Schmuckband Kreuzgang

Es müsste ein zärtlicher Klang auftönen

Datum:
Do. 11. Jan. 2024
Von:
Pfr. em. Kurt Sohns

Niemand von uns weiß, wie viele Menschen nach Gott suchen und wie intensiv das Suchen nach Gott ist. In den Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gaben viele oder wenigstens manche Soziologen der Religion keine Zukunft mehr. Darin haben sie sich getäuscht. Wenn Augustinus vom unruhigen Herzen sprach, das so lange suchend ist, bis es end- gültig in Gott ruht, dann deutet er den Menschen so: Um zur Erfüllung seiner Sehnsucht zu finden (nicht erst im Sterben, sondern mitten im Leben), braucht er mehr, als er sich selbst schaffen kann. Paulus spricht diese Wahrheit im Römerbrief so an: „Wir stehen also nicht mehr unter dem Zwang, unserer selbstsüchtigen Natur zu folgen. Wenn ihr nach der selbstsüchtigen Natur lebt, müsst ihr sterben“. (Röm 8,12-13a). Das Sterben liegt darin, die Sehnsucht, die uns lockt, letztlich zu Gott hin, zu ersticken.

Einer Religion kann nichts Schlimmeres passieren, als dass in ihr die Sehnsucht nach Gott keine Rolle spielt. Diese Gefahr ist dann gegeben, wenn eine Religion vor allem als moralische Instanz erscheint. Du musst das tun! Du darfst dies nicht tun! Wo das vorherrschend geschieht, da wird die Aufmerksamkeit so stark auf das Erfüllen von Geboten und auf das Vermeiden von Fehlern gerichtet, dass für die Wahrnehmung des Schönen keine Kraft mehr bleibt. Die Offenheit für das Schöne zeigt sich in der Sprache der Gebete, in den Liedern, in der Architektur eines Gotteshauses und in anderen Ausprägungen einer Religion. All das sollte in uns die Sehnsucht nach Gott wecken. Das klingt vielleicht zu fromm. Deshalb muss die Aussage ergänzt werden: Alles sollte die Sehnsucht nach dem Schönen wecken. Damit ist nicht die genormte Schönheit, wie wir sie auf den Titelseiten der Illustrierten präsentiert bekommen, gemeint. Gegen die Einengung auf Schönes, das uns süchtig machen soll, gegen die Manipulierung unserer Aufmerksamkeit auf bestimmte Marktprodukte, auch auf den vermarkteten Menschen, richtet sich das Gebet von Kierkegaard, das bis heute an Aktualität nichts verloren hat:

Herr! Gib uns blöde Augen für Dinge, die nichts taugen,

und Augen voller Klarheit in alle Deine Wahrheit.

Der evangelische Theologe Rudolf Bohren hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Dass Gott schön werde“. Er beginnt sein Buch mit der Frage: „Warum ist die Sprache der Sehnsucht nicht die Sprache der Theologie?“ Viele theologische Sätze sind richtig und vielleicht unverzichtbar, doch sie bewegen nichts in uns. Ich verweise dafür auf eine Stelle aus dem Buch von Rudolf Bohren, in der er den Heidelberger Katechismus zitiert (1563 verfasst, das bis heute gültige Glaubensbekenntnis der Reformierten). Bohren schreibt: „Auf die Frage 53: ‚Was glaubst du vom Heiligen Geist?’ antwortet der Katechismus, in-dem er in einem ersten Satz katholisch, das heißt umfassend, den Glauben der westlichen Christenheit ausdrückt: ‚Der Heilige Geist ist mit dem Vater und dem Sohn der eine wirkliche, ewige Gott.’ Dann aber folgt eine geradezu bestürzende Wendung: ‚Er ist auch mir gegeben’!“ Der erste Teil dieser Katechismus-Aussage, theologisch richtig formuliert, ist, so deutet es Rudolf Bohren, nichts Beunruhigendes. Die darauf folgenden Worte „Er (= der Heilige Geist) ist auch mir gegeben“ wird von Bohren als „eine geradezu bestürzende Wendung“ empfunden. Erst dieser Teil der Aussage, der etwas von Gott sagt, was mit mir zu tun hat „Der Heilige Geist ist auch mir gegeben“, ist geeignet, Betroffenheit spüren zu lassen, mehr als allgemeine Aussagen über Gott es vermögen.

Wenn wir die Aussage, „Der Heilige Geist ist auch mir gegeben“, richtig verstehen, ist sie eine Antwort auf unsre Sehnsucht nach Gott. Eines der schönsten Gebete der Sehnsucht nach Gott ist für mich die Bitte aus einem (Vesper-) Hymnus des heiligen Ambrosius (339-397): „Dich träume unser tiefstes Herz“. Wir wissen um die Gefahr der oberflächlichen Gottesbegegnung. In dem Gebetswort des hl. Ambrosius bitten wir Gott, dass er die tiefen Kräfte unseres Herzens, unserer Seele so berührt, dass sie Ihn träumen. Als Jesus nach der entscheidenden Weisung gefragt wurde, gab er die Antwort mit den Worten aus dem Buch Deuterononium: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele und aus deiner ganzen Einsicht und aus deiner ganzen Kraft“ (Mk 12,30; vgl. Deut 6,5). Von dieser Liebe gilt, was im Hohenlied der Liebe zu lesen ist: „Ich schlief, doch mein Herz war wach“ (5,2). Diese Wachheit ist in der Bitte gemeint: „Dich träume unser tiefstes Herz.“ Wir werden zu dieser Liebe nur fähig sein, wenn Gott uns schön geworden ist. Was der Theologe Hans Urs von Balthasar von unserem Verhältnis zur Welt schreibt, gilt in analoger Weise auch für unser Verhältnis zu Gott. „In einer Welt ohne Schönheit, in einer Welt, die vielleicht nicht ohne Schönheit wäre, sie aber nicht mehr zu sehen, nicht mehr mit ihr zu rechnen vermag, hat auch das Gute seine Anziehungskraft, die Evidenz seines Getan-werden-müssens eingebüßt“.

Paulus schreibt im Römerbrief: „Alle, die sich vom Geist Gottes führen lassen, sind Söhne und Töchter Gottes. Ihr hab ja keinen Knechtsgeist empfangen zu abermaliger Furcht. Nein, empfangen habt ihr den Geist der Kindschaft, in dem wir schreien: Abba, Vater du!“ Nach diesen Worten ist unser Verhältnis zu Gott nicht durch gesetzhafte Vorschriften bestimmt, sondern durch die Einladung zum vertrauensvollen Umgang mit Gott, eben: als Söhne und Töchter. Dieses vertrauensvolle Verhältnis wird von Paulus noch einmal genauer beschrieben. Es lässt sich nicht durch die Anrede „Vater“ kennzeichnen. Die dem Wunsch Gottes entsprechende Anrede von uns an Ihn lautet „Abba“.

So hat Jesus zu Gott gesprochen. Es ist eine kindliche Anrede. Sie entspricht dem deutschen „Väterchen, lieber Vater“. So zu Gott zu reden, fällt uns nicht leicht. Auch der offizielle Gebetsschatz der Kirche ermutigt nicht dazu. Paulus ist überzeugt davon: Wir können in unserem vertrauten Verhältnis zu Gott gar nicht weit genug gehen. Paulus be-stärkt uns noch einmal darin, indem er sagt: „Der Geist bezeugt es unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind“. Man kann den Eindruck gewinnen in der Kirche, der Kirchenleitung sei es gar nicht recht, wenn wir als Einzelne ein ganz inniges, ganz vertrautes Verhältnis zu Gott haben. Denn wer so mit Gott lebt, ist keiner Instanz, weder einer weltlichen, noch einer kirchlichen gegenüber, unterwürfig. Im Sinne Jesu soll es in der Kirche keine Unterwürfigkeit geben, „Ihr wisst“, sagt Jesus zu den Jüngern, „die Anführer der Völker herrschen auf sie herunter, und ihre Großen lassen sie ihre Vollmacht spüren. Bei euch sei es nicht so!“ (Mt 20,25 f.) „Ihr aber seid alle Brüder (und Schwestern)“ (Mt 23,8).

Dass in der Kirche zu wenig die Sprache Jesu gesprochen und ernst genommen wird, prägt das Verhalten in der Kirche und ihr Erscheinungsbild nach draußen wenig vorteilhaft. Noch ein Wort zum Namen Gottes. Als Mose Gott nach Seinem Namen fragt, erfährt er den Namen: „Ich bin der Ich bin da“ (Ex 3,14). In der Übertragung ins Deutsche von Martin Buber ist die Zusage Gottes noch prägnanter ausgesagt: „Ich werde dasein als der ich dasein werde“. Das ist eine geheimnisvolle, aber zuverlässige Verheißung, die beim Nennen und Hören des Gottes-Namens wahrgenommen werden sollte. Es würde jetzt zu weit führen zu erklären, warum in den meisten unserer Bibelübersetzungen statt „Jahweh“ oder übertragen „Ich bin da“ das Wort „Herr“ als Gottesname steht. Der Mainzer Theologe Theodor Schneider schreibt dazu: „Wo in unseren Bibelübersetzungen das Wort «Herr» steht als Gottesname, müsste also eigentlich ein ganz zärtlicher Klang auftönen. Ich bin der Herr, dein Gott, das klingt autoritär; gemeint ist aber: Ich bin Jahweh, dein Gott (d.h. der für dich da ist), der dich aus der Knechtschaft herausgeführt hat, ich bin deine Zukunft, in die du hineinschreitest, ich bin die Offenheit deines Lebens, ich bin der verheißene und erhoffte Glanz. Jahweh ist mein Name, Jahweh ist mein Wesen, mein Wesen ist Zusage und Zuwendung, mein Wesen ist Zuneigung …“
Diese Besinnung auf den Namen Gottes zeigt, wie wesentlich es ist, darauf zu achten, wie wir von Gott sprechen. Die Sprache prägt das Leben mehr, als viele es meinen.

Der Dreifaltigkeits-Sonntag kann uns daran erinnern, wie notwendig es ist (Ich sage es mit dem Titel des Buches von Rudolf Bohren): „Dass Gott schön werde“. Sonst stirbt unsere Sehnsucht nach Ihm. Was aber ist ein Leben ohne Sehnsucht nach Gott? Es ist ein Zeichen von Lebendigkeit, von Sehnsucht, die uns dem Leben öffnet, wenn wir mit den Worten von Psalm 42 bekennen: „Meine Seele dürstet nach Gott, nach Gott dem Lebendigen“ (V. 3). Oder wenn wir an Ostern das feierliche Hallelu-Jah (Lobpreiset Jahweh) singen und damit Gott preisen, der für uns da ist als Verheißung des Lebens.


Kurt Sohns