Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 7. Sonntag der Osterzeit

Datum:
So. 16. Mai 2021
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum 7. Sonntag der Osterzeit

Zur 1. Lesung (Apg 1, 15-17.20a.c-26)

Nachdem Judas Iskariot Jesus verraten hatte (vgl. Mk 14, 10f), und auf Grund seiner Verzweiflung, dass Jesus zum Tode verurteilt wurde, sich das Leben nahm (vgl. Mt 27, 3-5), zählten die Apostel nur noch 11 Mitglieder. Im heutigen Abschnitt aus der Apostelgeschichte hören wir, dass Matthias als (neuer) Zwölfter in den Apostelkreis hinzugewählt wird.

Lesung aus der Apostelgeschichte:

 „In diesen Tagen erhob sich Petrus im Kreis der Brüder – etwa hundertzwanzig waren zusammengekommen – und sagte: Brüder! Es musste sich das Schriftwort erfüllen, das der Heilige Geist durch den Mund Davids im voraus über Judas gesprochen hat. Judas wurde zum Anführer derer, die Jesus gefangen nahmen. Er wurde zu uns gezählt und hatte Anteil am gleichen Dienst. Es steht im Buch der Psalmen: Sein Amt soll ein anderer erhalten! Einer von den Männern, die die ganze Zeit mit uns zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging, angefangen von der Taufe durch Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns ging und (in den Himmel) aufgenommen wurde, - einer von diesen muss nun zusammen mit uns Zeuge seiner Auferstehung sein. Und sie stellten zwei Männer auf: Josef, genannt Barsabbas, mit dem Beinamen Justus, und Matthias. Dann beteten sie: Herr, du kennst die Herzen aller; zeige, wen von diesen beiden du erwählt hast, diesen Dienst und dieses Apostelamt zu übernehmen. Denn Judas hat es verlassen und ist an den Ort gegangen, der ihm bestimmt war. Dann gaben sie ihnen Lose; das Los fiel auf Matthias und er wurde den elf Aposteln zugerechnet.“

Zur 2. Lesung (1 Joh 4, 11-16)

Ebenso wie in der zweiten Lesung vom letzten Sonntag wird uns die eigentliche Identität Gottes verkündet, die schon im Alten Testament grundgelegt ist (vgl. Ex 3, 14: „Ich bin der „Ich-bin-[für-euch-]da“) – als nachhaltige und eindringliche Vorbereitung auf Pfingsten: „Gott ist die Liebe“ (Vers 16)!

Lesung aus dem 1. Johannesbrief:

„Liebe Schwestern und Brüder, wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben. Niemand hat Gott je geschaut; wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns und seine Liebe ist in uns vollendet. Daran erkennen wir, dass wir in ihm bleiben und er in uns bleibt: Er hat uns von seinem Geist gegeben. Wir haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als den Retter der Welt. Wer bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott und er bleibt in Gott. Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.“

Zum Evangelium (Joh 17, 6a.11b-19)

Der heutige Abschnitt aus dem Johannes-Evangelium gehört zum Schluss der sogenannten Abschiedsreden Jesu (vgl. Joh 13, 31 – 17, 26) – wie passend auch das (vgl. 2. Lesung) als Verkündigung und Vorbereitung auf Pfingsten!

Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes:

In jener Zeit erhob Jesus seine Augen zum Himmel und betete:

„Vater, ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir. Solange ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast. Und ich habe sie behütet und keiner von ihnen ging verloren, außer dem Sohn des Verderbens, damit sich die Schrift erfüllt. Aber jetzt gehe ich zu dir. Doch dies rede ich noch in der Welt, damit sie meine Freude in Fülle in sich haben. Ich habe ihnen dein Wort gegeben und die Welt hat sie gehasst, weil sie nicht von der Welt sind, wie auch ich nicht von der Welt bin. Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst. Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. Und ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind.“

Liebe Schwestern und Brüder – was ist Wahrheit?

Ein Freund von mir hat das mal spontan in einer Kneipe so definiert: „Wahrheit ist das Gewissen + das Wort Gottes!“ Wie auch immer – mit Sicherheit ist das eine sehr schwer zu beantwortende Frage. Und für mich hat diese Frage, dieser Satz, noch eine ganz persönliche Bedeutung in meiner Geschichte: Wie Sie vielleicht wissen, bin ich mit 19, direkt nach dem Abitur, zum ersten Mal ins Priesterseminar gegangen. Und dieser Satz, diese Frage „Was ist Wahrheit“ war damals von allergrößter Wichtigkeit für mich. Es ist die Frage, die – nach dem Johannes-Evangelium – Pilatus beim Verhör Jesus stellt (vgl. Joh 18, 38) – und sie bleibt – scheinbar – unbeantwortet. Auch dazu hat jemand mal gesagt: Wer die Wahrheit hören will, sollte bereit sein, sie zu ertragen!

Für mich war diese Frage nach Wahrheit aber so wichtig, dass ich vor meinem Einzug ins Priesterseminar ein Fensterbild aus Granulat gemacht habe –  einige von Ihnen kennen das vielleicht noch: das sind so bunte Körner, die man dann in den Backofen schiebt und die dann zu einem Bild zusammenschmelzen. Und was war auf meinem Bild zu sehen? In der Mitte ein Kreuz, ein blauer Rand darum und unten drei Wörter in Latein: „Quid est veritas“ = „Was ist Wahrheit“?

Im Sommer hatte ich Abitur gemacht und im Herbst bin ich ins Priesterseminar eingezogen, viel hatte ich damals nicht dabei, aber das erste, was ich in meinem Zimmer aufgehängt habe, war dieses Bild am Fenster: Was ist Wahrheit? Das war so wichtig für mich, dass mich das auf jeden Fall begleiten sollte, eigentlich noch mehr als begleiten: Wenn man sich das so vorstellt, dass im oberen Fenster ein solches Bild hängt, dann hat das, glaube ich, auch was damit zu tun, so in die Welt zu schauen, mit dieser Brille. – Ich habe dann vor mich hinstudiert und habe aber mit der Zeit gemerkt, dass mir das immer schwerer fällt. Und heute kann ich auch sagen, warum: Es ging dabei nicht um Prüfungen oder Lernen – ich wollte Priester werden, aber ich hatte mir keine Gedanken gemacht, was das konkret heißt, also nicht, was man als Priester alles zu tun hat, sondern: Was ich an Stärken und Schwächen dafür mitbringe. Es ist nämlich ein himmelweiter Unterschied, ob man sich eine Frage ans Fenster hängt, oder ob man wirklich nach einer Antwort sucht, wie die eigene Wahrheit aussieht. Und das habe ich damals nicht getan. Als das dann so nicht weiterging im Seminar, habe ich wieder meine Sachen gepackt, und bin mit meiner Frage, mit meinem Bild unterm Arm: „Was ist Wahrheit“?, wieder ausgezogen. Aber was dann kam, hat mir wirklich dabei geholfen, eine Antwort zu finden: Ich habe dann mit der Ausbildung in der Krankenpflege und in der Telefonseelsorge angefangen, und da habe ich etwas kennengelernt, was ich so noch nicht kannte: Wenn ich Menschen nahe sein will, bin ich auch mir damit nahe, wenn ich Menschen helfen will, helfe ich dabei auch mir, d.h. ich habe angefangen, genauer hinzuschauen: Was sind denn meine Stärken und Schwächen, was geht mir leichter von der Hand und was fällt mir immer wieder schwer und warum ist das vielleicht so? Was ist meine Wahrheit? – Und je mehr ich mich mit anderen Menschen beschäftigt habe, mit ihren Sorgen und Nöten, mit ihrer Geschichte und ihren Bedürfnissen, desto mehr bin ich auch bei mir „gelandet“, bei meinen Sorgen und Nöten, bei meiner Geschichte und meinen Bedürfnissen. Und da ist mir etwas ganz wichtiges aufgefallen, und für mich war dieser Gedanke damals komplett neu: Das, was mir im Leben schwer fällt, was immer wieder schwierig war und ist, ist genauso wichtig wie das, wofür ich dankbar sein kann, was schön ist und Freude macht. Die „Wahrheit“ ist wohl die: Um zu verstehen (und zu helfen!), wie Leben gelingt, brauchen wir beides: Die guten und die schlechten Erfahrungen, die Freuden und die Enttäuschungen, die Stärken und die Schwächen! Ich glaube, das meint Jesus mit seinem heutigen: „Heilige sie in der Wahrheit“ (Vers 17a). Das ist unser Auftrag: Durch unsere Erfahrungen und der Botschaft Jesu uns und Menschen helfen, damit wir „das Leben haben, und es in Fülle haben“ (Joh 10, 10b).

Mein Bild „Was ist Wahrheit“ habe ich schon lange nicht mehr, irgendwann während der Krankenpflege-Ausbildung habe ich es weggeworfen (daran kann ich mich noch genau erinnern!). Als ich dann viele Jahre später wieder ins Priesterseminar gegangen bin, hatte ich dann etwas anderes im Gepäck, was man allerdings nicht aufhängen kann, aber was ich immer bei mir habe: Meinen Glauben, dass Gott mir durch Jesus auch durch meine Schwächen einen Weg zum Leben zeigen will – und die Erkenntnis, dass sich aus der Frage „Was ist Wahrheit“ vielleicht ein Bild machen lässt, aber nur die Antworten ein Leben vertiefen – und damit kann man dann auch anderen helfen!