Schmuckband Kreuzgang

Pfarrer Jungs Wort zum 5. Sonntag der Osterzeit

Datum:
Sa. 9. Mai 2020
Von:
Pfarrer Ulrich Jung

Liebe Mitchristen,

die Bibel ist ein altes, dickes und oft schwer verständliches  Buch. Nur wenige Menschen haben sie wohl vollständig, von vorne  bis hinten,  gelesen. Viele Teile der Bibel sind auch sehr zeitbedingt, kaum noch von Bedeutung für uns oder auch schlicht und einfach langweilig.

Aber es gibt auch viele Höhepunkte,  viele „Perlen“, viele Geschichten oder kurze Abschnitte, die man nicht vergisst. Es wäre schön, wenn Sie mir mal ihren Lieblingstext, Ihre Lieblingsstelle aus der Bibel mitteilen würden!

Einer meiner Lieblingstexte wird am heutigen Sonntag als Evangelium gelesen: Johannes 14, 1-12, besonders mag ich den ersten Teil mit den Versen 1-6.

Sehr oft habe ich dieses Evangelium bei Beerdigungen oder Trauerfeiern genommen, weil ich kaum einen Text kenne, der so viel Trost enthält: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich!

Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen…“ (Joh 14, 1-2a)

Gottes Haus hat viele Wohnungen! Da ist es nicht klein und eng, da ist es groß und weit. Da ist Platz. Da ist Platz auch für sehr unterschiedliche Menschen. Wir Menschen haben leider die Tendenz, Plätze zu begrenzen. Gezwungen durch die Vorschriften zur Corona-Pandemie müssen wir zur Zeit sogar  auch die Plätze in den Kirchen zu den Gottesdiensten begrenzen und auf Abstand gehen.  Das ist ein ganz, ganz unguter Zustand, der nur sehr schwer erträglich ist und von dem wir hoffen, dass er so bald wie möglich wieder beendet werden kann.

Wie schön aber, dass Jesus „Gottes Haus“  so sieht, wie es in der Stelle bei Johannes ausgedrückt wird. Seine Aufgabe ist es, „einen Platz für uns vorzubereiten“ (vgl. Joh 14, 2). Das Bild von Jesus als der „Tür“, über das ich am letzten Sonntag geschrieben hatte, drückt etwas ganz Ähnliches aus. Er bereitet den Platz, er öffnet die Tür zum „Haus des Vaters“; er hilft jedem Menschen, seinen persönlichen Platz zu finden.  Was berührt unsere Seele an diesem Wort? Da klingt die Sehnsucht nach Heimat an, nach Geborgenheit, nach Frieden: endlich heimkommen, endlich den Platz finden, der für mich passt, endlich nicht mehr das Gefühl haben, „im falschen Film zu sein“, endlich (nach vielleicht langen Umwegen und Abwegen)  genau dort ankommen, wo ich hingehöre.

Gottes Haus hat viele Wohnungen. Ich vermute sogar, dass es  dort für jeden Menschen eine Wohnung gibt, die genau passt – die Türen zu den anderen Wohnungen stehen aber weit offen… Natürlich sind das alles Bilder, aber anders als in Bildern können wir nicht von den göttlichen Dingen sprechen.

Viele, viele Menschen sind innerlich (und  auch äußerlich, denken wir an Flüchtlinge und Obdachlose!) „unbehaust“. Sie haben ihren Platz (noch ) nicht gefunden. Sie sind noch nicht dort angekommen, wo es für sie rundum „passt“.

Sie suchen noch an allen möglichen Orten und können anscheinend nicht das  Richtige finden. Für mich verweist die  Suche nach (innerer und äußerer) Heimat immer auch auf die Suche nach Gott, nach unserer tiefsten und letzten Heimat:  „Wohin gehen wir? Immer nach Hause“ (Novalis)

Gottes Haus hat viele Wohnungen.  Viele Menschen leiden darunter, dass der Zugang zu „Gottes Haus“, der Zugang zur „Heimat“ von Bedingungen abhängig gemacht wird: Du musst brav sein, du musst die Gebote halten, du musst ein tadelloses Leben führen – was ja doch niemandem gelingt. Unsere Kirche (das muss man leider sagen) hat den Zugang zu den „vielen Wohnungen im Haus des Vaters“ stark eingeschränkt,  und sie ist dadurch an vielen Menschen schuldig geworden.

Gottes Haus hat viele Wohnungen. Eine davon passt für mich; in dieser Wohnung fühle ich mich verstanden, angenommen, gewürdigt. In dieser Wohnung kann ich genau der Mensch sein, der ich in meinem tiefsten Inneren bin;  nicht mehr entfremdet, nicht mehr mit einer „Maske“ vor dem Gesicht, nicht mehr in einer Rolle, die ich spielen muss, in der ich mich aber gar nicht wohlfühle.

Gottes Haus hat viele Wohnungen. Oft denken wir dabei nur an das letzte, ewige Haus, an die „Heimat im Himmel“. Aber auch vorher können wir – wenigstens „ein Stück weit“- Heimat finden. Schon vorher können wir uns dem Platz nähern, der für uns, genau für uns, bestimmt ist. Und wir können uns gegenseitig dabei helfen. Jesus möchte nicht, dass alle „im Gleichschritt marschieren“, sondern dass alle den ihnen gemäßen Platz finden; er möchte, dass keiner „draußen“ bleiben muss…

Ich weiß, dass es wie ein krasser Widerspruch  zu dem  klingt, was ich gerade geschrieben habe, dass wir uns demnächst anmelden müssen, um einen Platz in der Kirche zu finden…

Ein Trost ist es, dass unser eigentlicher  Platz bei Gott nicht durch Abstandsgebote und Vorsichtsmaßnahmen reglementiert ist – Gott sei Dank!

Einen gesegneten Sonntag!

Ihr Pfarrer Ulrich Jung