Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Göttles Wort zum Christkönigssonntag 2021

Datum:
So. 21. Nov. 2021
Von:
Pfarrer Rudolf Göttle

Pfarrer Göttles Worte zum Christkönigssonntag 2021

Zur 1. Lesung (Dan 7, 2a.13b-14)

Die erste Lesung des heutigen Sonntags ist ebenso wie am letzten Sonntag aus dem Propheten Dániel. Dieser Prophet hat auch deswegen eine wichtige Bedeutung für das Christentum und das Neue Testament, weil er der erste Autor des Alten Testaments ist, der ausdrücklich von der Auferstehung der Toten spricht (vgl. Dan 12, 2-3). Im folgenden Auszug hören wir aus einer seiner Visionen, und zwar vom „Menschensohn“ (siehe dafür auch die Ausführungen vom letzten Sonntag), die sich nach christlichen Überzeugung in Jesus Christus bewahrheitet hat: „Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen. Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft. Sein Reich geht niemals unter“ (Vers 14)!

Lesung aus dem Buch Dániel:

„Ich, Dániel, hatte während der Nacht eine Vision: Da kam mit den Wolken des Himmels einer wie ein Menschensohn. Er gelangte bis zu dem Hochbetagten und wurde vor ihn geführt. Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen. Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft. Sein Reich geht niemals unter.“

Lesung aus der Offenbarung des Johannes (Offb 1, 5b-8):

„Jesus Christus ist der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten, der Herrscher über die Könige der Erde. Er liebt uns und hat uns von unseren Sünden erlöst durch sein Blut; er hat uns zu Königen gemacht und zu Priestern vor Gott, seinem Vater. Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit. Amen. Siehe, er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird ihn sehen, auch alle, die ihn durchbohrt haben; und alle Völker der Erde werden seinetwegen jammern und klagen. Ja, amen. Ich bin das Alpha und das Omega, spricht Gott, der Herr, der ist und der war und der kommt, der Herrscher über die ganze Schöpfung.“

Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes (Joh 18, 33b-37):

In jener Zeit „fragte Pilatus Jesus: „Bist du der König der Juden? Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus, oder haben es dir andere über mich gesagt? Pilatus entgegnete: Bin ich denn ein Jude? Dein eigenes Volk und die Hohenpriester haben dich an mich ausgeliefert. Was hast du getan? Jesus antwortete: Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn es von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Aber mein Königtum ist nicht von hier. Pilatus sagte zu ihm: Also bist du doch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“

Liebe Schwestern und Brüder, vielleicht haben Sie nicht erwartet, dass wir an Christkönig (in diesem Jahr) einen Teil der Passionsgeschichte nach Johannes hören, und zwar einen Dialogpart zwischen Jesus und Pilatus: Jesus ist gefangengenommen und muss jetzt dem in Jerusalem zuständigen römischen Statthalter Pontius Pilatus Rede und Antwort stehen. Judäa ist seit 63 v. Chr. römische Provinz, daher wird die Hauptstadt Jerusalem (momentan) von Pilatus verwaltet. Was Rom grundsätzlich in seinem Reich und bei allen Völkern, die erobert wurden, will, sind Frieden und Steuern, alles andere interessiert nicht wirklich. So hat auch Pilatus mit religiösen Streitigkeiten nichts zu tun, diese Sache mit Jesus wird erst dann ein Fall für ihn, als die Pharisäer Jesus als Revolutionär anklagen und ihm unterstellen, er wollte sich zum König der Juden machen. Pilatus kommt – nach der Schilderung Johanni – schnell zur Sache: „Bist der König der Juden?“ (Vers 33b). Im römischen Denken geht das gar nicht, das ist Hochverrat, denn es kann nur ein Oberhaupt des römischen Weltreiches geben, den Kaiser. Und wenn der dann in einigen Provinzen Vasallenkönige einsetzt (wie z.B. König Herodes d. Gr. (42?-4 v. Chr.), dann hat das politisch-praktische Gründe und entbehrt eben jedem Autonomiestreben, die das Reich gefährden. – Wie wichtig und aufschlussreich, wie Jesus auf die Frage Pilati reagiert, und wie bedeutsam, diesen Satz Jesu richtig zu betonen: „Du sagst es, ich bin ein König“, wäre eine Bestätigung der Anklage, das macht aber in dieser Komposition nach Johannes weniger Sinn. Wenn hingegen nur das Du betont wird: „Du sagst es, ich bin ein König“, nimmt Jesus diesen Titel nicht an, sondern verweist auf die Verleumdung der religiösen Widersacher, derer Pilatus sich jetzt annehmen muss. Das Königtum Jesu ist seiner Aussage nach „nicht von dieser Welt“ (Vers 36), denn dieses gründet nicht auf hoher Geburt, weltlichen Machtanspruch und territoriale Abgrenzung, sondern basiert auf „Wahrheit“ (Vers 37c). Jesus ist König, weil er für die Wahrheit einsteht. – Wer will das denn? Pilatus wahrscheinlich nicht, und die Pharisäer etc. erst recht nicht. Und was ist überhaupt „Wahrheit“? Wie grandios der Evangelist auch das komponiert hat, denn genau diese Frage stellt Pilatus unmittelbar im Anschluss an den heutigen Evangeliumstext, was aber (heute) nicht verlesen wird. – Ist das überhaupt eine wichtige Frage in unserem Leben? Wollen wir die / in Wahrheit leben? Was heißt das? Bei „Wahrheit“ geht es darum, wie etwas wirklich ist, ohne Schein und Lüge, ohne Hintergedanken und versteckte Absichten. Wahrheit hängt untrennbar mit Wahrhaftigkeit zusammen: So ist es wirklich! – Macht uns nicht genau das oft Angst? Wollen wir uns tatsächlich so zeigen, wie wir wirklich sind, sagen, was wir wirklich denken, ausdrücken, was wir wirklich fühlen? Das gäbe wahrscheinlich in vielen Bereichen unseres Lebens richtig „Feuerwerk“, oder? Das wäre bzw. ist dann ein Spiegel von dem, wo wir anderen etwas vormachen, wo wir nicht wahrhaftig sind und nicht die „Wahrheit“ sagen oder tun. Ich bin davon überzeugt, wir alle tun das mehr oder weniger, und zwar v.a., um besser dazustehen, um Konflikte zu vermieden, aus Angst um (vermeintliche) Sicherheit und vor Konsequenzen. Jesus hat da etwas komplett anderes (vor)gelebt: „Die Wahrheit wird euch frei machen“, sagt Jesus an einer anderen Stelle des Johannes-Evangeliums (Joh 8, 32b. Und sein: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen“ (Mt 5, 37), hat für mich die gleiche Bedeutung). Ich finde es wichtig zu betonen, dass Jesus nicht sagt: „Nur die Wahrheit“, jedoch sie auf jeden Fall auch. Und jetzt, vor Pilatus, zieht er (auch) diese Lebensüberzeugung durch, er steht buchstäblich für seine Wahrhaftigkeit, für seine Wahrheit ein, er ist der König der Wahrheit! Ich glaube, genau das macht ihn auch in dieser Situation, in der es jetzt um sein Leben geht, so stark. In dieser existentiell bedrohlichen Situation überwindet Jesus seine situationale Schwäche durch die Stärke seiner Wahrheit, d.h. er offenbart sich da als „König“, wo er schwach ist (vor Pontius Pilatus)! Ist es das, was wir daraus für uns lernen können? Gerade in unseren Schwächen zu unserer Wahrheit zu stehen, zu dem, wie wir wirklich sind? Kann ich damit am meisten eine Bedrohung, eine Dominanz, eine Ausweglosigkeit überwinden, wenn ich wahrhaftig (über mich) bleibe? Nach dem Beispiel und der Überzeugung Jesu schon, die Frage ist, ob wir tatsächlich und dauerhaft so (wahrhaftig) leben wollen?! Wenn ja, dann können wir aus dem heutigen Passionsauszug eine existentielle Botschaft ableiten: Wenn sich Jesus da als „König“ (= Herr-scher) offenbart, wo er äußerlich schwach, angreifbar und verletzlich ist, dann kann und will er uns als „König“ mit seiner inneren Kraft und Stärke zur Seite stehen, wo wir äußerlich schwach, angreifbar und verletzlich sind. Wenn wir das so deuten und verstehen, dann krönt Jesus auch unsere Begrenztheiten zum „Ort“ seines König-Seins – was heißt das? Ich glaube, das hat drei elementare Bedeutungen: Zum einen kann und will uns Jesus mit seiner Kraft (im heiligen Geist) und seinem Beispiel zur Seite stehen, damit wir unsere Energien nicht dafür verschwenden, uns (so oft!) anders zu zeigen, als wir wirklich sind. Zum anderen bergen ebenso (!) wie unsere Talente und Stärken auch unsere Schwächen und Fehler ein immenses Potential, auch durch sie Lebenswege zu verifizieren, d.h. zu erkennen, wie Leben (für alle) gut und wie Leben (für alle) eben nicht gut geht (vgl. auch 1 Kor 1, 27b: „das Schwache in der Welt hat Gott erwählt“). – Und schließlich sind unsere Begrenztheiten und Unzulänglichkeiten eine wesentliche Quelle unserer Sehnsüchte und Wünsche – und damit auch ein Tor zu Gott: Zur Sehnsucht nach dem Heiligen, dem Unendlichen, und dem Wunsch nach ewiger Geborgenheit und Gemeinschaft. Wenn wir also mehr unsere Wahrheit und Wahrhaftigkeit leben, dann werden sich unsere Alltagskonstellationen und Bindungen zu anderen Menschen nicht nur (von Unwahrheiten, Illusionen und falschen Kompromissen) reinigen, sondern wir legen dadurch ein enormes Potential frei, unsere Kräfte mehr denn je dafür einzusetzen, was wahr und gut ist! – Wollen Sie das?