Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum 7. Sonntag im Jahreskreis 2022

Datum:
So. 20. Feb. 2022
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum 7. Sonntag im Jahreskreis

Zur 1. Lesung (1 Sam 26, 2.7-9.12-13.22-23)

David (lebt um 1000 v. Chr.), der (spätere) zweite König von ganz Israel, ist der jüngste Sohn von Isai, der aus Bethlehem stammt (vgl. Rut 4, 17; 1 Sam 16, 1), und Schafhirte (vgl. 1 Sam 16, 19). Schon im Knabenalter wird er vom Prophet Sámuel zum künftigen König gesalbt (vgl. 1 Sam 16, 13). Er ritt zunächst in den Dienst von König Saul, weil der von bösen Geistern gequält wird (vgl. 1 Sam 16, 14) und sich vom Zitherspiel Davids Linderung erhofft, die auch eintritt. Saul findet Gefallen an David und dieser wird Kämpfer in seiner Armee (vgl. 1 Sam 16, 21-23). Er tötet im Kampf gegen die Philister Goliath (vgl. 1 Sam 17, 50) und wird ein vom Volk umjubelter Kriegsheld (vgl. u. a. 1 Sam 18, 7.30), was den Neid Sauls entfacht und er ihn töten will (vgl. 1 Sam 18, 11; 19, 10) und ihm fortan nach dem Leben trachtet. David hat sich mit Sauls Sohn Jonathan angefreundet (vgl. 1 Sam 18, 1f), der ihn mehrfach vor den Mordplänen seines Vaters warnt, ebenso Davids Frau und Tochter Sauls, Michal (vgl. 1 Sam 18, 27). So kommt es zur Flucht Davids vor Saul (vgl. 1 Sam 19, 12), von einer besonderen Begebenheit währenddessen hören wir in der folgenden Lesung: Obwohl David zum zweiten Mal (vgl. 1 Sam 24, 7) die Möglichkeit hat, Saul im Schlaf zu töten, tut er es aus Respekt vor dem „Gesalbten des Herrn“ (1 Sam 26, 23) nicht.

Lesung aus dem Buch ersten Buch Sámuel:

In jenen Tagen „machte sich Saul mit dreitausend Mann, ausgesuchten Kriegern aus Israel, auf den Weg und zog in die Wüste von Sif hinab, um dort nach David zu suchen. David und Abischai kamen in der Nacht zu den Leuten (Sauls) und fanden Saul mitten im Lager schlafend; sein Speer steckte neben seinem Kopf in der Erde und rings um ihn schliefen Abner und seine Leute. Da sagte Abischai zu David: Heute hat Gott deinen Feind in deine Hand gegeben. Jetzt werde ich ihn mit einem einzigen Speerstoß auf den Boden spießen, einen zweiten brauche ich nicht dafür. David aber erwiderte Abischai: Bring ihn nicht um! Denn wer hat je seine Hand gegen den Gesalbten des Herrn erhoben und ist ungestraft geblieben? David nahm den Speer und den Wasserkrug, die neben Sauls Kopf waren, und sie gingen weg. Niemand sah und niemand bemerkte etwas, und keiner wachte auf; alle schliefen, denn der Herr hatte sie in einen tiefen Schlaf fallen lassen. David ging auf die andere Seite (des Tals) hinüber und stellte sich in größerer Entfernung auf den Gipfel des Berges, sodass ein weiter Zwischenraum zwischen ihnen war. David sagte: Seht her, hier ist der Speer des Königs. Einer von den jungen Männern soll herüberkommen und ihn holen. Der Herr wird jedem seine Gerechtigkeit und Treue vergelten. Obwohl dich der Herr heute in meine Hand gegeben hatte, wollte ich meine Hand nicht an den Gesalbten des Herrn legen.“

Zur 2. Lesung (1 Kor 15, 45-49)

Jesus als „neuen Adam“ zu bezeichnen, ist meines Wissens eine (großartige) Formulierung und Perspektive, die nur bei Paulus vorkommt (vgl. Röm 5, 14; 1 Kor 15, 22.45): Der „Erste Mensch“ (vgl. Vers 45), d.h. die Menschen, wie sie von Natur aus beschaffen sind, tragen die sogenannte Erbsünde in sich, das ist der Wunsch in jedem Menschen, wie Gott sein zu wollen, das heißt konkret, über das Leben und über Gut und Böse zu bestimmen (vgl. Gen 3), was in der seelischen / spirituellen Konsequenz zu einer Distanzierung zu Gott(es Geist) führt (= „Vertreibung aus dem Paradies“, vgl. Gen 3, 23f). Jesus Christus ist der Prototyp des/r Menschen, wie Gott uns eigentlich gedacht und gewünscht hat: Ausschließlich auf Gottes Geist zu hören (vgl. u.a. Mt 16, 23b) und seinen Willen zu tun (vgl. u.a. Mt 7, 21; Joh 1, 12; 7, 17; 1 Joh 2, 17).

Lesung aus dem ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther:

Liebe Schwestern und Brüder! „So steht es in der Schrift: Adam, der Erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der Letzte Adam wurde lebendig machender Geist. Aber zuerst kommt nicht das Überirdische; zuerst kommt das Irdische, dann das Überirdische. Der Erste Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der Zweite Mensch stammt vom Himmel. Wie der von der Erde irdisch war, so sind es auch seine Nachfahren. Und wie der vom Himmel himmlisch ist, so sind es auch seine Nachfahren. Wie wir nach dem Bild des Irdischen gestaltet wurden, so werden wir auch nach dem Bild des Himmlischen gestaltet werden.“

Aus dem heiligen Evangelium nach Lukas (Lk 6, 27-38):

In jener Zeitsprach Jesus zu seinen Jüngern: „Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen. Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln. Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin, und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd. Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand etwas wegnimmt, verlang es nicht zurück. Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden. Und wenn ihr nur denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder. Und wenn ihr nur denen etwas leiht, von denen ihr es zurückzubekommen hofft, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder leihen Sündern in der Hoffnung, alles zurückzubekommen. Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist! Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden. Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden. Gebt, dann wird auch euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man euch beschenken; denn nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird auch euch zugeteilt werden.“

Liebe Schwestern und Brüder,

das, was wir gerade gehört habt, gehört mit Sicherheit zu den radikalsten und herausforderndsten Aussagen Jesu, das Gebot der Feindesliebe (in Mt 5, 38-48 ist es fast identisch überliefert). Auch wenn es uns wahrscheinlich übertrieben, unrealistisch und überfordernd erscheint, so steht es doch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Haupanliegen und dem Zentralauftrag seines Lebens und Wirkens: dem Frieden! Alles, was Jesus getan und gesagt hat, dient diesem Ziel, das beginnt schon bei der Verkündigung seiner Geburt (d.h. bei dem, was sich bei und in den Menschen „guten Willens“ ereignet hat, die seine Geburt miterlebt haben, vgl. Lk 2, 14), ist der Zweck seiner Heilungen und Wunder, und mündet schließlich in dem Erleben seiner Auferstehung, v.a. wie das Johannes-Evangelium sie beschreibt (vgl. Joh 20, 19.21. Spannend und wichtig ist der direkte Bezug zur Sündenvergebung in Joh 20, 23!). An vielen Stellen in den Evangelien geht Jesus aus- und nachdrücklich auf dieses ihm so existentielle Thema der Vergebung ein, u.a. in der Begegnung mit der Sünderin („Deshalb sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie mir so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe“ (Lk 7, 47), bei seiner Antwort auf die Frage Petri, wie oft man seinem Nächsten vergeben solle (vgl. Mt 18, 21-35), beim Zusatz zum Vaterunser („Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wir euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben“, Mt 6, 14f). Im Prinzip ist Jesus selbst die inkarnierte Vergebung (Gottes)! Eine Schülerin von mir formulierte das in ihrer mündlichen Abiturprüfung 2012 so: „Jesus ist gekommen, um die Vergebung zu zeigen“. Und wir feiern das in jeder Eucharistiefeier als Höhepunkt und Schluss der Konsekration: „… das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26, 28). „Vergebung ist der Schlüssel zur Wende“, wie ein Freund von mir das einmal so treffend und umfassend erklärte, und das war und ist der Auftrag Jesu (an sich und uns): Alles zu tun, um es zum Guten zu wenden! Der Gott Jesu Christi ist der ewige „Neuanfang“ – im Bezug auf uns Menschen – durch Vergebung, wodurch allein Neubeginn / „besser“ Weitermachen / Sich-zum-Guten-Verändern im menschlichen Leben möglich wird (übrigens auch in Bezug auf sich selbst, d.h. wenn ich mir selbst etwas vergebe, kann ich es dadurch auch hinter mir lassen). –

Aber was brauche ich nun, um jemandem, der mich verletzt hat, zu vergeben? Ich glaube, dass dabei drei grundlegende Perspektiven helfen, und zwar die Beziehung zu mir selbst, zum Täter, und zu Gott:

 

  1. Meine Beziehung zu mir selbst: Es geht hier – wie der Evangeliumstext von heute („Feindesliebe“) deutlich macht – nicht um alltägliche Streitigkeiten und Auseinandersetzungen, die wir alle mehr oder weniger und immer wieder erleben (oder verursachen), die uns zwar sicherlich auch prägen, aber nicht einen bleibenden Schaden oder Beeinträchtigungen in unserer Entwicklung, unserer Eigen- und Weltperspektive verursachen. Es geht also um die Erfahrungen, die so gravierend für mich waren bzw. sind, dass es eben so (und ebenso) schwerfällt, dem Täter zu vergeben.

1.1. Daher ist es zunächst wichtig, mir selbst (gerne / wichtig auch im Gespräch mit Vertrauten) darüber klar zu werden, nicht nur, welche (konkreten) Situationen mir dazu einfallen, sondern im Anschluss daran auch zu verstehen, welche konkreten Auswirkungen das (auf meinen weiteren Lebensverlauf, auf meine Einstellungen, Überzeugungen etc.) hat(te): Wie habe ich mich dadurch und damit entwickelt? D.h. konkret:

1.2. Was wurde dadurch in / an mir beeinträchtigt / in meiner Entfaltung / Selbstbild behindert?

1.3. Aber auch (!): Welche Stärken / welches Bewältigungsinventar habe ich dadurch entwickelt?

Je mehr ich damit die Verletzung in meine Lebensgeschichte integriere, desto weniger Energie verliere ich durch die latente Vorstellung, wie ich mich wohl ohne das entwickelt hätte.

 

  1. Meine Beziehung zum Täter: Das Ziel der Botschaft Jesu und seiner Inkarnation ist die persönliche Freiheit des Menschen, die zur Liebe befähigt. Deswegen ist ihm ja auch das radikale Gebot der Feindesliebe so wichtig, damit sich auch in diesem Extremzustand der massiven Verletztheit eine mögliche Gewaltspirale (auch der Rache) dauerhaft eben nicht weiterdreht, sondern das Täter-Opfer-Schema durchbrochen wird! Dies kann natürlich – und das wäre best case – auch vom Täter ausgehen, z.B. indem er um Vergebung bittet und / oder sich um einen Schadensausgleich bemüht. Aber weil genau das wahrscheinlich selten passiert und das Opfer auch dadurch nicht vom Täter abhängig bleiben soll (darauf zu warten), ist Vergebung so existentiell. Es geht darum, mit persönlichen Erlebnissen „in Frieden“ zu kommen, die ungewollt, beeinträchtigend und schmerzlich waren / sind. In Bezug auf den Täter können m. E. dabei drei Aspekte helfen:

2.1. Ob mich der Täter gekannt hat oder nicht, ich habe etwas abbekommen, was mir nicht gehört, sondern Folge seines Lebens, seiner Einstellung / Entscheidung und seiner Grenzüberschreitung ist! Es gilt also, eine bewusste innere Distanzierung zum Täter herzustellen, der durch sein Fehlverhalten in mein Leben eingedrungen ist. Jemand hat einmal gesagt, Opfer-Täter-Bindungen seien ebenso stark wie Liebesbeziehungen – dies gilt es zu durchbrechen, indem ich das Unrecht dem Verursacher (bewusst / neu) zuschreibe und mich dadurch innerlich von ihm distanziere. V.a. zwei Denkweisen können das verhindern: Solange ich hasse und solange ich „meine Wunden lecke“ (d.h. mich selbst bemitleide, dass mir das passiert ist) bin ich weiterhin an den Täter und sein Unrecht gebunden!

2.2. Ebenso kann es für meine Vergebung hilfreich sein, auch die Not des Täters zu sehen (auch wenn das womöglich nur phantasiert ist): Was mag er erlebt haben, welche Verletzungen muss (!) er erfahren haben, die eine solche Tat verursachten. Dabei geht es nicht um Mitleid und Anteilnahme, sondern den anderen auch als (wahrscheinliches) Opfer wahrzunehmen und auch so seine „Allmacht“ über mich zu relativieren.  

2.3. Diese beiden genannten Perspektiven können wesentlich dazu beitragen, dem Täter seine Schwäche zurückgeben! Da dies eigentlich nur imaginär passieren kann, ist die Frage, ob es dafür ein konkretes Ritual geben kann / muss (z.B. ein Brief an den Täter, den ich mit z.B. Steinen in eine Kiste lege und im Fluss versenke, oder verbrenne, o.ä.).

 

  1. Meine Beziehung zu Gott: Gott greift nicht (für uns nachvollziehbar) ein, um Unrecht und Leid in dieser Welt zu verhindern, was ja gerade auch im Leiden und Tod Jesu deutlich wird. Er ist lebendiger Geist, der Leben und Schönheit und Frieden schafft, nicht nur, damit seine Schöpfung zur Entfaltung kommt, sondern seine Menschen auf der Suche nach ihm sind, um so das Paradies auf Erden dadurch wiederzufinden, dass wir ihm ganz vertrauen und seinen Willen erfüllen. Das wird auch in Jesu Anspruch / Gebot der Feindesliebe deutlich: Wir sollen als Kinder Gottes leben, und da er der Vergebende ist, sollen auch wir einander vergeben – bis hin zur Feindesliebe. Mir sind wiederum drei Perspektiven eingefallen, die helfen können, schwere Verletzungen zu vergeben:

3.1. Wenn der persönliche Gedanke an Rache / Vergeltung nicht aufzulösen ist, kann ich die Vergeltung an Gott abgeben, vgl. Röm 12, 17-21: „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem! Seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht! Soweit es euch möglich ist, haltet mit allen Menschen Frieden! Übt nicht selbst Vergeltung, Geliebte, sondern lasst Raum für das Zorngericht Gottes; denn es steht geschrieben: Mein ist die Vergeltung, ich werde vergelten, spricht der Herr. Vielmehr: Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen, wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken; tust du das, dann sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt. Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!“

3.2. Es kann mir auch helfen, dass ich mich bewusst nicht (mehr) auf mein erfahrenes Unrecht fokussiere, sondern es auch dadurch relativiere, dass ich erstens dafür mehr sensibel werden möchte, welches Unrecht / Verletzungen ich anderen zufüge, und mich zweitens in meinem Trauma nicht allein / isoliert wahrnehme, sondern die vielen anderen Menschen, die ähnliches erfahren haben, mitdenke.

3.3. Der Glaube, dass Gott immer schon wusste, dass (mir) das passiert, heißt gerade nicht Rechtfertigung oder Entschuldigung oder Prädestination, sondern kann mich noch mehr auf die Suche führen, welche Möglichkeiten ich habe, konstruktiv mit dem erfahrenen Defizit umzugehen!

 

  1. Und noch drei weitere Facetten:

4.1. Vergebung braucht ihre Zeit, die Seele muss nachkommen! Außerdem ist jeglicher Fremd- oder Gruppendruck bei Vergebung kontraproduktiv!

4.2. Es gibt auch Verletzungen, mit denen man gar nicht umgehen kann (z.B. Gräuel, Kriegserfahrungen, u.a.m.).

4.3. Brauche ich ein (positives!) Symbol für die Stärken, die ich durch die Verletzung entwickelt habe bzw. den „Frieden“, den ich damit geschlossen habe, indem ich vergebe?