Pfarrer Göttles Worte zum 4. Advent 2021
Das Wirken des Propheten Micha fällt in eine politisch (und sozial) sehr angespannte Zeit, etwa 750-700 v. Chr. (vgl. Mi 1, 1), 722 v. Chr. wird das Nordreich Israel von den Assyrern erobert. Neben ihm treten damals noch Amos, Hosea und v.a. Jesaja auf. Micha lebt im Südreich Juda und richtet sich gegen die dortige religiöse Unreinheit und soziale Ungerechtigkeit besonders der armen Bevölkerung, er beklagt den Luxus der Oberschicht und ungerechte Urteile der Richter (vgl. Mi 3, 1-4). Der Abschnitt, den wir heute aus dem Micha-Buch hören, ist wahrscheinlich (erst) aus nachexilischer Zeit (d.h. aus dem 6. Jh. v. Chr.) und verheißt einen messianischen Herrscher, der aus Bethlehem, der Geburtsstadt Davids (vgl. 1 Sam 16, 1.18f) hervorgehen soll. Sein Königtum zeichnet sich durch das aus, was die der Zuspruch Jesu nach seiner Auferstehung und damit das Fazit seines Wirkens und seiner Botschaft (nach dem Johannes-Evangelium) ist: „Der Friede sei mit euch“ (Joh 20, 19.21)!
Lesung aus dem Buch Micha:
So spricht der Herr: „Du, Betlehem-Efrata, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Sein Ursprung liegt in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen. Darum gibt der Herr sie preis, bis die Gebärende einen Sohn geboren hat. Dann wird der Rest seiner Brüder heimkehren zu den Söhnen Israels. Er wird auftreten und ihr Hirt sein in der Kraft des Herrn, im hohen Namen Jahwes, seines Gottes. Sie werden in Sicherheit leben; denn nun reicht seine Macht bis an die Grenzen der Erde. Und er wird der Friede sein.“
Nach dem heutigen Auszug aus dem Hebräerbrief ist das der Lebensauftrag Jesu und damit aller Menschen: Gottes Willen zu tun (vgl. 7)! Sich dem hinzugeben, bedeutet wahres Opfer vor Gott (mit allen Konsequenzen, die daraus resultieren), und eben nicht ein äußeres Opfer, was auch in den Psalmen abgelehnt wird (vgl. Verse 5f = Ps 40, 7).
Lesung aus dem Brief des Apostels Paulus an die Hebräer:
Liebe Schwestern und Brüder! „Bei seinem Eintritt in die Welt spricht Christus: Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir geschaffen; an Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen. Da sagte ich: Ja, ich komme – so steht es über mich in der Schriftrolle –, um deinen Willen, Gott, zu tun. Zunächst sagt er: Schlacht- und Speiseopfer, Brand- und Sündopfer forderst du nicht, du hast daran kein Gefallen, obgleich sie doch nach dem Gesetz dargebracht werden; dann aber hat er gesagt: Ja, ich komme, um deinen Willen zu tun. So hebt Christus das Erste auf, um das Zweite in Kraft zu setzen. Aufgrund dieses Willens sind wir durch die Opfergabe des Leibes Jesu Christi ein für alle Mal geheiligt.“
In jener „Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa. Sie ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabet. Als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.“
Liebe Schwestern und Brüder, ich vermute, dass das einiges, was wir gerade gehört haben, tatsächlich nur von Müttern nachempfunden werden kann, doch hat es eine, glaube ich, Bedeutung für uns alle. Darüber hinaus es ist auch noch mehr als ein normales Treffen von zwei schwangeren Frauen. Elisabet ist eine „Verwandte“ (Lk 1, 36) von Maria, vielleicht die Tante oder Cousine. Sie will Kinder und bekommt lange Zeit keines, erst im hohen Alter (vgl. Lk 1, 36). Kinderlosigkeit gilt damals als Schande und bei manchen auch als Strafe Gottes, da hat es sicher nicht „geholfen“, dass ihr Mann Zacharias auch noch Priester im Tempel ist (vgl. Lk 1, 5). Und Maria hat sich gewiss nicht vorgestellt, dass sie vor ihrer Hochzeit schwanger wird und dann auch noch nicht von ihrem Bräutigam Josef. Was beide Frauen also nicht nur über ihre Verwandt- und Schwangerschaft miteinander verbindet, ist das wahrscheinliche Getratsche und die dummen Bemerkungen ihrer Mitmenschen. Elisabet lebt in einem Dorf in den Bergen Judäas, und Maria nimmt sich dahin eine „Auszeit“, um sie zu besuchen. Wir dürfen davon ausgehen, dass die beiden Frauen schon immer ein gutes Verhältnis hatten, sodass Maria nicht nur daran denkt, Elisabet in den letzten Wochen vor der Niederkunft zu unterstützen, sondern bestimmt auch darauf hofft, in ihrer lebenserfahrenen Verwandten eine gute Beraterin und Gesprächspartnerin zu finden, fernab vom Dorftratsch in Nazaret. Ganz so einfach ist der Weg dorthin freilich nicht, denn En Kerem, wie der Ort Elisabets heißt, ist vier bis fünf Tage Fußmarsch von Nazareth entfernt (ca. 150 km). Sicher hat Maria für den Weg männliche Begleitung gehabt, aber das spielt in dieser Szene keine Rolle. Wir wissen nur, dass Maria dorthin „eilte“ (Vers 39) – sicher will sie nach dem umwerfenden Erlebnis mit dem Engel keine Zeit verlieren, um Elisabet alles davon zu erzählen. Kaum dort angekommen und bevor sie damit wirklich beginnen kann, zeigt Elisabets ungeborenes Kind eine derart heftige Reaktion, die ihr klar macht: Dieses Kind Mariens muss etwas ganz Besonderes sein. Vielleicht war es das erste Mal, dass Elisabet ihr Kind so lebendig gespürt hat, auf jeden Fall ist sie so davon be-geistert, dass sie überzeugt ist: Dieses Kind ist etwas ganz Außergewöhnliches, etwas Göttliches! Und sie sagt es nicht nur, was ja gereicht hätte, denn Maria steht ja wohl direkt vor ihr, sondern sie ruft es laut heraus (vgl. Vers 42). Auf diese Ergriffenheit wird Maria dann antworten: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott meinen Retter …“ (Lk 1, 46-55), das sogenannte Magnifikat. – Ob beide Frauen verstanden haben, was da vor sich geht? Ich glaube nicht, denn wenn es um Gott geht, kann es nicht um (rationales) Verstehen gehen, sondern um Fühlen, um Wahrnehmen, um Deuten, was sich womöglich aus einer göttlichen Sphäre in unserer irdischen und seelischen zeigen will. Das nennt man dann wohl Glauben im Sinne von Vertrauen und Hinhorchen und Sich-darauf-Einlassen, was man im Herzen, in der Seele als wahr verspürt, d.h. Heil (für alle Menschen) bedeutet! Wenn Menschen das in ihrem Herzen / ihrer Seele spüren, dass es um eine (göttliche) Wahrheit geht, dann ist der Auftrag gleich mitgegeben: Bleibe dem treu und schaue, welche Wege und Herausforderungen sich dadurch ergeben (sollen)! Genau das tun Elisabet und Maria: Sie vertrauen ihrem Herzen, und überwinden damit alle Widrigkeiten und Zweifel. Die Welt wäre wohl unfassbar viel besser, wenn wir Menschen das öfters tun würden, oder? Wenn wir mehr auf das Lauschen (und das dann leben), was unser Herz uns sagt, was Gott uns in unserem Herzen sagen will. Nehmen wir die Schilderungen des Evangeliums ernst, dann kommt Gott demnach vor allem so in diese Welt, in einzigartiger Weise durch Maria, aber auch ganz unvorhergesehen und überwältigend durch Elisabet, d.h. durch unser menschliches Ja – zu Gott, und seinem Auftrag!
Als ich im April 2012 nach Israel gefahren bin, sagte ein Mitbruder, als wir in Bethlehem waren: „Unser Auftrag ist, unsere Herzen zu Jesu Krippe werden zu lassen!“ Das ist Weihnachten, und eben nicht nur an Weihnachten!