Die katholische Kirche St. Laurentius in Dreieich-Sprendlingen wurde verkauft. Damit geht ein bedeutendes Kapitel der Kirchengeschichte in unserer Region zu Ende – und ein neues beginnt. Die Kirche war fast 90 Jahre lang ein Ort des Gebets, der Feier und der Begegnung. Nun übernimmt die Bethanien Diakonissen-Stiftung aus Frankfurt das denkmalgeschützte Ensemble aus Kirche, Pfarrhaus und Gemeindehaus, um es sozialen Zwecken zuzuführen. Die Kirche bleibt erhalten und soll künftig als öffentlicher Begegnungsraum genutzt werden.
Ein Ort mit Geschichte – katholisches Leben in Sprendlingen
Im Jahr 1920 wurde der Pfarrei Langen ein Kapellkurat für Sprendlingen zugewiesen. Dadurch konnten regelmäßige katholische Gottesdienste sowie Religionsunterricht in der örtlichen Schule stattfinden. Am 1. Oktober 1925 wurde die Pfarrkuratie Sprendlingen als eigenständige kirchliche Einheit errichtet. Johannes Hofmann wurde erster Pfarrer. Neben Sprendlingen betreute er auch die Gemeinden in Buchschlag, Dreieichenhain und Neuhof.
Pfarrer Hofmann setzte sich mit großem persönlichen Einsatz für den Bau einer eigenen Kirche ein. Durch zahlreiche Bettelpredigten in der Diözese Mainz sammelte er die nötigen Mittel. Die Kirche entstand nach Plänen des Darmstädter Architekten Josef Leibl. Der Grundstein wurde am 16. Juli 1933 gelegt, an Weihnachten wurde im Rohbau bereits unter freiem Himmel die Christmette gefeiert. Die Fertigstellung erfolgte 1934, die Weihe durch Bischof Dr. Albert Stohr am 17. November 1935.
Als Patron wurde der heilige Laurentius gewählt, dem bereits die vorreformatorische Kirche in Sprendlingen geweiht war. Der heilige Bruder Konrad kam als zweiter Patron hinzu. Der Laurentiustag am 10. August wurde zum Termin der Sprendlinger Kerb.
Kirchliches Wachstum und neue Strukturen
Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich die Bevölkerungsstruktur vieler Gemeinden. In Sprendlingen wuchs die Zahl katholischer Gläubiger durch den Zuzug sudetendeutscher Heimatvertriebener deutlich. Ab 1961 bot Pfarrer Herlert von St. Laurentius sonntags einen Gottesdienst im Mehrzweckraum der Goetheschule (heute Heinrich-Heine-Schule) an. Bald kam eine zweite Messe hinzu. Über fünfeinhalb Jahre wurden dort regelmäßig Gottesdienste gefeiert.
Am 1. Mai 1965 errichtete Bischof Dr. Hermann Volk die Pfarrkuratie St. Stephan. Erster Pfarrer wurde Claus Krafczyk. Der Kirchenneubau, wiederum geplant von Josef Leibl, orientierte sich am Zweiten Vatikanischen Konzil. In Zeltform gebaut, stellte er die Gemeinschaft der Gläubigen in den Mittelpunkt. Am 25. September 1965 wurde die Kirche St. Stephan durch Bischof Volk geweiht.
Am 1. Januar 2006 trat im Rahmen der Strukturreform des Bistums Mainz die Katholische Pfarrgruppe Dreieich-Sprendlingen in Kraft – bestehend aus St. Laurentius, St. Stephan und Heilig Geist Buchschlag. Zum 1. Januar 2012 wurden diese zur Pfarrei St. Laurentius Dreieich zusammengeführt. Der Festgottesdienst zur Gründung fand am 22. Januar 2012 unter Leitung von Generalvikar Prälat Dietmar Giebelmann statt.
Der Pastorale Weg und die Entscheidung zum Verkauf
2019 rief Bischof Peter Kohlgraf den Pastoralen Weg im Bistum Mainz aus – ein Prozess der geistlichen und strukturellen Erneuerung. Angesichts sinkender Mitgliederzahlen, knapper Mittel und weniger hauptamtlicher Seelsorgender galt es, neue Wege zu finden.
Im Dekanat Dreieich begannen 2020 intensive Beratungen. Am 23. September 2021 beschloss die Dekanatsversammlung in Gravenbruch die Bildung von zwei Pastoralräumen: Dreieich-Isenburg und Langen-Egelsbach. Mit der Auflösung der Dekanate zum 31. Juli 2022 wurde dieser Weg fortgesetzt.
Am 15. September 2022 konstituierte sich im Gemeindezentrum Dreieichenhain die Pastoralraumkonferenz Dreieich-Isenburg. Im Februar 2025 verabschiedete sie das ›4+G-Modell‹: Erhalten bleiben sollen die Kirchen St. Stephan (Sprendlingen), St. Marien (Götzenhain), St. Josef und Zum Heiligen Kreuz (beide Neu-Isenburg). Hinzu kommt ein Schwerpunktstandort Sozialpastoral in Gravenbruch. Alle übrigen kirchlichen Gebäude – darunter St. Laurentius – sollen für weltliche oder sozial caritative Nutzung freigegeben werden.
Verkauf an die Bethanien Diakonissen-Stiftung
Bereits im Herbst 2023 zeigte die Bethanien Diakonissen-Stiftung Interesse. Der Kaufvertrag wurde im Frühjahr 2025 unterzeichnet. Der Erlös bleibt im Katholischen Pastoralraum Dreieich-Isenburg und dient der Finanzierung der verbleibenden kirchlichen Infrastruktur.
Die Bethanien Diakonissen-Stiftung ist eine gemeinnützige evangelische Stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main. Ziel ist es, diakonische Arbeit im Sinne christlicher Nächstenliebe weiterzuentwickeln. In Dreieich betreibt die Stiftung bereits die Kita „Die Kirchenmäuse“, die im August 2025 in das ehemalige Pfarrhaus St. Laurentius umzieht. Anstelle des sanierungsbedürftigen Gemeindehauses entsteht eine barrierefreie Seniorenresidenz. Die Kirche St. Laurentius soll künftig als Begegnungsraum für Kinder, Seniorinnen und Senioren sowie für kulturelle und geistliche Veranstaltungen genutzt werden.
Abschied mit Zuversicht
Noch bis Anfang Juli 2025 finden weiterhin Eucharistiefeiern in der Kirche St. Laurentius statt. Danach wird die Kirche profaniert – in einem liturgischen Gottesdienst, der das Gebäude seiner sakralen Bestimmung entbindet. Der Abschied in diesem Gottesdienst bietet Raum für Dank, Erinnerung und einen geistlichen Neubeginn. Für viele Menschen ist St. Laurentius weit mehr als nur ein Gebäude – sie verbinden mit ihr persönliche Lebensgeschichten, festliche Anlässe, Gebete, Trauer und Hoffnung. Im Rahmen dieses besonderen Gottesdienstes wird diese Verbundenheit noch einmal greifbar: durch das gemeinsame Erinnern, das bewusste Zurückschauen und das vertrauensvolle Vorwärtsschauen. Es ist ein Moment, der tröstet und bestärkt – getragen von der Gemeinschaft und im Vertrauen auf Gottes Nähe.
Pfarrer Martin Berker, leitender Pfarrer im Katholischen Pastoralraum Dreieich-Isenburg, betont: „Es ist eben nicht nur das Defizit an finanziellen Ressourcen und kleiner werdenden Gemeinden, die diesen Schritt notwendig machten. Es gibt auch immer weniger Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten und Menschen, die sich ehrenamtlich in der Kirche engagieren. Das ist ein gesellschaftliches Problem, von dem auch die Kirche nicht unberührt bleibt.“
Gemeindereferentin Susanne Mohr, Koordinatorin im Katholischen Pastoralraum Dreieich-Isenburg, ergänzt: „Bei allem Abschiedsschmerz haben die Pfarreien in Sprendlingen und Buchschlag bei diesen Entwicklungen einen entscheidenden Vorteil: Wir haben 2012 den Fusionsprozess der drei Pfarreien schon miterlebt und sind seither zusammengewachsen.“
Pfarrer Martin Eltermann, Pfarrer der Pfarrei St. Laurentius Dreieich, erklärt: „Unsere Gemeinde ist geistig flexibel. Sie weiß, dass der Verkauf der Kirche nicht das Ende der Welt ist und dass es weitergeht. Unsere Botschaft ist nicht, Gebäude zu besitzen, sondern der christliche Glaube.“
St. Laurentius hat das katholische Leben in Sprendlingen über Jahrzehnte geprägt. Die Geschichte zeigt: Veränderung gehörte schon immer zum Weg der Kirche – von der Errichtung der Pfarrkuratie 1925 über den Bau der Kirche 1935, die Gründung neuer Pfarreien bis hin zu Strukturreformen und Zusammenführungen. Ein weiterer Schritt auf diesem Weg steht bevor: Am 1. Januar 2027 wird der Katholische Pastoralraum Dreieich-Isenburg als neue Pfarrei Hl. Edith Stein Dreieich-Isenburg errichtet. Die verbleibenden Kirchen behalten ihre Namen und Patronate. Sie werden zu sogenannten Kirchorten, die künftig organisatorisch und pastoral gemeinsam im Rahmen der neuen Pfarrei geführt werden.
Was bleibt – und was uns weiterträgt
St. Laurentius war über Jahrzehnte hinweg ein Ort des Glaubens, der Gemeinschaft und des Lebens. Mit der Profanierung endet zwar die sakrale Nutzung des Kirchengebäudes, doch das geistliche Leben der Gemeinde geht weiter. Der Abschied ist ein bedeutsamer Moment – getragen von Dankbarkeit, Erinnerung und dem Vertrauen, dass Neues wachsen kann.
„Ich wünsche uns allen, dass wir in dieser Zeit des Wandels bei allen Strukturdiskussionen und Reformbemühungen den Blick auf das Wesentliche nicht verlieren: auf Jesus Christus. Mit den Emmausjüngern war er unterwegs – unerkannt, aber gegenwärtig, hörend und deutend. Seien wir gewiss, dass er auch mit uns unterwegs ist. Seine Zusage aus dem Matthäusevangelium gilt uns heute: -Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.- (Mt 28, 20 b)“
Pfarrer Martin Berker
Leitender Pfarrer im Katholischen Pastoralraum Dreieich-Isenburg
Text:
Dietmar Thiel