Schmuckband Kreuzgang

Gotteswürdige Beziehungen

Datum:
Do. 1. Juni 2023
Von:
Pfr. em. Kurt Sohns

Über Fronleichnam wurde schon viel diskutiert-, darüber, ob es sinnvoll sei, mit dem eucharistischen Brot durch die Straßen zu gehen. Brot ist ja zum Essen da, nicht zum Zeigen. Das ist richtig, aber auch wieder nicht. Es kann sinnvoll sein, das Brot, das wir essen, anderen zu zeigen und ihnen damit zu sagen: „Dieses Brot, das wir da zeigen, hat für uns eine große Bedeutung, denn es prägt unser ganzes Leben. Es prägt auch unsere Begegnungen mit euch“. Ich will näher erklären, was ich damit meine.

Wenn wir sagen: „Wir teilen unser Brot mit einem anderen Menschen“, dann ist in dem Symbol Brot all das mit angesprochen, was wir zum Leben brauchen: die Solidarität, die Freundschaft, die Achtung des anderen Menschen, seine Sehnsucht nach Glück und dem Gelingen des Lebens. Dass dabei die materiellen Konsequenzen nicht ausgeschlossen werden dürfen, das können wir in der Apostelgeschichte (4, 32-36) lesen. Ein kurz gefasster Bericht, sicher eine ideale Darstellung der jungen Kirche, aber eine ganz wichtige Botschaft: Die Gemeinde versteht sich in der Nachfolge des Brot teilenden Jesus. Dabei gehen in den Evangelien die Sorge Jesu, dass die Menschen nicht unter dem Hunger leiden, und seine Sorge, dass ihre Sehnsucht nach Leben, nach dem unendlichen Leben erfüllt wird, ineinander über.

Wenn wir also mit diesem durch die Entschiedenheit Jesu für das Leben geheiligten Brot auf die Straße gehen, dann machen wir aufmerksam auf uns. Und wenn wir recht verstehen, was wir da tun, dann gehört Mut dazu. Es ist der Mut, dass wir uns zum Leben, zum Einsatz für das Leben bekennen.

Die Älteren unter uns wissen noch, dass zur Zeit der Hitler-Diktatur Mut dazu gehörte, mit der Fronleichnamsprozession zu gehen. Da war die Kirche in ihrer Freiheit, die sie sich nahm, andere Lieder als die vorgeschriebenen zu singen, nicht das Öl, sondern der Sand im Getriebe (Günter Eich) des Nazi-Regimes, das Freiheit und Menschenrechte zu zerstören drohte.

Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen. Darum ruft Jesus auf, die Zeichen der Zeit zu beachten (Mt 16,3; Lk 12,56). Das ist mehr, als die äußeren Fakten zu sehen. Die
werden uns ja in den Medien serviert. Wie aber die Fakten gedeutet werden, darauf kommt es an.

Als Jesus einmal sah, wie die Leute Geld in den Opferstock warfen, da stellte er fest, viele Reiche werfen viel hinein. Und er sah eine arme Witwe, die nur ein paar Pfennige hineinwarf. Das sind die äußeren Fakten. Für Jesus zählt etwas anderes mehr. Bei den Reichen sieht er, im Verhältnis zu dem, was sie haben und behalten, ist das, was sie geben, beschämend gering. Dass aber eine arme alleinstehende Frau noch ihre letzten Pfennige gegeben hat, das hat Jesus bewegt. Darüber konnte er nicht zur Tagesordnung übergehen. Darüber konnte er nicht schweigen. Solche wunderbaren Taten geschehen auch heute. Ich erinnere mich an eine alleinstehende, arme Frau, die kam, um eine Spende zu machen. Sie hätte eher Hilfe gebraucht, als sie geben zu können. Aber ihrer Erklärung, sie komme schon aus mit ihrem Geld, doch sie wolle beitragen, denen zu helfen, die noch ärmer dran sind, durfte nicht widersprochen werden. Ich kann und will das nie vergessen.

Um das zu beschreiben, was diese Frau getan hat, gebrauche ich ein Wort der evangelischen Theologin Bärbel von Wartenberg-Potter. Im Teilen des Brotes, des eucharistischen Brotes und des Brotes im Alltag der Welt, in diesem Teilen, zu dem wir durch Jesus gerufen sind, sieht sie: „die Wiederherstellung von gotteswürdigen Beziehungen unter den Menschen“. Das ist ein faszinierendes Wort. Während in der Welt im großen Stil „gottes-unwürdige Beziehungen“ geschaffen werden, resigniert die genannte Frau nicht davor. Sie zeigt, sie kann sie nicht aus der Welt schaffen. Aber an dem Platz, an dem sie Verantwortung übernehmen kann, da tut sie es aus dem Wunsch heraus, um (ohne dieses Wort zu kennen) „gotteswürdige Beziehungen wiederherzustellen“.
Unsere Welt ist erfüllt mit „gottes-unwürdigen“ Beziehungen. Am deutlichsten zeigt sich das dort, wo es um das Geld geht. Die Spekulationsgewinne mit Aktien und sonstigen Fi-nanzmarktinstrumenten, sowie die Zinspolitik auf verschiedene Weise, sind legales Unrecht. Vom Gesetz her möglich, vom Evangelium her krasses Unrecht, weil auf Kosten der Armen die Reichen immer mehr Geld für sich horten können.

Die Politiker der verschiedenen Parteien versuchen, uns zu überzeugen, wie sozial sie sind. Sie sind es oft von ihrer Überzeugung her nicht, oder sie sehen keine Chance, der Ungerechtigkeit grundlegend ein Nein entgegenzusetzen. Das geschieht auch von der Kirche zu wenig, so dass sie oft nicht Zeugin für gottes-würdige Beziehungen sein kann.
Kirche, das heißt: „Wir sind Kirche“ ist aufgerufen, sich nicht nur an Jesus, sondern auch an der armen Frau ein Beispiel zu nehmen.

Fühlen wir, dass es eine Tiefe in uns gibt, die mit Gott zu tun haben will-, die von Gott erfüllt werden will? „An den Quellen der Träume, der Mythen und der Liebe: Dort ist der Raum, in dem Gott Wohnung nehmen möchte“ (Ernesto Cardenal). Wenn uns an Pfingsten Worte in den Mund gelegt werden, in denen Gott angesprochen wird, Er solle den tiefsten Grund unseres Herzens erfüllen, dann kommt alles darauf an, dass wir diese Worte nicht gedankenlos sprechen oder singen, sondern dass wir uns von ihnen anrühren lassen und sie zu unserer Bitte machen: Nicht das Oberflächliche, das Belanglose soll mein Leben prägen! Nicht mit dem Einsatz des halben Herzens will ich leben! Gott, lass Dich erahnen! Lass mich Dich suchen!

Wie tief gelingt unser Beten? Paulus hat um die Begrenztheit des menschlichen Betens gewusst. Für ihn war der Mensch aber dort, wo er nicht weiterkonnte, nicht am Ende.


Kurt Sohns