Mainz. Der Bischof von Mainz, Kardinal Karl Lehmann, hat am Freitagabend, 1. März, im Rahmen eines festlichen Vespergottesdienstes die neue Klais-Orgel in der Pfarrkirche St. Stephan in der Mainzer Altstadt geweiht. Damit war das Ziel eines langen Weges erreicht. Nachdem die Dreymann-Orgel aus dem Jahr 1858 im August 1942 bei Luftangriffen verbrannt war und nach dem Krieg für die Gottesdienste in der schwer beschädigten Kirche nur eine Notorgel zur Verfügung stand, erhielt die Gemeinde 1967 als Provisorium ein Instrument der Ludwigsburger Orgelbaufirma Walcker. Dieses „Provisorium" dauerte allerdings mehr als 45 Jahre, bis St. Stephan jetzt eine diesem Gotteshaus angemessene Orgel von höchster Qualität erhielt. Freude und Dankbarkeit sind entsprechend groß, was auch in der Begeisterung und dem demonstrativen Beifall der dicht gedrängten Teilnehmer am Weihegottesdienst zum Ausdruck kam.
Kardinal Lehmann erklärte in seiner Predigt: „Mit Ihnen allen, meine lieben Schwestern und Brüder der Gemeinde St. Stephan hier inmitten der Mainzer Innenstadt, sowie allen Besuchern freue ich mich über die Weihe der Orgel. Wenn auch Ihre Kirche vielleicht zuerst bekannt und berühmt ist wegen der Chagall-Fenster, so ist sie doch in allererster Linie ein Haus des Gottesdienstes und des Gebets." Es sei nur angemessen, wenn hier zur Ehre Gottes Liturgie gefeiert wird, „bei der musiziert und die menschlichen Stimmen getragen und unterstützt werden durch die Klangfarben der vielen Register und Töne der Orgel".
Lehmann unterstrich, dass die Orgel für die Verkündigung des Wortes Gottes kein Hindernis sei. „Je mehr sie der gottesdienstlichen Handlung dient, umso mehr kommt sie zu ihrem eigenen Rang." Die Orgel rufe alle Dinge der Schöpfung herbei, um den Klang des Gotteslobes aus allen Kreaturen erschallen zu lassen: alle Hölzer und Metalle, alle Handwerkskunst und jegliche Virtuosität. Sie sammle alle Mittel menschlicher Musik und ordne sie zu einem vielstufigen und reich verzweigten Kosmos des Gotteslobes zusammen. Nicht zuletzt darum werde sie die „Königin der Instrumente" genannt.
Dem Orgelbauer war es wichtig, ein Instrument zu schaffen, das sich „in dienender liturgischer Funktion in die Raumarchitektur einfügt". Gleich beim Betreten der Kirche hat der Besucher die metallische Skulptur vor Augen. Ohne die Sicht auf eines der kostbaren Fenster zu versperren strebt das monumentale Instrument im südlichen Querschiff in „schwebender Leichtigkeit" nach oben bis ins Kreuzgewölbe des gotischen Baus. Die durch die blauen Fenster einfallenden Sonnenstrahlen werden in immer neuen Effekten unterschiedlich reflektiert und lassen so die Skulptur ständig in einem anderen Licht erscheinen.
Nicht nur von der Architektur, sondern auch vom Klang her hat die Orgel einen optimalen Standort. Sie ist überall im Kirchenraum gut zu hören und hat zahllose klangliche Variationsmöglichkeiten. Die insgesamt 47 Register mit 3.006 Pfeifen sind von drei Manualen und dem Pedalwerk spielbar. Das Instrument hat eine Gesamthöhe von 14,7 Metern und wiegt etwa 17 Tonnen. Zum Registrieren bietet die Setzeranlage 10.000 Speichermöglichkeiten in zehn Gruppen.
Während des Weihegottesdienstes bot der Hauptorganist von St. Stephan, Hans-Gilbert Ottersbach, als erstes großes Orgelspiel das feierliche Werk „Marche Pontificale" des niederländischen Komponisten Nikolas-Jaques Lemmens (1823-1881). Er hatte dieses Stück ausgesucht, um die Vielfalt der Klangmöglichkeiten vorzustellen. Er begann auf dem Fundament der dunklen Pedalklänge kraftvoll und schnell, setzte die von der Rondo-Form vorgegebenen Wiederholungen ein, um sich dann immer wieder zu steigern. Im ersten Teil lag der Schwerpunkt auf den Zungen- und Trompetenregistern, im zweiten Teil auf der Flötenfamilie. Den Schlusspunkt setzte er mit dem Willigis-Bass, der zu Ehren des Erbauers der Kirche bei den Pedalregistern an erster Stelle steht.
Der zweite Organist, Ralph Hammes, brachte in einer ruhigen „Ballade en mode phrygien" des französischen Komponisten Jehan Alain (1911-1940) die Zungenregister mit Oboe und Krummhorn zur Geltung und untermalte die Psalmmelodien mit den hellen Klängen der Flötenregister. Domorganist Daniel Beckmann, der abschließend spielte, hatte mit der Suite Op. 5 von Maurice Duruflé (1902-1986) ein Werk ausgesucht, in dem der Aufbau der Klais-Orgel in aufsteigenden Melodien transparent wurde. Seine Virtuosität als Organist wurde in raschen, sich manchmal überschlagenden Tonfolgen hörbar, besonders in den Pedalregistern, die er mit schnellen Füßen zum Klingen brachte. Er entlockte der Orgel sehr viele unterschiedliche Klangwirkungen, wobei die „schwebenden" Klänge der Streicherregister (Vox caelestis und Gamba) besonders beeindruckten.
Ottersbach bekannte nach der Feier, das Spielen auf der neuen Orgel mit ihren begeisternden, aber auch mit viel Arbeit verbundenen Möglichkeiten sei für ihn „himmlisch", ein „himmelweiter Unterschied" zu früher. Beckmann erklärte, die neue Orgel stelle „die kompromisslose Verwirklichung eines künstlerischen Gesamtkonzepts dar, bei dem architektonische, künstlerisch-gestalterische, technisch-konzeptionelle und klanglich-musikalische Aspekte eine überzeugende Symbiose mit dem bedeutenden Sakralraum eingehen". Sie sei in hervorragender Weise zur Interpretation von Orgelmusik unterschiedlichster Stilistik geeignet.
Auch die menschlichen Stimmen kamen in der Feier der Orgelweihe im gemeinsamen Singen der Kirchenchöre von St. Stephan und St. Alban sowie der Kantorei St Alban unter Leitung von Kirchenmusikdirektor Heinz Lamby sowie der Projektschola St. Stephan angemessen zur Geltung. Zur Eröffnung spielte der Bläserkreis St. Stephan unter Leitung von Martin Bäßler die „Turmmusik" op. 105 a von Heinrich Kaspar Schmid (1874-1953). Der Bläserkreis hatte bereits eine Stunde vor der Vesper vom Turm von St. Stephan aus weithin hörbar über die Innenstadt von Mainz hinweg musiziert.
Pfarrer Stefan Schäfer brachte bei der Begrüßung zu Beginn des Gottesdienstes die Dankbarkeit der Gemeinde für die neue Orgel zum Ausdruck. Sie habe eine große Bedeutung für die Feier der Gottesdienste, aber auch für das kulturelle Leben in der Stadt. „Die vielen Freunde und Förderer haben uns viel schneller als erwartet über die Ziellinie getragen", erklärte er. Zur Finanzierung der rund 980.000 Euro teuren Orgel hatten auch viele „Pfeifenpaten" beigetragen.
Sk (MBN)