Schmuckband Kreuzgang

Die Liebe feiern

Datum:
Do. 21. Sep. 2023
Von:
Pfr. em. Kurt Sohns

Ich bin davon überzeugt: Wir sind der Wahrheit am nächsten, wenn wir Liebe erfahren. Wir werden durch viele Fragen beunruhigt. Wir haben nach einer Antwort zu suchen. Wie ist das mit der Welt, mit dem Frieden und seiner Bedrohung? Wie ist es mit der Gerechtigkeit, wenn es so ungeheure Unterschiede in den Lebensmöglichkeiten der Menschen gibt? Wie ist es mit unserer Sehnsucht nach Glück, wenn unser Glück mit Gemeinschaft zu tun hat und wenn es so schwer ist, gute Gemeinschaft zu verwirklichen? Es wird viel über diese Fragen nachgedacht, geredet, geschrieben. Diese Fragen können Menschen zur Verzweiflung bringen. Wer nicht mit geschlossenen Augen durch die Welt geht, begegnet vielen verzweifelten Menschen, Menschen die resigniert haben; Menschen, die das Belastende nicht mehr wahrnehmen wollen und sich auf den engen Raum der eigenen Bedürfnisbefriedigung zurückgezogen haben; Menschen, die bitter und einsam geworden sind.

Es gibt aber auch eine andere Antwort auf die erfahrene Not. Antwort ist vielleicht nicht das richtige Wort in diesem Zusammenhang, weil es zu aktiv klingt. Was ich meine, ist zwar nicht Passivität, es liegt aber mehr in dem Bereich, dass mir etwas widerfährt. Ich denke an Freundschaft und Liebe. Da ist nichts von dem weggewischt und zugedeckt, was Menschen traurig macht und mit Leid erfüllt, aber in aller Hilflosigkeit dem Schlimmen gegenüber wird erkannt: Was das Leben zerstört, was den Tod in sich trägt, Hass, Misstrauen, Neid, Grausamkeit, das sind nicht die stärksten Kräfte. Wer sich geliebt weiß und wer sich selbst von der Liebe gedrängt fühlt zu lieben, spürt etwas von dem, was im Alten Testament, im Hohenlied so ausgedrückt ist: „Stark wie der Tod ist die Liebe, die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt. Ihre Gluten sind Feuersgluten, gewaltige Flammen. Auch mächtige Wasser können die Liebe nicht löschen -, auch Ströme schwemmen sie nicht weg“ (Hld 8,6f.). Das ist ein gewaltiges Bild von der Liebe und von ihrer den ganzen Menschen erfassende Kraft.

Das konkrete Erscheinungsbild der Liebe wird meist sehr einfach sein. Ihre Kraft aber kann gar nicht groß genug sein. Sie kann so groß sein, wie sie in dem alttestamentlichen Lied von der Liebe beschrieben ist. Und sie muss es. Sie muss sich ja durchsetzen gegen die Gleichgültigkeit, die uns in unseren Begegnungen bedroht-, gegen die Enttäuschungen, denen wir ausgesetzt sind-, gegen den Egoismus, der uns zwingen will, vor allem für uns zu sorgen und an uns zu denken.
Ich glaube wer wirklich der Liebe begegnet und, von ihr berührt, zu einem liebenden Menschen wird, für den wird die Welt in all ihrer Undurchsichtigkeit einfach. Er nimmt wahr, wie in allen Menschen eine Sehnsucht lebt, geliebt zu werden. Die Schuld, nicht zu lieben, ist darum so groß, weil der, der keine Liebe erfährt, lebenszerstörend wirken kann. Die vielen Gehässigkeiten, das erbarmungslose Gegeneinander in der Berufswelt, die Zerstörungswut derer, die man Chaoten nennt; ist das nicht alles eine Art Heimzahlung an die, die man nicht mehr als Liebende erkennen kann? Und dann stimmt nichts mehr. Alles wird verwirrt, und das Leben wird chaotisch. Wofür lohnt es denn noch, für das Leben Sorge zu tragen, wenn keine Liebe mehr zu erwarten ist?

Wenn wir auf uns selbst blicken, dann werden wir kaum mit Sicherheit behaupten können: Ich gehöre zu den Liebenden. Wir werden hoffentlich nicht sagen müssen: In mir ist keine Liebe. Erfahren wir uns nicht in der doppelten Weise: angewiesen auf Liebe und zugleich ge-drängt, selbst Liebe zu schenken? Und die Hoffnung, ein liebender Mensch zu werden, darf wohl immer mit der Hoffnung verbunden bleiben, viel Liebe zu erfahren. Denn wir wissen nicht, wie wir sonst Leben können.

Im Gottesdienst feiern wir die Liebe; wir feiern sie in mehrfacher Weise. Einmal ist das, was wir umfassend Eucharistie nennen: der Dank an Gott dafür, dass Liebe möglich ist und uns in Jesus Christus glaubhaft erfahrbar geworden ist. Ich nenne noch eine Weise, in der wir die Liebe feiern. Wir können sie verstehen als die Feier unserer Hoffnung, selbst Trägerin/Träger der Liebe zu sein.
Jesus sagt den Jüngern: „Dieses habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. Das ist mein Gebot: LIEBT EINANDER, SO WIE ICH EUCH GELIEBT HABE“. Das ist das Ziel des Handelns Jesu, darin sieht er seinen Auftrag: Dass wir die Freude erfahren, aus der er selbst lebt, und dass diese Freude bei uns keine halbe Sache sei.

In den Jesus-Worten des Evangeliums kommt eine große Liebe zum Ausdruck. Die Sprache der Liebe verstehen aber nur die Liebenden. So kommt alles darauf an, dass wir Liebende sind und es werden. Das heißt: Wenn wir Jesus als den begreifen, der uns Freund sein will, dann werden wir das Anliegen haben, miteinander Freunde zu sein.
Ich habe diese Besinnung mit der Aussage begonnen: Wir sind der Wahrheit am nächsten, wenn wir Liebe erfahren. Der Wahrheit näherkommen in unserer Welt hat damit zu tun, ob wir uns den Fragen der Gerechtigkeit in der Welt und des Friedens stellen, den Fragen der Glaubwürdigkeit der Kirche, den Fragen der Gleichberechtigung von Frau und Mann in der Familie, in der Gesellschaft, in der Kirche. Und Gott soll unsere Hoffnung gelingen lassen.


Kurt Sohns