Schmuckband Kreuzgang

„Es ist Zeit, dass es Zeit wird“

Datum:
Do. 30. Nov. 2023
Von:
Pfr. em. Kurt Sohns

Das Pauluswort „Es ist Zeit“ (Röm 13,11) ist ein adventliches Wort.
Ein Gedicht von Paul Celan endet mit diesen Worten:


„Es ist Zeit, dass der Stein sich zu blühen bequemt,

dass der Unrast ein Herz schlägt.

Es ist Zeit, dass es Zeit wird.

Es ist Zeit.“

 

Auf den ersten Blick erscheint die Erwartung, der Stein solle sich zu blühen bequemen, unrealistisch. Wenn wir nachdenken, welchen Sinn die Erwartung haben könnte, dann fällt uns vielleicht die biblische Aussage ein, dass die steinernen Herzen zu empfindsamen Herzen werden sollen (Ex 36,26). Es ist wirklich an der Zeit, dass die harten Herzen, die Herzen der Kriegstreiber und Ausbeuter, die Herzen der Habgierigen und Empfindungslosen, die das Leben unzähliger Menschen zerstören, verwüsten, es ist Zeit, dass sie sich zu blühen bequemen-, dass sie also nicht mehr Härte und Unfruchtbarkeit ausstrahlen, sondern Menschlichkeit, Fruchtbarkeit, blühendes Leben.
Bei Paul Celan heißt es dann:

„dass der Unrast ein Herz schlägt“.

Die Unrast hat mit Herzlosigkeit zu tun. Die ursprüngliche Bedeutung von Rast ist Ruhe, Verweilen. Unrast ist die Unfähigkeit zu verweilen. Wenn die Begegnung der Menschen von Unrast bestimmt ist-, wenn keine Zeit mehr für den Menschen da ist-, dann wird das Leben unmenschlich. Pati-enten in den Krankenhäusern klagen, dass Ärzte, Pflegepersonal keine Zeit für sie haben. Die Krankenkassen diktieren den Pflegediensten, wie wenig Zeit für die Versorgung der Hilfsbedürftigen zur Verfügung steht. Die die Kranken Pflegenden stehen im Konflikt mit ihrem Herzen, das zum Ver-weilen rät und drängt, und mit ihrer Institution, die ihnen das Verweilen verwehrt.

Der Dichter Paul Celan spürt die Unmenschlichkeit der alles beherrschen wollenden Unrast, er spürt, dass es Zeit ist, dass ihr ein Herz schlägt. Unsere Zeit ist genormt durch den Takt der Maschinen, der Rhythmus des Herzens ist ihr verloren gegangen.

Paul Celan hat ein Gespür für die uns bedrohenden Versuchungen und Gefahren. Er zeigt, dass das steinerne Herz zum liebenden Herzen werden muss. Und er weiß, dass es bald geschehen muss. Darum schließt er an die betrachteten Aussagen das drängende Wort an:

 

„Es ist Zeit, dass es Zeit wird“.


Und noch drängender klingt sein letztes Wort:


„Es ist Zeit“.

Ebenso drängend hat es Paulus vor fast 2000 Jahren geschrieben. „Ihr wisst um die Zeit: Die Stunde ist schon da, euch aus dem Schlaf zu erheben. Denn: jetzt ist die Rettung näher, als da wir glaubend wurden“. Das Wort, das Paulus hier für „Zeit“ gebraucht, ist das griechische Wort „kairós“, und das meint Entscheidungszeit, also die Zeit, in der es darauf ankommt, Entscheidungen zu treffen. Im Johannes-Evangelium gibt es dafür eine aufschlussreiche Stelle. Die Brüder Jesu fordern ihn auf, sein Werk mehr öffentlich zu machen. Die Antwort Jesu lautet: „Meine Zeit ist noch nicht da, eure Zeit aber ist immer vorhanden“ (7,6).

Im Blick auf Psalm 31,15 f.: „Ich aber, Jahwe, vertraue auf Dich, ich sage: Du bist mein Gott. Meine Zeiten stehen in Deiner Hand“ – schreibt der Bibeltheologe Josef Blank: „Das richtige Zeitverständnis besteht also in der Übereinstimmung mit dem konkreten Willen Gottes hier und jetzt. Das ist auch das Zeitverständnis Jesu. Die Welt-Zeit kennt dieses Zeitverständnis nicht; daher ist ihre Zeit auch stets vorhanden. Sie kennt keinen wirklich entscheidenden „Augenblick“. Bei ihr ist es eigentlich gleichgültig, wann und wo etwas geschieht“.
Der Advent soll die Zeit der besonderen Aufmerksamkeit dafür sein, wie wir Gottes Kommen erwarten. Es ist damit auch die Frage nach unserer Sehnsucht nach Gott gestellt.

Wir feiern nicht zum ersten Mal Advent. Es ist, wie Paulus schreibt: „Die Rettung ist uns näher, als da wir glaubend wurden“. Wir haben schon eine Geschichte mit Gott. Wir fangen mit dem Advent nicht am Nullpunkt an. Wenn wir den Advent richtig verstehen, ist er Ankunft und Zukunft. Wenn wir singen oder beten, Gott soll kommen, dann sagen wir damit nicht, Er sei noch nicht gekommen. Doch wir ha-ben ein Kommen Gottes nötig, das uns tiefer mit Ihm verbindet-, das uns offener macht, Seinen Willen zu erkennen, das uns bereitwilliger macht, ihm zu entsprechen.
Wie weit werden wir damit an Weihnachten sein?


Kurt Sohns