbereiche der Ehe erfüllt sind: Eheliche Treue, Unauflöslichkeit, Hinordnung auf das beiderseitige Wohl und auf Nachkommenschaft. Wenn also ein Mann und eine Frau sich dadurch verbunden fühlen / wissen, dass sie sich in ihrer Partnerschaft treu sein wollen, dass sie glauben, dass ihre Liebe bis zum Tode währt, dass sie sich gegenseitig glücklich machen wollen und dass sie Nachkommenschaft nicht grundsätzlich ausschließen, dann ist das nach katholischem Recht eine Ehe.

Dass eine Ehe überhaupt auch etwas mit Freundschaft, Attraktivität und Zärtlichkeit zu tun hat, hatte übrigens bis zum 18. Jahrhundert (in Deutschland – in anderen Ländern der Erde vielleicht teilweise bis heute) primär keine Bedeutung bei der Partnerwahl. Erst im 19. Jahrhundert vollzog sich ein gesellschaftlicher Wandel von der Vernunft- zur Liebesheirat, so wie wir sie heute kennen. Es gibt ja unzählbare Beschreibungen und Definitionen von „Liebe“, psychologisch betrachtet besteht die partnerschaftliche Liebe v.a. aus den drei Komponenten Vertrautheit, Leidenschaft und Bindung. Vertrautheit bedeutet Intimität und enge und offene Kommunikation, Leidenschaft beinhaltet sexuelle Begierde und Befriedigung, und Entscheidung zielt auf eine exklusive, persönliche und dauerhafte Bindung. Bei einer partnerschaftlichen Liebe müssen bzw. sollten diese drei Komponenten relativ gleich stark bei beiden Partnern vorhanden sein, das ist dann die Grundlage für eine glückliche Beziehung bzw. eine Ehe. Wenn es nun anhand des heutigen Evangeliums darum geht, wie eine Ehe scheitern kann, dann helfen m. E. die drei Komponenten auch bei dieser Analyse: Wie und seit wann gibt es ein Ungleichgewicht in Bezug auf Vertrautheit, Leidenschaft und Bindung? Wurde das besprochen? Wie und wie häufig? Gab es Lösungsansätze? Wie relevant solche und viele andere Fragen dazu sind, zeigen uns die Scheidungsstatistiken: Im Jahr 2020 wurde in Deutschland 38,5 % der Ehen geschieden, d.h. mehr als ein Drittel (2005 lag die Scheidungsrate bei 52 %!), und seit Jahrzehnten zeigen sich v.a. zwei Scheidungs-„Gipfel“, und zwar nach fünf und nach 25 Ehejahren. Diese können relativ gut erklärt werden: Psychologen gehen davon aus, dass Ehen nach wenigen Jahren geschieden werden, weil man sich wahrscheinlich doch nicht gut genug kennt bzw. versteht, und es vielleicht auch bei Rollenveränderungen z.B. durch Elternschaft zu zusätzlichen Problemen kommt. Nach etwa 25 Ehejahren entsteht bei den Paaren mit Kindern meistens die sogenannte „Leere-Nest-Situation“, d.h. die Kinder gehen oder sind aus dem Haus. Die Aufgabe des Ehepaares ist nun, konkret wieder zur sogenannten „Diade“ zu werden, also vornehmlich wieder als Paar zu leben und dementsprechend den Alltag zu gestalten – und damit glücklich zu werden / sein. Es führt zu weit, hier wichtige Aspekte auszuführen, die für den dauerhaften Bestand einer glücklichen Partnerschaft notwendig sind. – Was ist aber nun, wenn eine Ehe tatsächlich gescheitert ist, wenn es de facto keine Liebe mehr gibt? War das die Frage, die die Pharisäer Jesus im heutigen Evangelium gestellt haben? Nein, da ging es darum, ob ein Mann seine Frau aus der Ehe per Scheidungsurkunde entlassen darf. Die alttestamentliche Stelle, auf die sich die Auseinandersetzung bezieht, steht in Dtn 24, 1-4. Entscheidend ist dabei der Anlass für die Scheidung: wenn der Mann an seiner Frau eine „unehrbare Sache“, „etwas Anstößiges entdeckt“ (Vers 1). Zur der Zeit, als das Buch Deuteronomium geschrieben wurde (über einen längeren Zeitraum, wahrscheinlich 8.-5. Jh. v. Chr.), war damit wohl der Ehebruch gemeint. Doch zur Zeit Jesu hatten das rabbinische Autoritäten (v.a. Schammai und Hillel) sehr viel „liberaler“ (für den Mann) ausgelegt, und zwar so weit, dass z.B. schon ein angebranntes Essen oder wenn die Frau mit offenem Haar über die Straße ging, eine Scheidung rechtfertigten, wenn der Mann das wollte. Genau dagegen wehrt sich Jesus! Erstens gab es ohnehin (auch in dieser Angelegenheit) keine Gleichberechtigung von Mann und Frau, d.h. eine Frau konnte ihren Mann nicht aus der Ehe entlassen, zweitens galt sie, auch wenn sie in die Obhut und das Haus ihrer Herkunftsfamilie zurückkehrte, doch als entehrt, und drittens verurteilte Jesus die Willkür, mit der diese Gesetzesvorschrift – die nur entstanden sei, weil die israelitischen Männer es nicht durchhielten, nur eine Frau zu haben (vgl. „Hartherzigkeit“, Vers 5) – mittlerweile ausgelegt wurde. Daher entspricht sein Standpunkt und die Vehemenz, mit dem er ihn vertritt, dem, was uns Matthäus überliefert hat: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen“ (Mt 5, 37). – Und was ist nun mit (der) „Liebe“? Die Essenz der Botschaft und des Lebens Jesu ist doch, dass die Liebe die Bestimmung und der Auftrag der Menschen sind, weil Gott selbst die(se) Liebe ist (vgl. 1 Joh 4, 16b). Und die Erfüllung der Liebe ist die Treue – mit Sicherheit. Doch die wirkliche (d.h. v.a. seelische) Vereinigung zweier Menschen (auch im Sinne der ersten Lesung, Gen 21-24) kann ursprünglich und zutiefst nur durch personale Liebe geschehen. Erlischt diese Liebe (wodurch auch immer), ist diese Vereinigung (vgl. Vers 8) nicht mehr möglich und fruchtbar. Diese Beziehung trotzdem „äußerlich“ aufrecht zu erhalten, halte ich – sowohl von meiner persönlichen Einstellung als auch von meinem Glauben her – für absurd und lässt sich meines Erachtens aus den Aussagen Jesu nicht ableiten, obwohl es vordergründig so aussieht. Jesu Wort und Selbstverständnis: „ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10, 10b) glaube ich gerade auch auf die Menschen bezogen, die nach einer gescheiterten Partnerschaft auf der Suche nach Liebe sind.