Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 32. Sonntag im Jahreskreis 2021

Datum:
So. 7. Nov. 2021
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum 32. Sonntag im Jahreskreis 2021

Zur 1. Lesung (1 Kön 17, 10-16)

Elíja, nach Mose der zweitwichtigste Prophet im Alten Testament, wirkt Anfang bis Mitte des 9. Jh. v. Chr. im Nordreich Israel. Der dortige König Ahab (871-852 v. Chr.) hat die phönizische Königstochter Etbaal von Sidon geheiratet, wodurch die Verehrung des Gottes Baal (auch Herrscher über Fruchtbarkeit und Regen) im Land verbreitet wird. Elíja kündigt eine große Dürrekatastrophe an, als Kampfansage und Strafe des Gottes Jahwes und als Beweis der Nichtigkeit Baals. Weil Ahab Elíja daraufhin töten lassen will, flieht er, wobei er auch nach Sarepta kommt, ein Ort an der Mittelmeerküste zwischen Sidon und Tyrus (im heutigen Libanon). Dort begegnet er einer verzweifelten Witwe, die – auf Grund der Dürre – nicht einmal mehr Wasser hat, das sie teilen kann. Sie ist dabei, Holz zu sammeln, um für sich und ihren Sohn ein letztes Mahl aus dem restlichen Mehl und Öl zu bereiten, um dann zu sterben. Durch die Kraft Gottes bewirkt Elíja genügend Essen für die beiden bis zum Ende der Dürre – warum? Weil sie trotz ihrer Armut und Verzweiflung noch bereit ist, den letzten Rest (Leben) mit einem Fremden zu teilen? Entsteht (auch) so neues Leben, wenn man in der tiefsten Verzweiflung trotzdem noch die Bedürfnisse und Schwäche des anderen beherzigt? Wenn man durch die eigene Not und scheinbare Ausweglosigkeit nie die Augen für andere verschließt und in Resignation und Selbstmitleid abstumpft, sondern sein Herz bis zuletzt offen lässt für Gemeinschaft und Zuversicht? Das Fanal dazu ist Jesus am Kreuz: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23, 34)!

Lesung aus dem ersten Buch der Könige:

In jenen Tagen machte sich der Prophet „Elíja auf und ging nach Sarepta. Als er an das Stadttor kam, traf er dort eine Witwe, die Holz auflas. Er bat sie: Bring mir in einem Gefäß ein wenig Wasser zum Trinken! Als sie wegging, um es zu holen, rief er ihr nach: Bring mir auch einen Bissen Brot mit! Doch sie sagte: So wahr der Herr, dein Gott, lebt: Ich habe nichts mehr vorrätig als eine Hand voll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug. Ich lese hier ein paar Stücke Holz auf und gehe dann heim, um für mich und meinen Sohn etwas zuzubereiten. Das wollen wir noch essen und dann sterben. Elíja entgegnete ihr: Fürchte dich nicht! Geh heim und tu, was du gesagt hast. Nur mache zuerst für mich ein kleines Gebäck und bring es zu mir heraus! Danach kannst du für dich und deinen Sohn etwas zubereiten; denn so spricht der Herr, der Gott Israels: Der Mehltopf wird nicht leer werden und der Ölkrug nicht versiegen bis zu dem Tag, an dem der Herr wieder Regen auf den Erdboden sendet. Sie ging und tat, was Elíja gesagt hatte. So hatte sie mit ihm und ihrem Sohn viele Tage zu essen. Der Mehltopf wurde nicht leer und der Ölkrug versiegte nicht, wie der Herr durch Elíja versprochen hatte.“

Zur 2. Lesung ((Hebr 9, 24-28)

Jesus „ist er am Ende der Zeiten ein einziges Mal erschienen, um durch sein Opfer die Sünde zu tilgen“ (Vers 26b) – das ist die Kernbotschaft des heutigen Abschnitts aus dem Hebräerbrief. Erinnern Sie sich bitte mal daran, wann und wie Sie mit jemandem, der Ihnen nahesteht, heftig gestritten haben. Da gab irgendwie ein Wort das andere und mit Sicherheit hat es – sonst wäre es kaum ein Streiten – dadurch auch Verletzungen gegeben. Wie kommt man jetzt wieder zu einander? Wie wird man sich jetzt wieder gut? Ich meine damit nicht vordergründige Entschuldigungen und Beteuerungen, sondern so, dass da tatsächlich im Denken und Herzen kein Groll, kein Nachtragen und keine „offenen Rechnungen“ mehr sind. Ich glaube, das geht nur durch ein hohes Maß an Liebe. Nur wenn mir der andere so existentiell viel bedeutet, dass ich auf jeden Fall die innige Gemeinschaft mit ihm fortsetzen will, werde ich bereit sein, von Herzen zu verzeihen, nicht Schuld und Fehler aufzuwiegen und abzugleichen, sondern einen wirklichen Schlussstrich zu ziehen, egal, wer was wann gesagt oder getan hat. Dafür muss eine/r den Anfang machen! Wahrscheinlich ist es die Person, die sich mehr / früher von der Liebe und Bedeutung der bisherigen Gemeinschaft leiten lässt. Sie streckt somit die Hand der Liebe, des Lass-uns-wieder-gut-Seins aus, damit der andere sie ergreifen kann. So verstehe ich, dass Jesus sich für unsere Sünden geopfert hat: Er ist durch die (Erb-)Schuld der Menschen ans Kreuz gekommen, aber er bleibt bis zuletzt seiner Liebe zu Gott und zu den Menschen treu, ebenso (!) wie Gott, der ja von je her in seinen Schöpfungs- und Heilsplan miteinbezog, dass das mit seinem Sohn passieren wird. Er hat die Welt und den Menschen geschaffen, um durch Jesus Christus zu zeigen, wie weit seine Liebe zu uns geht, dass sie das unschuldige Leiden und Sterben seines Sohnes immer schon vergeben hat. Durch das Opfer Jesu wird uns diese Liebe gezeigt, wird uns die Hand Gottes ausgestreckt, um sie zu ergreifen. Und wenn ich diese Liebe, diese Vergebung annehme, dann tilgt das meine Sünden nicht nur dadurch, dass Gott sie ohnehin schon vergeben hat (weil er die Vergebung ist), sondern auch, weil ich mich von ihnen abwende! Das hat Jesus – wie schon oft erwähnt – durch sein Gleichnis vom barmherzigen Vater verdeutlicht (vgl. Lk 15, 11-32). Lasse ich die liebevolle Umarmung Gottes zu, vollzieht sich damit auch die Abkehr von dem, was diese Umarmung wieder verweigert. Wenn ich mich lieben lasse, kann ich in dieser Liebe nur weiter leben, wenn ich mich auch selbst (immer wieder) für sie entscheide. Jesus ist somit die Brücke zu Gott, auf der wir zu ihm gelangen (vgl. Joh 14, 6), wenn wir auf ihr gehen.

Der letzte Satz der heutigen zweiten Lesung verweist darauf, dass Jesus Christus am Ende der Zeiten als endgültiger Weltenrichter wiederkommt (vgl. Mt 25, 31-46; Offb 20, 13; 21, 1ff).

Lesung aus dem Hebräerbrief:

Liebe Schwestern und Brüder! „Christus ist nicht in ein von Menschenhand errichtetes Heiligtum hineingegangen, in ein Abbild des wirklichen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt für uns vor Gottes Angesicht zu erscheinen; auch nicht, um sich selbst viele Male zu opfern, (denn er ist nicht) wie der Hohepriester, der jedes Jahr mit fremdem Blut in das Heiligtum hineingeht; sonst hätte er viele Male seit der Erschaffung der Welt leiden müssen. Jetzt aber ist er am Ende der Zeiten ein einziges Mal erschienen, um durch sein Opfer die Sünde zu tilgen. Und wie es dem Menschen bestimmt ist, ein einziges Mal zu sterben, worauf dann das Gericht folgt, so wurde auch Christus ein einziges Mal geopfert, um die Sünden vieler hinwegzunehmen; beim zweiten Mal wird er nicht wegen der Sünde erscheinen, sondern um die zu retten, die ihn erwarten.“

Aus dem heiligen Evangelium nach Markus (Mk 12, 38-44)

In jener Zeit „lehrte Jesus eine große Menschenmenge und sagte: Nehmt euch in Acht vor den Schriftgelehrten! Sie gehen gern in langen Gewändern umher, lieben es, wenn man sie auf den Straßen und Plätzen grüßt, und sie wollen in der Synagoge die vordersten Sitze und bei jedem Festmahl die Ehrenplätze haben. Sie bringen die Witwen um ihre Häuser und verrichten in ihrer Scheinheiligkeit lange Gebete. Aber umso härter wird das Urteil sein, das sie erwartet.

Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenübersaß, sah er zu, wie die Leute Geld in den Kasten warfen. Viele Reiche kamen und gaben viel. Da kam auch eine arme Witwe und warf zwei kleine Münzen hinein. Er rief seine Jünger zu sich und sagte: Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hergegeben; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles gegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.“

Liebe Schwestern und Brüder,

ich dachte immer, die beiden Abschnitte (Verse 38-40 und 41-44) aus dem heutigen Evangelium haben nicht unbedingt etwas miteinander zu tun (es gibt im Evangeliar die Wahlmöglichkeit, auch nur die Kurzfassung (Verse 41-44) vorzulesen) – von wegen! Das folgende hat sich tatsächlich in meiner ersten Zeit im Priesterseminar (direkt nach dem Abitur, ich war damals 19 Jahre alt) so abgespielt: Im Mainzer Priesterseminar ist es Brauch, dass es während des Semesters jeden Donnerstagabend eine öffentliche Messe gibt, zu der alle eingeladen sind, v.a. auch die (anderen) Studierenden. Bei diesem Gottesdienst gibt es natürlich auch eine Kollekte, damals gab es sogar einen „Sozialkassenwart“, der dann das gespendete Geld an verschiedene Hilfsprojekte in Mainz oder auch in aller Welt überwies, ich weiß nicht, ob es den heute noch gibt. Was damals für ziemlichen Wirbel und Debatten gesorgt hat, war die Wahrnehmung (anderer Studierenden), dass das Spendenkörbchen vor allem in den ersten Reihen, wo die meisten Priesterseminaristen saßen (vgl. Vers 39!), reihenweise einfach weitergegeben wurde. Uns Seminaristen, d.h. auch mir, war das gar nicht aufgefallen ist, dass eigentlich niemand von uns etwas in den Klingelbeutel warf. Ich glaube, das hat viele von uns damals sehr betroffen und nachdenklich gemacht. Also noch nicht einmal aus dem Überfluss heraus geben (vgl. Vers 44a), wie Jesus das bei den Reichen beschreibt, sondern gar nicht! Und wo? Im Priesterseminar! Krasser kann der Gegensatz zu der armen Witwe, die in (und trotz, oder wegen?) ihrer Armut „alles“ opfert, kaum sein. Ich befürchte, es führt zu weit (und wird zu lang), dem nachzugehen, warum wir nichts gespendet haben. Elementarer ist die Frage, warum die arme Witwe „ihren ganzen Lebensunterhalt“ (Vers 44c) hergibt, wörtlich übersetzt: „Sie hat ihr ganzes Leben gegeben“. Sie hat es doch selbst am dringendsten nötig, wie will sie dann den nächsten Tag bestreiten? Diese Frage hat sie sich wohl nicht gestellt, und wenn, war sie nicht wichtig, sondern etwas anderes offensichtlich viel entscheidender. Sie weiß, was Armut bedeutet, mehr noch: Sie hat ihren Mann und damit (auch) ihre soziale Sicherheit und Versorgung verloren. Sie ist nun auf sich gestellt und muss alleine klarkommen. Bestimmt hat sie dabei auch die Kälte und Ignoranz vieler Menschen erlebt, das war wahrscheinlich in der antiken Gesellschaft ohne soziale Sicherungssysteme noch rücksichtsloser, auf jeden Fall existentiell bedrohlicher als heute. Warum gibt sie trotzdem „alles“ her? Da wir keinen Hinweis im Text bekommen, kann ich darüber nur spekulieren, und ich finde es echt interessant, dass mir zunächst tatsächlich keine Erklärung einfiel – vielleicht deswegen, weil ich es nicht nachempfinden kann?! Ich habe beim Verfassen dieses Textes dann schon gedacht, wer so arm ist, weiß um bzw. fühlt und sieht (eher) die Armut anderer. Bei einer entsprechenden Internet-Recherche stieß ich dann auf eine mich berührende Schilderung einer Frau, die angibt, seit vier Jahren auf der Straße zu leben, und die genau das beschreibt: Diejenigen, die wenig haben, spenden mehr als die, die wohlhabend aussehen. Sie selbst würde jeden Monat 10,- € an SOS Kinderdörfer geben. Ärmere Menschen hält sie für hilfsbereiter und gastfreundlicher, weil sie dankbar seien für das, was sie haben und mit anderen Armen mitfühlen könnten. – Ich glaube, dass dieser Eintrag kein Fake ist! Und ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 2011 bestätigt die Angaben der Frau: Ärmere Haushalte spenden fast doppelt so viel Prozent ihres Einkommens wie reichere (auch wenn die Geldsumme der reicheren Spender natürlich höher ist!), wie US-amerikanischen Studien gezeigt hätten. Auch den möglichen Ursachen dafür wurde nachgegangen: Dass Ärmere durchschnittlich mehr für andere Bedürftige spenden als Reiche würde v.a. daran liegen, dass Arme mehr aufeinander angewiesen seien und die Nöte anderer besser wahrnehmen könnten. Das beweist (auch durch solche wissenschaftliche Studien), was ich vermutet habe und auch, was die Obdachlose beschreibt: Arme teilen miteinander (eher) das Wenige, das sie haben, weil sie wissen, wie der Hunger quält, weil sie erleben, wie sehr Ignoranz, Gefühlskälte und Ausgrenzung verletzen. Wer nur wenig besitzt, weiß, dass schon wenig dem anderen helfen kann! Öffnet also auch Armut unser Herz? Sicher nicht zwangsläufig, aber wohl doch wahrscheinlich. Es gibt gewiss viele Menschen, die so sehr an ihrer Armut und Einsamkeit leiden, dass sie dadurch verhärten und verbittern oder sogar zugrunde gehen. Armut und Not können den Menschen aber auch öffnen und reifen lassen. Arme hängen nicht am Haben und Besitzen, sie erleben, was wichtiger als aller äußere Besitz ist und worauf es jeden Tag ankommt: Mitgefühl, Teilen des Wenigen, zwei kleine Münzen, einen Bissen Brot, Gemeinschaft und Solidarität, sie wissen um das Not-wendige! Viele Arme haben erfahren, dass Geben seliger ist als Nehmen – weil es nicht nur dem Beschenkten hilft, sondern auch dem Schenkenden: Als Freude, gebraucht zu werden und helfen zu können.

Jesus war tief beeindruckt von dieser armen Witwe, die „ihr ganzes Leben gegeben hat“ (s.o.). Ich glaube, sie hat seinen eigenen Glauben vertieft und bestärkt, sein „Letztes“ zu geben, um anderen Gutes zu tun, auf letzte Absicherungen zu verzichten, um total auf Mitmenschlichkeit zu setzen – und auf Gott (vgl. die erste Lesung!). So wird mir der unmittelbare Zusammenhang des ersten und zweiten Abschnittes des heutigen Evangeliums verständlich und ich male mir aus, dass Jesus nach seiner Begegnung auf seinem weiteren Weg vielleicht öfters an diese arme Witwe gedacht hat, und an ihre Hingabe!

Was brauche ich, um meine Erfüllung (!) mehr in der Bedeutung zu erkennen, die ich für andere habe, weil sie mich brauchen?