Das dramatische, theoretische und lyrische Werk Brechts scheint kanonisiert
und damit zuende gedeutet. Vor allem scheint bekannt und rezipiert, was er
an Kritik in Sachen Religion und Kirche zu sagen hat. Aber ein neuer Blick
auf Brechts Werk zeigt, dass er in Sachen Religionskritik am wenigsten
"originell" war und ist. Was er für theologisch Interessierte auch heute
noch zu sagen hat, hat mit seinem Bemühung zu tun, lebenspraktische und das
heisst immer auch gesellschaftsrelevante Formen menschlichen Verhaltens zu
durchdenken und literarisch zu gestalten. In zahlreichen seiner Gedichte und
Kurzprosa-Arbeiten ("Keuner-Geschichten", "Me-ti. Buch der Wendungen") tritt
uns Brecht als sinnlich und argumentativ zugleich vorgehender
"Weisheitslehrer" entgegen, der Menschen in den Widersprüchen des Lebens
fähig machen will zu einem "eingreifenden Denken". Dass alle Kunst
letztlich auf die grösste aller Künste ziele - die Lebenskunst, hat Brecht
wie kein anderer Schriftsteller der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts
vordemonstriert. Dabei spielt seine Rezeption der Weisheitstraditionen
Chinas eine entscheidende Rolle. Sie wird denn auch im Zentrum der Arbeit an
den Texten von Brecht stehen. Der Seminar-Ort, Berlin, wird uns darüber
hinaus Gelegenheit zu Exkursionen geben, nicht nur zum Brecht-Haus und
Museum, sondern möglichweise auch zu einem Stück in "seinem" Theater, dem
Theater am Schiffbauerdamm.
