Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 3. Fastensonntag im Jahreskreis 2022

Datum:
So. 20. März 2022
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum 3. Fastensonntag im Jahreskreis

Zur 1. Lesung (Ex 3, 1-8a.13-15)

Die heutige erste Lesung ist nach der Leseordnung nur äußerst selten vorgesehen (einmal in der Fastenzeit und alle drei Jahre am 3. Fastensonntag im Lesejahr C, also heute), obwohl sie eine derart elementare Bedeutung für den Glauben Israels hat. Es ist die Offenbarung im Alten Testament: Gott offenbart seinen Namen, d.h. seine Identität: „Ich bin der Ich-bin-(für euch) da“ (Vers 14)! Aber, wie hat sich das wohl abgespielt? So, wie es erzählt wird, natürlich nicht. Womöglich hat Mose ein unerklärliches Naturphänomen erlebt und dadurch seinen Glauben an seinen Gott verstärkt mit der erfahrenen, akuten Ungerechtigkeit und Not seines Volkes so in Verbindung gebracht, dass daraus ein klarer Auftrag und eine mutige, bahnbrechende Aktion wird, ein Vollzug dessen, was er als Gottes Wesen erkennt und umsetzen (helfen) soll und will: Unser Gott ist ein Gott der Freiheit! Durch die Erfolgsgeschichte des Exodus wird es zur feststehenden Formel: „Jahwe, der dich aus Ägypten herausgeführt hat“, was an zahlreichen Stellen des AT betont wird. Unser Gott steht also nicht auf der Seite der Mächtigen, sondern auf der Seite der Unterdrückten, der Wehrlosen, der Flüchtlinge (und kommt schließlich in Jesus von Nazareth selbst als Kind zur Welt). Ursache dafür ist die Wahrheit, dass Leben dauerhaft, schöpferisch und vielfältig nur geht, wenn alle Menschen eine Chance auf Freiheit und Glück haben!

Lesung aus dem Buch Exodus:

„In jenen Tagen weidete Mose die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Eines Tages trieb er das Vieh über die Steppe hinaus und kam zum Gottesberg Horeb. Dort erschien ihm der Engel des Herrn in einer Flamme, die aus einem Dornbusch emporschlug. Er schaute hin: Da brannte der Dornbusch und verbrannte doch nicht. Mose sagte: Ich will dorthin gehen und mir die außergewöhnliche Erscheinung ansehen. Warum verbrennt denn der Dornbusch nicht? Als der Herr sah, dass Mose näher kam, um sich das anzusehen, rief Gott ihm aus dem Dornbusch zu: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Der Herr sagte: Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. Dann fuhr er fort: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verhüllte Mose sein Gesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid. Ich bin herabgestiegen, um sie der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen. Da sagte Mose zu Gott: Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen und ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen darauf sagen? Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin der «Ich-bin-da». Und er fuhr fort: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der «Ich-bin-da» hat mich zu euch gesandt. Weiter sprach Gott zu Mose: So sag zu den Israeliten: Jahwe, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer und so wird man mich nennen in allen Generationen.“

Zur 2. Lesung (1 Kor 10, 1-6.10-12)

Den letzten Satz des heutigen Abschnitts aus dem ersten Korintherbrief fängt eine Volksweise ein: „Hochmut kommt vor dem Fall“. Ansonsten sind die (heutigen) Erklärungen Pauli meines Erachtens noch sehr von einem Gottesbild geprägt, auf das ich nach dem Evangelium eingehe.

Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Korínther:

„Ihr sollt wissen, Schwestern und Brüder, dass unsere Väter alle unter der Wolke waren, alle durch das Meer zogen und alle auf Mose getauft wurden in der Wolke und im Meer. Alle aßen auch die gleiche gottgeschenkte Speise und alle tranken den gleichen gottgeschenkten Trank; denn sie tranken aus dem Leben spendenden Felsen, der mit ihnen zog. Und dieser Fels war Christus. Gott aber hatte an den meisten von ihnen kein Gefallen; denn er ließ sie in der Wüste umkommen. Das aber geschah als warnendes Beispiel für uns: damit wir uns nicht von der Gier nach dem Bösen beherrschen lassen, wie jene sich von der Gier beherrschen ließen. Murrt auch nicht, wie einige von ihnen murrten; sie wurden vom Verderber umgebracht. Das aber geschah an ihnen, damit es uns als Beispiel dient; uns zur Warnung wurde es aufgeschrieben, uns, die das Ende der Zeiten erreicht hat. Wer also zu stehen meint, der gebe Acht, dass er nicht fällt.“

Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas (Lk 13, 1-9):

„In jener Zeit kamen einige Leute zu Jesus und berichteten ihm von den Galiläern, die Pilatus beim Opfern umbringen ließ, sodass sich ihr Blut mit dem ihrer Opfertiere vermischte. Da sagte er zu ihnen: Meint ihr, dass nur diese Galiläer Sünder waren, weil das mit ihnen geschehen ist, alle anderen Galiläer aber nicht? Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt. Oder jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms von Schiloach erschlagen wurden – meint ihr, dass nur sie Schuld auf sich geladen hatten, alle anderen Einwohner von Jerusalem aber nicht? Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt. Und er erzählte ihnen dieses Gleichnis: Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Weingärtner: Jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen? Der Weingärtner erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er doch noch Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen.“

Liebe Schwestern und Brüder,

„Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort“, haben Sie den Spruch auch in Ihrer Kindheit gehört? Ich schon und ich kann mich gut daran erinnern. Eine Volksweise, die ähnliches aussagt, ist: „Die Strafe folgt auf den Fuß“. Ich bin sicher, meine Mutter hat es gut gemeint, so etwas hin und wieder zu sagen, ich sollte dadurch mehr achtsam sein mit meinen „kleinen Sünden“ und lernen, gewissenhafter zu handeln. Meines Erachtens gibt es aber durch diese Sprüche ein fatales Problem, denn sie suggerieren, dass Gott unmittelbar in das Weltgeschehen eingreift – tut er das? Ich glaube, jedenfalls nicht so und auch nicht so, dass wir daraus eine Gesetzmäßigkeit entwickeln könnten. Was wäre die Welt nicht nur anders sondern auch einfacher und vorhersehbarer, wenn es das gäbe, aber so ist sie nicht. Dass wir Menschen trotzdem (oder deswegen) einen starken Wunsch danach haben, erklärt und untersucht v.a. die Sozialpsychologie. Sie behauptet, die Menschen haben – aus ihrer Sicht – (nur) zwei Grundbedürfnisse: Ordnung in unserem Kopf und Stabilität unserer Umwelt. Wir mögen keine unvorhersehbaren Ereignisse, die uns bedrohen und / oder aus der Bahn werfen. Wir wollen keine Angst haben vor dem, was alles passieren kann. Daher sind wir geneigt, uns gegen das Unglück anderer „unähnlich“ zu machen und es gerne auf persönliche Faktoren schieben, damit solche Widerfahrnisse uns nicht noch mehr Angst machen, wenn sie auch uns betreffen könn(t)en (was sie eigentlich tun!). Da gibt es vielerlei Beispiele, vielleicht haben Sie ja auch schon so etwas gehört oder gesagt: „Man geht ja auch nicht um diese Uhrzeit allein durch dieses Waldstück, da muss man sich nicht wundern, wenn man überfallen wird“ – und hat vermutlich ähnliches schon öfters selbst getan! Erinnern Sie sich an den furchtbaren Absturz der Germanwings-Maschine im März 2015, bei dem der suizidale Copilot das Flugzeug absichtlich in den Alpen zerschellen lässt und alle Menschen an Bord mit in den Tod reißt? Wäre das in Fernost passiert, hätten wir das weitaus weniger emotional zur Kenntnis genommen, aber weil fast jede und jeder von uns in diesem Flugzeug hätte sitzen können, hat das die meisten von uns so betroffen (gemacht), weil wir uns hier nicht wirklich „unähnlich“ machen konnten. Ich bin davon überzeugt, dass die Sozialpsychologie mit der Formulierung der beiden menschlichen Grundbedürfnisse recht hat, daher ist es nur logisch, dass unser Umgang mit Unglück, Schicksalsschlägen und unvorhersehbarer Not besonders auch Einfluss auf den religiösen Glauben hat. Im Alten Testament hat sich daher der sogenannte „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ entwickelt, das ist die Überzeugung (ursprünglich ist es eine Hoffnung!), dass es einem Menschen, der Gutes tut, auch in seinem eigenen Leben gut ergeht und umgekehrt, ein böser Mensch ein schlechtes Leben zu erwarten hat – durch die Belohnung bzw. Strafe Gottes (und das ist das Fatale daran, s.o.!). Aber dieser Tun-Ergehen-Zusammenhang „geht“ noch einen Schritt weiter, denn er behauptet, dass man am konkreten Alltag eines Menschen ablesen kann, ob er Gutes oder Böses getan hat, je nach dem, ob ihm Gutes bzw. Schlechtes widerfährt. Hier wird also von einer unmittelbar (d.h. irdisch) sich auswirkenden göttlichen Gerechtigkeit ausgegangen. Es ist wohl nicht zufällig, dass der erste Psalm genau das ins Wort bringt: „Wohl dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt, … alles, was er tut, wird ihm gut gelingen“ (Ps 1, 1a.3c). – Nein, so einfach ist es (Gott sei Dank) nicht, Krankheiten, Schicksalsschläge, Unglück und Not sind keineswegs Strafen Gottes auf vermeintlich begangenes Unrecht, ebenso wenig wie Freude, Sorglosigkeit, Wohlstand und Glück göttliche Belohnungen sind!

„Im Laufe der Zeit“ muss man berechtigterweise sagen, d.h. durch die vielfältigen (Glaubens-)Erfahrungen über Jahrhunderte hinweg kommt es, wahrscheinlich in der Verarbeitung des Babylonischen Exils (6. Jh. v. Chr.), im Alten Testament zur sogenannten „Krise d(ies)er Weisheit“, d.h. das Leid und die Not Unschuldiger (!) können nicht mehr auf individuelles Fehlverhalten zurückführen werden. In dieser Auseinandersetzung entsteht das Buch Hiob (5. Jh. v. Chr.), das einen kompletten Gegenentwurf zum Tun-Ergehen-Zusammenhang konstruiert: Hiob ist ein untadeliger und rechtschaffener Mann, der Gott fürchtet und das Böse meidet. Er hat sieben Söhne und drei Töchter, tausende Stück Kleinvieh, Kamele, Rinder und Esel, dazu zahlreiches Gesinde. Selbst wenn er weiß, dass er und seine Kinder nicht gesündigt haben, bringt er trotzdem Brandopfer dar, damit auf jeden Fall irgendeine Schuld gesühnt ist. Direkt am Anfang dieses Buches geht der Satan auf Gott zu und sagt: „Geschieht es ohne Grund, dass Hiob dich fürchtet? Bist du es nicht, der ihn, sein Haus und all das Seine beschützt? Streck nur deine Hand gegen ihn aus und rühr an all das, was sein ist; wahrhaftig, er wird dir ins Angesicht fluchen“ (Ijob 1, 10f). Gott lässt sich darauf ein, dass der Satan Hiob alles nehmen darf, außer sein eigenes Leben. Zuerst wird das Gesinde erschlagen, dann wird das Vieh geraubt, zuletzt sterben seine Kinder, als ein Sandsturm das Haus zum Einsturz bringt. „Nun stand Hiob auf, zerriss sein Gewand, schor sich das Haupt, fiel auf die Erde nieder und betete an. Dann sagte er: Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter, nackt kehre ich dahin zurück. Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn. Bei alldem sündigte Hiob nicht und äußerte nichts Ungehöriges gegen Gott“ (Ijob 1, 20-22). – Jesus von Nazareth leugnet an mehreren Stellen im NT (!) den Tun-Ergehen-Zusammenhang: Die Stelle heute, in Mt 5, 45 („Gott lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“, in der Geschichte des armen Lazarus (Lk 16, 19-31). Vor allem die Passion Jesu selbst, in der der Schuldlose leidet und gekreuzigt wird, ist der größte Widerspruch zum Tun-Ergehen-Zusammenhang!

Wenn Jesus im heutigen Evangelium (sogar zweimal) sagt: „Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt!“ (Verse 3 und 5), dann ist dies eben nicht als Strafe Gottes zu verstehen, der unsere Schuld durch Schicksalsschläge sühnt, sondern ein radikaler Ausdruck der Überzeugung Jesu, wie leer, wie „tot“ unser Leben ist, wenn wir es nicht für den Lebensauftrag nutzen, den wir haben: „Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es“ (1 Joh 3, 1b), „allen aber, die ihn [Jesus Christus] aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben“ (Joh 1, 12). Und das tatsächliche Leben als Kinder Gottes erkennt man an den Früchten (vgl. Verse 7 und 9), die wir hervorbringen: Alles, was andere zum Leben und Glück brauchen!