Kurze Orgelgeschichte von St. Stephan Mainz

Beitrag von Dr. Manfred Wittelsberger

Vor über 500 Jahren, im Jahr 1500, wird in St. Stephan erstmals ein Organist erwähnt. Es ist aber zu vermuten, dass schon viel früher eine Orgel existierte, da deren Verwendung in diesem bedeutenden Stift wahrscheinlich ist. Ende des Jahres 1500 scheint die Orgel nicht mehr den Ansprüchen genügt zu haben, denn die Stiftsherren bemühen sich um den Ankauf der für den eisernen Chor im Dom gebauten Orgel, da man dort Zahlungsschwierigkeiten hatte.

1604 waren gleich zwei Orgeln vorhanden, eine im Chor und eine auf einer Lettner-Galerie im Ostchor.

111 Jahre später, im Jahr 1715, wurde mit Johann Hoffmann aus Würzburg ein Vertrag über einen Neubau einer Orgel geschlossen. Dieses Werk mit 23 Registern auf zwei Manualen und Pedal wurde um 1721 fertig gestellt.

Der Mainzer Orgelbauer Bernhard Dreymann arbeitete 1834 an dem Instrument (Reparatur, Reinigung, Dispositionsveränderungen).

Bei der Pulverturmexplosion 1857 wurde mit der Kirche auch die Orgel schwer beschädigt. Man beschloss, Dreymann den Auftrag für einen Neubau zu erteilen. Der Vertrag für eine zweimanualige Orgel ist mit dem 28.10.1858 datiert. Im Prüfungsbericht vom 28. August des Jahres 1859 wird bedauert, dass die Orgel nur 29 Register besitze. Obwohl diese kräftig intoniert seien, stünde ihre Anzahl in keinem Verhältnis zum Kirchenraum. Das Gutachten enthält Ergänzungsvorschläge, die aber nicht ausgeführt wurden. Die Orgel stand in einem neugotischen Gehäuse. Sie kostete 3200 florenus (Gulden). Teile der alten Orgel wurden für 300 fl in Zahlung genommen.

Bereits 15 Jahre nach dem Neubau, also 1874, erfolgten gravierende Veränderungen in Disposition und Technik durch den Orgelbauer Martin Schlimbach aus Würzburg. Die Arbeiten hatten vollere Farben und mehr Lautstärke zur Folge. Es ging also um mehr Volumen. Schlimbach war zu dieser Zeit - protegiert durch den damaligen Mainzer Domkapellmeister Georg Viktor Weber - der Orgelbauer für katholische Kirchen im hiesigen Raum. Er lieferte ab 1866 insgesamt 36 neue Instrumente in das Gebiet der Diözese Mainz.

1911/12 reinigte und reparierte die Firma Klais aus Bonn die Orgel in St. Stephan. Unter anderem wurden eine neue Trompete im Hauptwerk und ein elektrisches Gebläse eingebaut.

Die Zinn-Prospektpfeifen mussten 1917 zu Kriegszwecken abgegeben werden. 1921 wurden sie durch Zink-Pfeifen ersetzt.

Kirche und Orgel wurden während des Zweiten Weltkrieges 1942 zerstört.

Nach dem Wiederaufbau der Kirche erhielt diese Mitte der 1960er Jahre ein Instrument von Eberhard Friedrich Walcker aus Ludwigsburg (op. 5172). Das Provisorium mit 11 Registern steht im nördlichen Querhaus inzwischen über 40 Jahre.

Durch die ab 1978 eingebauten Fenster von Marc Chagall und Charles Marq erfuhr die Kirche eine große Bereicherung und internationale Beachtung.

Diese Fenster waren auch der Ausgangspunkt im Hinblick auf die Platzierung einer neuen, dem Raum angemessenen Orgel. Im Ausschreibungstext für einen begrenzten Wettbewerb unter fünf international renommierten Orgelbaufirmen hieß es:

"... Das Ensemble der Fenster von Chagall und Charles Marq prägt wesentlich den Charakter der Stephanskirche. Ein Orgelkonzept für St. Stephan muss dieser Tatsache Rechnung tragen und das Instrument so in den Kirchenraum integrieren, dass die Sicht auf die Fenster möglichst nicht beeinträchtigt wird ..."

Eine Platzierung auf der Westempore schied somit aus, da auf dem verbleibenden Platz neben oder zwischen den Fenstern eine Orgel der erforderlichen Größe nicht aufstellbar ist. Ein Instrument auf der Empore würde unweigerlich die Fenster verdecken und hätte die Zerstörung der Gesamtwirkung des Ensembles der Chagall- und Charles Marq-Fenster zur Folge.

Alle fünf am Wettbewerb teilnehmenden Orgelbauer schlugen unabhängig voneinander den Standort an der Ostwand der südlichen Vierung vor. Der direkte Kontakt des Organisten zum Altargeschehen und zur Gemeinde sind ideal. Die klanglich, akustisch und räumlich günstige Lage des Instrumentes bietet vielfältige Möglichkeiten zum Musizieren mit Solisten, Chor und Orchester.

Wichtige Kriterien bei der Entscheidung der Jury am Ende des Wettbewerbes waren drei Punkte:

  1. ein möglichst schlanker Aufbau des Orgelkorpus,
  2. farblich muss sich die Orgel in den blau durchfluteten Kirchenraum einfügen, und
  3. die Dreidimensionalität der gesamten Anlage. Also ein Instrument, das nicht nur eine Schauseite hat, sondern dessen alle sichtbaren Seiten gestaltet sind.

Erst danach kamen die Disposition, die technische Ausstattung und natürlich die finanzielle Größenordnung des mit 45 Registern, drei Manualen und Pedal ausgeschriebenen Instrumentes.

Die Firma Klais aus Bonn hat den Wettbewerb gewonnen. In Mainz gibt es nur eine - wenn auch verändert erhaltene Orgel aus der Bonner Werkstatt. Es ist das Instrument, das hinter dem Chorgestühl im Westchor des Domes eingebaut ist und das Herzstück der Domorgel und ihren klanglich besten Teil bildet. Diese Orgel wurde 1929 von Hans Klais errichtet.

Das Phantom der neuen Orgel für St. Stephan nach dem Klaisschen Entwurf hat seinen Platz erobert. Der Dialog mit dem durch die Fenster einfallenden bunten Licht findet bereits statt. Er wird noch um ein vielfaches intensiver sein, wenn glänzende Zinnpfeifen den Prospekt der Orgel bilden. Klanglich lässt die vorgesehene Disposition kaum Wünsche offen.

Hier entsteht ein Instrument, das zu den führenden in der Stadt und im Bistum Mainz gehören, und internationale musikalische Anforderungen erfüllen wird.

Nach über 500 Jahren erhält St. Stephan damit endlich ein Instrument, das auch den räumlichen und musikalischen Anforderungen gerecht werden kann.

zusammengestellt von Dr. Manfred Wittelsberger, OSV im Auftrag des Bistums Mainz, nach:

Franz Bösken: Quellen und Forschungen zur Orgelgeschichte des Mittelrheines, Bd.1, Mainz 1967, S. 195 ff.,

Achim Seip: Die Orgelbauwerkstatt Dreymann in Mainz, Lauffen 1993, S. 117-119 und S. 131-133.