Doch durch seine Erfahrungen als Soldat im 1. Weltkrieg hatte Tucholsky, einem jüdischen Elternhaus entstammend, auch den Missbrauch der Religion hautnah erlebt. Er wird Zeit seines Lebens zu einem der schärfsten Religions- und Kirchenkritiker seiner Zeit, der unter Berufung auf den Jesus der Bergpredigt schonungslos die Diskrepanz von moralischem Anspruch und realkirchlicher Wirklichkeit einklagte. Aufsehen machten schon zu Lebzeiten seine "Briefe an eine Katholikin". Doch je älter er wurde, desto bohrender stellte er existentielle Fragen nach dem Sinn seines Lebens und Schreibens, die sich in den letzten Jahren vor seinem Freitod 1935 im schwedischen Exil zu religiösen Grundfragen verdichteten, nachzulesen in den "Briefen aus dem Schweigen" (1932-35) und in den "Q-Tagebüchern" (1934/35). Den Weg Tucholskys nachzuzeichnen von Kirchen-und Religionskritiker zum existentiellen Sinnsucher ist Ziel des Seminars. Eine Exkursion zum Tucholsky-Museum in Schloss Rheinsberg wird weitere Anschauung ermöglichen.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden gebeten, eine Ausgabe sämtlicher Gedichte Tucholsky mitzubringen: Lieferbar im Insel-Verlag (2006) und die noch lieferbare Ausgabe von "Briefe an eine Katholikin" (Rowohlt Verlag 1979).
Zur Vorbereitung hilfreich:
Rolf Hosfeld, Tucholsky. Ein deutsches Leben. Biographie, Berlin (Siedler
Verlag) 2012.
Fritz J. Raddatz, Kurt Tucholsky. Eine biographische Momentaufnahme,
Freiburg/Br (Herder Verlag) 2010.
K.-J. Kuschel, Kurt Tucholsky und das Gespräch mit dem Glasmann, in:
K.-J.Kuschel, "Vielleicht hält Gott sich einige Dichter...". Literarische Skizzen Bd 1, Kevelaer-Mainz 2005, S. 182-233.